Samuel Schmid: «Auch Anti-Doping-Agentur muss Schuld eingestehen»
Während neun Jahren war er aus dem Scheinwerferlicht verschwunden. Am 5. Dezember 2017 trat der ehemalige Bundesrat und Sportminister Samuel Schmid wieder an die Weltöffentlichkeit, als er die Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses zum Thema Staatsdoping in Russland präsentierte. Mit swissinfo.ch sprach Schmid über den Skandal, der die Welt des Sports erschütterte, und eine mögliche Beteiligung von Wladimir Putin.
Es fehlte nur noch ein Kaminfeuer, und die Szene wäre perfekt gewesen. Auf der einen Seite ein Journalist von etwa vierzig Jahren, auf der anderen Seite ein pensionierter Bundesrat, der erzählte; eine Art Nachstellung eines Gemäldes von Albert Anker.
Samuel Schmid, 71, empfängt mich in seinem Wohnzimmer in Rüti bei Büren im Berner Seeland und erinnert sich mehr als zwei Stunden lang an seine politische Vergangenheit.
«Ich wünsche mir, dass zuoberst auf dem Podest ein echter Sieger steht, nicht ein Betrüger.»
Und dann spricht er auch über sein kürzliches Comeback ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit: Es war der 5. Dezember 2017, als er in Lausanne am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit seiner monotonen Stimme Zeile um Zeile die Schlussfolgerungen aus dem Doping-Skandal vorlas, den die von ihm geleitete IOC-Untersuchungskommission untersucht hatte.
«Die systematische Manipulation des Anti-Doping-Systems in Russland ist besorgniserregend, kriminell. Doch es wird leider nicht der letzte Skandal im Sport gewesen sein», sagt Samuel Schmid.
swissinfo.ch: Verfolgen Sie die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang?
Samuel Schmid.: Ja, ich verfolge sie, aber nur am Fernsehen. In meinem Alter habe ich das Recht, es etwas gemächlicher anzugehen. Bei 20 Grad unter null stehe ich nicht gerne Schlange vor Kontrolleuren. Im März hingegen werde ich im Namen des Bundesrats nach Südkorea reisen, um bei den Paralympischen Spielen dabei zu sein.
swissinfo.ch: Dieser erneute Doping-Skandal ist sicher nicht gut für den Sport.
S.S.: Ich hoffe, dass bei diesen Olympischen Winterspielen unabhängige und korrekte Kontrollen durchgeführt werden. Ich wünsche mir, dass zuoberst auf dem Podest ein echter Sieger steht, nicht ein Betrüger.
Der Sportminister
Samuel SchmidExterner Link, ehemals Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), trat am 12. Dezember 2008 von der politischen Bühne ab. Mit gebrochener Stimme, die Augen voller Tränen, gab er an jenem Tag seinen Rücktritt aus dem Bundesrat (Landesregierung) bekannt.
Den Rücktritt verkündete er nach einer Operation, aber vor allem wegen der «Affäre Roland Nef». Wenige Wochen nach der Ernennung Nefs zum Armeechef hatte die Schweizer Presse enthüllt, dass gegen diesen eine strafrechtliche Ermittlung läuft. Wochenlang hatte das Thema die Titelseiten der Schweizer Zeitungen dominiert.
Andererseits frage ich mich, warum man noch nicht in der Lage ist, Urinproben-Röhrchen mit einem Deckel herzustellen, der Manipulationen und Fälschungen der Tests verunmöglicht. Wir sind fähig, zum Mond zu fliegen, komplizierteste Mechanismen zu bauen, aber dieses Problem haben wir noch nicht lösen können.
Es wäre eine Art Kapitulation des Anti-Dopings, wenn auch diese Spiele von Dopingfällen überschattet würden. Das IOC hätte dann zwei Jahre Zeit – bis zu den nächsten Sommerspielen in Tokio 2020 –, um wieder ein Minimum an Glaubwürdigkeit in das Anti-Doping-System herzustellen.
swissinfo.ch: Im Rahmen ihres Mandats in der IOC-Untersuchungskommission haben Sie hunderte Seiten von Dokumenten zum russischen Doping-Skandal geprüft. Haben Sie Hinweise auf eine Verstrickung Wladimir Putins gefunden?
S.S.: Nein, wir haben keinen einzigen Beweis für eine mögliche Verstrickung in dieser Angelegenheit gefunden. Hingegen kannte der Sportminister Witali Mutko, ein Mann, der dem Präsidenten nahesteht, das System, mit dem Doping-Substanzen heimlich verabreicht und Tests manipuliert wurden. Zudem hatte dieser mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ein Leistungsmandat unterzeichnet, in dem er die Zuständigkeit für die Überwachung des Anti-Doping-Labors in Moskau übernommen hatte.
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Jenes Labor hingegen deckte und schützte jahrelang die russischen Athleten, die gedopt haben. Überraschend ist auch die Tatsache, dass die Sicherheit dieses Labors durch den Geheimdienst und nicht durch die Polizei garantiert wurde.
swissinfo.ch: Laut einem aktuellen Dokumentarfilm des deutschen Journalisten Hajo Seppelt soll Putin hingegen davon gewusst und sogar schon ab 2008 Staatsdoping befürwortet haben.
S.S.: Auch ich habe diesen Dokumentarfilm auf dem deutschen Sender ARD gesehen und einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung gelesen, in dem über eine mögliche Verstrickung des russischen Präsidenten geschrieben wurde. Doch weder im Artikel noch im Film wurden neue Beweise geliefert.
Die These des Journalisten basierte allein auf den Aussagen von Grigori Rodtschenkow, dem Ex-Direktor des Moskauer Labors, der in die USA floh und heute ins US-Zeugenschutzprogramm eingetreten ist. Er war ein Akteur in diesem Spiel und ist daher nicht der glaubwürdigste Zeuge. Momentan basiert diese These einzig auf Hypothesen und Annahmen.
swissinfo.ch: Hätte dieser Skandal verhindert werden können?
S.S.: Ich bin der Meinung, dass auch die WADA eine Schuld eingestehen muss. Bereits 2011 hatte sie Hinweise von Seiten russischer Athleten erhalten, gemäss denen es Ungereimtheiten im Antidoping-Labor in Moskau gab.
«Natürlich fällt es nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, mit illegalen Mitteln zu gewinnen, wenn Ruhm und Geld locken.»
Die WADA aber liess sich vom Ruf des Labors und des Direktors Grigori Rodtschenkow blenden. Dieser ist eine sehr zwielichtige Figur, die einen besonderen beruflichen Hintergrund hat. Nachdem er entlassen worden war, arbeitete er im psychiatrischen Bereich und wurde dann vom selben Labor in Moskau wieder eingestellt.
swissinfo.ch: Der Kampf gegen Doping scheint aussichtslos. Haben Sie sich auch schon überlegt, wie diese Geissel des Sports wirksamer bekämpft werden könnte?
S.S.: Es braucht eine Nulltoleranz gegenüber jenen, die sich dopen. Deshalb müssen wir mit allen Mitteln gegen Doping kämpfen. Doch natürlich fällt es nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, mit illegalen Mitteln zu gewinnen, wenn Ruhm und Geld locken. Geld, das nicht nur den Sportlern zufällt, sondern auch Trainern und Sportverbänden.
Ich habe dem IOC-Präsidenten empfohlen, eine neue Methode bei den Anti-Doping-Untersuchungen einzuführen. Im Fall von konkreten Verdachtsmomenten sollten die Athleten selber ihre Unschuld beweisen müssen. Das würde eine Umkehr der Beweislast bedeuten.
Ich denke, die WADA sollte zudem eine Art Mediationsbüro einrichten, an das sich Sportlerinnen und Sportler anonym wenden könnten, um mögliche Verdachtsmomente über Dopingfälle innerhalb ihres Verbandes zu melden.
Russland in Pyeongchang
Trotz der Suspendierung des russischen Olympischen Komitees hat das IOC entschiedenExterner Link, dass russischen Athletinnen und Athleten an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang teilnehmen können.
Jene 168 so genannt saubere Sportler haben die Möglichkeit erhalten, entweder als Einzelpersonen oder in einer Mannschaft als «russische Olympia-Sportler» zu starten.
Sie treten unter der olympischen Flagge und in neutralem Dress an und werden bei einer Spitzenplatzierung auf dem Podium von der olympischen Hymne begleitet.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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