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Doris Leuthard ist Bundespräsidentin

Der Aargauer Regierungspräsident Roland Brogli (r.) gratuliert der neu gewählten Bundespräsidentin Doris Leuthard. Keystone

Wirtschaftsministerin Doris Leuthard ist Bundespräsidentin für das Jahr 2010: Die christlichdemokratische Aargauer Politikerin ist von der Vereinigten Bundesversammlung am Mittwoch turnusgemäss in das Amt gewählt worden.

Doris Leuthard ist die dritte Frau in diesem Amt. Von den 183 gültigen Stimmen erhielt Leuthard 158. Das absolute Mehr lag bei 92 und war damit so tief wie selten bei der Besetzung des Bundespräsidiums.

Damit schnitt Leuthard bei der Wahl besser ab als ihre Vorgängerinnen
im Bundespräsidium. Ruth Dreifuss kam zwar ebenfalls auf 158 Stimmen, doch war das absolute Mehr mit 106 Stimmen höher. Micheline Calmy-Rey wurde 2006 mit 147 Stimmen gewählt, bei einem absoluten Mehr von 97.

Das Amt des Vizepräsidenten der Eidgenossenschaft übernimmt Moritz Leuenberger. Der 63-jährige Vorsteher des Vorsteher des Eidg. Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ist mit 128 Stimmen gewählt worden, bei einem absoluten Mehr von 94 Stimmen.

Dieses Resultat für Leuenberger ist das schlechteste für einen Vizepräsidenten seit Bestehen der Bundesversammlung in der aktuellen Grösse ab März 1979. Mit der Wahl winkt dem amtsältesten Bundesrat nach 2001 und 2006 im Jahr 2011 das dritte Präsidialjahr.

Leuthard – eine aussergewöhnliche Politkarriere

Die Wahl zur Präsidentin der Eidgenossenschaft krönt eine aussergewöhnliche und steile Politkarriere. 1997 wurde Doris Leuthard ins Aargauer Kantonsparlament gewählt. Bereits zwei Jahre später schaffte sie mit dem besten Resultat aller Aargauer Kandidaten den Sprung in den Nationalrat, die grosse Parlamentskammer.

Auf der Führungsebene der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) hat man das Potential der jungen Frau mit ihren einnehmenden Äusseren und strahlenden Lachen früh erkannt. Bereits 2001 wird sie Vizepräsidentin der CVP.

Nur zwei Jahre später befindet sich die CVP als bürgerliche Partei der Mitte in einer tiefen Krise. Seit 1979 verliert sie konstant Wähleranteile und im Jahr 2003 schliesslich den zweiten Bundesratssitz.

Anstelle von CVP-Bundesrätin Ruth Metzler wird das Flagschiff der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher, in die Landesregierung gewählt. Es ist eine Schmach für die CVP. Präsident Philipp Stähelin tritt zurück.

Kommunikative Fähigkeiten

Nachdem vier Präsidenten in zehn Jahren den schleichenden Niedergang der CVP nicht aufzuhalten vermochten, setzt die Partei auf Doris Leuthard, um wieder Boden gut zu machen. Und der so genannte «Doris-Effekt» stellt sich tatsächlich ein.

Die neue Präsidentin überzeugt nicht nur durch ihr frisches und vitales Auftreten, sondern auch durch Kompetenz und Intelligenz. Zudem ist sie ein ausgesprochenes Kommunikationstalent. Mit dem Verteilen von 20’000 Duschmittel-Beuteln, die mit dem Slogan «Erfrischendes Aargau» und ihrem Porträt bedruckt waren, sorgte sie schon im Wahlkampf 1999 für Aufsehen.

Leuthard ist kommunikativ und disponibel. Wenn es sein muss, scheut sie sich nicht, in einer Illustrierten ihre Kollektion an Schuhen zu zeigen oder sich beim Stemmen von Hanteln abbilden zu lassen.

Nach einer langen Durststrecke verfügt die CVP endlich wieder über eine Persönlichkeit, welche nicht nur die angestammte Wählerschaft anzusprechen weiss, sondern auch junge Wählerinnen und Wähler aus unterschiedlichen sozialen Schichten.

Wille zur Erneuerung

Der «Doris-Effekt» zahlt sich bei den Wahlen aus. Die CVP kann in einigen Kantonen wieder zulegen und bei den eidgenössischen Wahlen von 2007 ihre Anteile nach Jahren der Wahlschlappen zumindest stabilisieren.

Doch mittlerweile hat die aufstrebende Aargauerin bereits eine neue Stufe ihrer Karriere erklommen. Als nämlich 2006 CVP-Bundesrat Joseph Deiss zurücktritt, gibt es eigentlich nur eine Person in der Partei, die ihn ersetzen kann: Doris Leuthard. Und tatsächlich wird sie mit erst 43 Jahren in den Bundesrat gewählt. In Vergleich zum traditionellen Durchschnittsalter der Exekutivmitglieder ist sie rund 20 Jahre jünger.

Zusammen mit dem neuen Parteipräsidenten Christoph Darbellay verkörpert die Wirtschaftsministerin den Willen zur Verjüngung einer politischen Partei, die sich modern und aufgeschlossen geben will, einen neuen Konsens in urbanen Zentren sucht, ohne die traditionellen Werte aufzugeben. Dies ist nötig, um die konservative Parteibasis in ländlichen Gebieten zu erhalten.

In diesem politischen Spagat erweist sich Doris Leuthard als Meisterin. So verteidigt sie die traditionellen Familienwerte, setzt sich aber auch für die Rechte der Homosexuellen ein. Sie verfolgt eine liberale Wirtschaftspolitik, fordert aber auch eine verstärkte Hilfe für arbeitslose Jugendliche in Krisenzeiten.

Respektiert und beliebt

Als Folge des schweizerischen Konkordanzsystems und der langwierigen Entscheidungsprozesse gehen der jungen Ministerin aber im Bundesrat bestimmte Qualitäten verloren. Sie vermag in der Landesregierung keine entscheidenden Impulse zu setzen.

Schwierige Dossiers wie die Liberalisierung der Märkte innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) entwickeln sich unabhängig vom Willen der Wirtschaftsministerin. Bei anderen wichtigen Dossiers, wie der Rettung der Grossbank UBS und der Verteidigung des Bankgeheimnisses, steht sie ein wenig im Schatten ihrer Bundesratskolleginnen Eveline Widmer-Schlumpf und Micheline Calmy-Rey.

Doris Leuthard konnte aber doch einige Akzente setzen, beispielsweise mit ihrem Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz. Sie vermochte es zudem, sich bei Arbeitgebern und Gewerkschaften Respekt zu verschaffen. Ihr wird ein guter wirtschaftlicher Sachverstand nachgesagt, obwohl sie klare Fehler beging. So erklärte sie im Herbst 2008, keinerlei Anzeichen für eine Rezession zu sehen.

In dreieinhalb Regierungsjahren hat sich Doris Leuthard nur wenige Feinde gemacht, darunter aber die Bauern dere Organisation Uniterre. Sie bewarfen die Wirtschaftsministerin kürzlich mit Gummistiefeln. Beim Volk geniesst sie eine ungebremste Popularität. Bei Umfragen landet sie stets an erster Stelle – mit ihrem strahlenden Lächeln.

Armando Mombellli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Doris Leuthard wuchs als ältestes von vier Geschwistern auf. Sie wurde 1963 in Merenschwand, einer traditionellen Hochburg der Christlichlichdemokraten im Kanton Aargau, geboren.

Sie schloss 1988 in Rechtswissenschaft an der Universität Zürich ab. 1991 erhielt sie das Anwaltspatent und arbeitete bis 2006 in Kanzleien in Wohlen und Muri (Kanton Aargau).

1997 wurde sie in den Grossen Rat (Legislative) des Kantons Aargau gewählt. 1999 kandidierte sie erfolgreich für den Nationalrat.

Nach drei Jahren als Vizepräsidentin wurde Leuthard 2004 zur CVP-Parteipräsidentin gewählt.

Am 14.Juni 2006 wurde sie in den Bundesrat (Landesregierung) gewählt, und seit Amtsantritt am 1. August 2006 leitet sie das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement.

Vor ihrem Eintritt in die Regierung war sie unter anderem Verwaltungsratsmitglied bei der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg, der Neuen Aargauer Bank und der Krankenkasse CSS.

Der Bundespräsident beziehungsweise die Bundespräsidentin wird in der Schweiz in der Wintersession jeweils anfangs Dezember von der Vereinigten Bundesversammlung (Nationalrat und Ständerat) für ein Jahr aus dem Kreis der Bundesräte gewählt. Dabei wird ein Rotationsprinzip gemäss Amtsjahren angewandt.

Das Präsidialamt bringt keine zusätzlichen Machtbefugnisse mit sich. Der Bundespräsident beziehungsweise die Präsidentin leitet die Regierungssitzungen und geht vor allem repräsentative Verpflichtungen bei Empfängen, Konferenzen und Veranstaltungen ein.

Die Präsidenten der vergangenen Jahre: Samuel Schmid (2005), Moritz Leuenberger (2006), Micheline Calmy-Rey (2007), Pascal Couchepin (2008), Hans-Rudolf Merz (2009).

Für das Jahre 2010 wird Doris Leuthard die Präsidentschaft übernehmen, während Moritz Leuenberger als Vizepräsident nachrückt.

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