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Neuer UNO-Botschafter: «Die Schweiz hat keine versteckten Pläne»

Hoher Besuch nach nur einem Monat im neuen Amt: UNO-Botschafter Valentin Zellweger (Mitte) empfängt US-Aussenminister John Kerry in Genf. Keystone

Von seinem Büro im sechsten Stock hat UNO-Botschafter Valentin Zellweger eine fantastische Aussicht auf sein neues Reich, das internationale Genf. Der Blick reicht vom See über Gebäude internationaler Institutionen wie den europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen oder die Welthandelsorganisation bis hin zum Flughafen.

Seit August ist Zellweger neuer Chef der Ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in GenfExterner Link. Obwohl erst ein paar Wochen im Amt, stimmt er seinem Vorgänger, Alexandre Fasel, zu: Die Entsendung nach Genf sei das Beste, was das Schweizer Aussendepartement zu bieten habe. «Genf ist viel wichtiger, als ich mir das vorgestellt habe. Ich war überrascht über die Vielfältigkeit und Wichtigkeit der Arbeit hier», so der schlanke Botschafter mit Brille.

Der Unterschied zu seiner vorherigen Aufgabe als Chef der Direktion für Völkerrecht im Aussendepartement in Bern scheint gross. Dort beschäftigte er sich mit sogenannten Potentatengeldern – auf Schweizer Banken versteckte, unrechtsmässig erworbene Vermögenswerte von politisch exponierten Personen.

Valentin Zellweger DFAE

Gerade erst angekommen, befindet sich der Diplomat aus Basel nun aber schon mitten im Genfer Geschäft: Er präsidierte das jährliche Treffen der Vorsteher der Schweizer Auslandvertretungen, nahm an der Sitzung des UNO-Menschenrechtsrats teil und empfing US-Aussenminister John Kerry, der sich in Genf zu Syrien-Gesprächen mit seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow traf.

«So lernt man am besten», sagt Zellweger. Habe man zu viel Zeit zum Lernen, werde es kompliziert. Sein Tagesablauf hat sich dramatisch verändert – sogar sein Arbeitsweg: Er sei heute mit dem Boot zur Arbeit gefahren, «allerdings nicht mit meiner Privatjacht», witzelt er. «Zum Pendeln empfiehlt sich das Taxi-Boot sehr. Die See-Überquerung dauert nur 15 Minuten.»

Menschenrechtsrat pflegen

Als lokaler Botschafter des Gastgeberlandes und Vertreter der Schweiz auf dem internationalen Parkett gleicht seine Prioritätenliste schnell mal einem Telefonbuch. Eine Priorität aber sticht hervor: Die Sicherstellung, dass der in Genf basierte UNO-Menschenrechtsrat gut funktioniert. Ziel dieses UNO-Gremiums ist es, Menschenrechte weltweit zu schützen. Die Schweiz sitzt für die Periode 2016 bis 2018 zusammen mit 46 anderen Ländern bereits zum dritten Mal in diesem Rat ein.

In der jüngsten Session des Menschenrechtsrats unterstützte die Schweiz eine ganze Anzahl von Initiativen. Dazu gehörten eine Resolution über den Zusammenhang von Massengewalt und länderübergreifender Justiz sowie eine Resolution zu kulturellen Rechten und den Schutz von kulturellem Erbe in bewaffneten Konflikten. Die Schweiz ist auch Teil einer «Gruppe von Freunden» im Kampf gegen gewalttätigen Extremismus.

Der Menschenrechtsrat sei viel besser als sein Ruf, sagt der Diplomat. Es gebe Grundanliegen. Doch sei der Rat auch ein Spiegel der aktuellen Ereignisse. «Die Welt wird komplizierter und zersplitterter.» Der Rechtskenner ist voll des Lobes für die universelle periodische Überprüfung (UPR) – ein System, bei dem UNO-Mitgliedstaaten die Menschenrechtssituation in einem anderen Mitgliedstaat analysieren und beleuchten.

Botschafter Valentin Zellweger wurde 1962 in Basel geboren. Er studierte Recht an den Universitäten Basel und Neuenburg und schloss mit einem Doktorat in internationalem Recht ab.

1991 trat er in den Dienst des Aussendepartements und beendete sein Praktikum beim Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie bei der Schweizer Botschaft in Nairobi. Später arbeitete er als Rechtsberater für die Mission der Vereinten Nationen in New York.

Von 2003 bis 2007 beteiligte er sich als Kabinettchef des ersten Präsidenten des Internationalen Strafgerichtshof in den Haag am Aufbau des neu gegründeten Gerichtshofes. 2007 kehrte er in die Direktion für Völkerrecht nach Bern zurück, wo er von 2010 bis 2016 als Direktor amtete.

Seit dem 1. August 2016 ist er Chef der Ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf.

Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Lösung der Situation anpassen

Wie geht ein kleines Land wie die Schweiz in solch multilateralen Foren wie dem Menschenrechtsrat vor? «Wir versuchen unsere Beiträge dem aktuellen Thema anzupassen», erklärt Zellweger. Manchmal mache es Sinn, einen konzeptionellen Input zu bringen. Andere Menschenrechts-Themen wiederum gehe man besser mit Arbeit an der Basis und Kontakten zur Zivilgesellschaft an. Manchmal biete es sich auch an, Brücken zwischen verschiedenen Parteien zu bauen. «Eine einzige Lösung für alles gibt es nicht.»

Die Stärken und Schwächen des multilateralen Systems waren Thema an der Jahreskonferenz der Vorsteher der Schweizer Auslandvertretungen. Das Treffen fand erstmals an der UNO in Genf statt. Aussenminister Didier Burkhalter sagte, die Schweiz habe gute Karten, wenn es darum gehe, dieses System zu stärken – sei es durch Dialog und Konsens, erfinderische Ideen oder durch den pragmatischen Ansatz der Arbeit in Kleingruppen.

Das sieht Zellweger auch so: «Eine der Stärken der Schweiz ist es, dass wir als ehrlicher Akteur gelten.» Die Schweiz habe keine versteckten Pläne oder strategischen Ziele, die Umwege nötig machten. «Mit Pragmatismus und Realismus finden wir oft Lösungen, die Lücken zwischen unterschiedlichen Positionen schliessen können.» Es gehe immer um Kompromisse, so der Botschafter. «Wir erreichen unsere Ziele, in dem wir anderen zuhören und verstehen, was sie sagen. Schliesslich finden wir gemeinsame Zugänge. Das gehört fast ein bisschen zu unserer DNA.»

Über das Bisherige hinaus

Eine weitere Priorität der Schweizer Mission in Genf ist es, Pläne zur Renovation verschiedener Hauptsitze internationaler Organisationen in Genf, darunter den Palais des Nations – das UNO-Gebäude – zu betreuen. Zwei Milliarden Schweizer Franken sind für neue Gebäude und Renovationen sowie für den Ausbau des lokalen Verkehrs vorgesehen. Der Bund, der Kanton Genf und die Stadt Genf beteiligen sich mit zinslosen Darlehen in der Höhe von 400 Millionen Franken.

Ein kürzlich in der Westschweizer Zeitung «Le Temps» erschienener Leitartikel kritisierte Schweizer Beamte wegen ihrer «diskreten Hotel-Manager-Mentalität». Er forderte, dass sie sich mehr in politische Diskussionen einbringen und ihre demokratischen Werte bekräftigen.

Zellweger bestätigt, dass das Schweizer Demokratie-Modell und dessen Werte in der Diplomatie von hohem Nutzen sein können. «Wo immer du hingehst, haben die Menschen von der Schweiz das Bild eines Hafens des Friedens und des Dialogs. Das wichtigste ist, dass uns das viel Glaubwürdigkeit verschafft.» Auf die Hotel-Manager-Kritik geht der Diplomat nicht näher ein. Der Bund und die Kantone hätten eine langfristige Strategie, um das internationale Genf zu stärken. Allerdings brauche es tatsächlich mehr als die herkömmliche Arbeit.

«Die heutigen Probleme können nicht von den Regierungen alleine gelöst werden», sagt Zellweger. Nötig sei ein Ansatz, der nicht nur die Zivilgesellschaft und die Hochschulen einschliesse, sondern auch die Geschäftswelt. Eine Gesundheitskrise beispielsweise könne man nicht ohne Pharmaindustrie bewältigen. Genf habe ein grosses Potenzial. Die Geschäftswelt sei sehr präsent und man sei offen für einen umfassenden Ansatz. Es gehe um die Haltung, die Kompromissbereitschaft sowie das Nicht-Ausgrenzen. «Da liegt unsere Stärke.»

(Übertragen aus dem Englischen: Kathrin Ammann)

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