Spannungen mit Sri Lanka erreichen Höhepunkt
Zwischen Sri Lanka und der Schweiz herrscht Streit. Im Zentrum steht eine traumatisierte lokale Angestellte der Schweizer Botschaft in Colombo. Die dortige Justiz hat diese in den letzten Tagen über 20 Stunden lang verhört – und hält sie weiter fest.
Am Anfang steht ein Ereignis vom 25. November, über dessen Wahrheitsgehalt die beiden Länder nun streiten. Nach Angaben des Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wurde eine Botschaftsmitarbeiterin in Sri Lanka von Unbekannten über längere Zeit festgehalten, um sie zu zwingen, «botschaftsbezogene Informationen» offen zu legen.
Das EDA spricht in der Folge von einem «sehr gravierenden und nicht akzeptablen Angriff auf eine diplomatische Vertretung». Bern bestellt den Botschafter Sri Lankas ein.
Schweizer und Sri lankische Medien stellten das Ereignis von Ende November in den Zusammenhang mit einer prominenten Flucht aus Sri Lanka: Abgesetzt hatte sich – samt Familie – am Tag vor der Attacke der hochrangige Polizeibeamte Nishantha Silva. Dieser hatte zuvor Ermittlungen gegen den Präsidenten Gotabaya Rajapaksa geführt, der acht Tage zuvor gewählt wurde.
Silva floh laut Medienberichten aus Furcht vor der neuen Regierung nach Genf und beantragte dort Asyl.
Als konsularische Angestellte hat die Mitarbeiterin tatsächlich die Möglichkeit, einzusehen, wer in die Schweiz ausreist: Also Informationen, die für die sri-lankische Regierung zum betreffenden Zeitpunkt zweifellos von Interesse waren.
Was der konsularischen Angestellten in Colombo genau widerfahren ist? Kaum feststellbar. Sri lankische Medien berichten von einer Entführung in einem weissen Van.
Verlässlich erscheint ein BerichtExterner Link über die Schilderung des Schweizer Botschafters Hanspeter Mock gegenüber dem Aussenministerium Sri Lankas: Die Angestellte sei entführt, belästigt und von mehreren Männern verhört worden, die sich selbst als Polizeiermittler ausgegeben hätten.
Mehrere Tage nach dem Vorfall meldet die Schweizer Botschaft, dass die Angestellte aufgrund ihres Zustands nicht in der Lage sei, über das Geschehene zu berichten.
Sie wird nach dem Vorfall in der Botschaft betreut und über Skype von einem Schweizer Arzt beurteilt. Empfohlen wird dann offenbar eine Ausreise per Ambulanzjet.
Dann setzt Sri Lanka Druck auf:
- Am 2. Dezember zweifelt das Aussenministerium des Landes die Geschichte der Mitarbeiterin an.
- Am 3. Dezember verhängt Sri Lanka ein Ausreiseverbot gegen die Mitarbeiterin und bietet sie auf, bei der Strafverfolgungsbehörde zu erscheinen.
- Die Schweizer Botschaft legt ein ärztliches Attest vor.
- Am 8. Dezember findet dennoch eine erste Anhörung statt. Sie dauert 9 Stunden. Die Angestellte soll medizinisch untersucht werden. Da keine weibliche Ärztin anwesend ist, wird dies vertagt.
- Am 9. Dezember eine weitere Anhörung, sie dauert 6 Stunden. Die medizinische Untersuchung wird vorgenommen. Sie soll feststellen, ob sexuelle Übergriffe oder physische Gewalt erfolgt sind. Die Ausreisesperre wird auf den heutigen 12. Dezember verlängert.
- Am 10. Dezember eine weitere Anhörung. Lokale Medien berichten, dass die intensiven Befragungen der Angestellten insgesamt zu Widersprüchen mit zunächst geäusserten Aussagen geführt hätten.
- Auf den heutigen 12. Dezember wurde die Mitarbeiterin erneut vorgeladen. Gleichzeitig hat ein Gericht ihre Ausreisesperre bis zum 17. Dezember verlängert.
Beobachter kritisieren, das Verfahren mache das Opfer zur Täterin. Oppositionsparlamentarierin Rohini Kaviratne zeigt sich schockiert, dass die Mitarbeiterin solchem «Stress und Druck» ausgesetzt wurde .
Auffällig ist, dass der Fall der Angestellten vom CID, dem Criminal Investigation Departement, untersucht wird. Das ist dieselbe Einheit, die auch angehalten ist, die Flucht ihres ehemaligen Ermittlers nach Genf aufzuklären. Und es ist auch dieselbe Einheit, als deren Mitglieder sich die Angreifer aus dem weissen Van der Angestellten gegenüber offenbar zu erkennen gaben.
Die Affäre erregt in Sri Lanka Aufsehen und wird politisch genutzt: Dem Präsidenten nahestehende Politiker sagen, dass ein «Entführungsdrama» inszeniert worden sei, um von der Flucht von Nishantha Silva abzulenken. Vor allem aber: Um die neue Regierung international in Misskredit zu bringen.
Tatsächlich wird der Schweiz und insbesondere Botschafter Hanspeter Mock von singhalesischen Politikern und staatsnahen Medien vorgeworfen, eine Kampagne gegen die neue Regierung Sri Lankas zu fahren.
Gotabaya Rajapaksa ist der Bruder von Ex-Präsident Mahinda Rajapaksa. Die Einschätzung von SRF-Südasien-Korrespondent Thomas Gutersohn: «Mahinda hat das Land von 2005 bis 2015 wie ein Familienbetrieb geführt. Alle wichtigen Ämter wurden von seinen Brüdern geführt. Jetzt kehrt er als Bruder des gewählten Präsidenten zurück. Das weckt bei den Minderheiten Erinnerungen. Die Rajapaksas hatten 2009 den Bürgerkrieg gegen die Tamil Tigers blutig beendet – mehrere Zehntausend tamilische Zivilisten kamen ums Leben. Gotabaya Rajapaksa war damals Mahindas Feldherr.»
In Genf tagt jeweils der UNO-Menschenrechtsrat, bei dem unter anderem die Verbrechen der Rajapaksa-Brüder gegen die Minderheit der Tamilen aufgearbeitet werden. Die Regierung stellt diesen Prozess als Schmutzkampagne des Westens gegen ihr Land dar. Offenbar misst sie der Schweiz als Gastgeberin dabei eine besondere Rolle zu.
Die Schweiz war während Jahrzehnten ein bevorzugtes Fluchtland für die tamilische Minderheit und hat heute eine grosse tamilische Diaspora von rund 50’000 Mitgliedern. Unter ihnen leben auch 138 nicht anerkannte, abgewiesene Flüchtlinge, die rückgeführt werden sollten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert nun dringend einen StoppExterner Link, da sich die Situation für die Tamilen auf Sri Lanka dramatisch verschlechtert habe.
Der Schweizer Botschafter Hanspeter Mock weilt entgegen anderslautenden Berichten aus Sri Lanka laut EDA noch immer in Colombo. Und in Bern steht noch immer ein Ambulanzjet, der die Angestellte in die Schweiz fliegen könnte. Die Regierung Sri Lankas vertritt laut einem MedienberichtExterner Link aber die Position, dass der Frau eine Ausreise ohne die entsprechenden Formalitäten nicht zu erlauben sei.
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