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Auslandschweizer kämpfen für E-Voting, doch die Chancen schwinden

E-Voting
Demo-Abstimmungskarte des E-Voting Systems des Kantons Genf. Keystone

Die Auslandschweizer sammeln Unterschriften für die elektronische Stimmabgabe. Doch in dieser Sache geht es längst nicht mehr nur um die Auslandschweizer. Es geht um alles oder nichts. Die Volksinitiative für ein totales E-Voting-Verbot ist beschlossene Sache.

Die Auslandschweizer-Organisation Externer LinkASO sammelt derzeit Unterschriften für eine PetitionExterner Link. Diese möchte erreichen, dass bis 2021 allen Auslandschweizern die elektronische Stimmabgabe ermöglicht wird. 

In den letzten Jahren sah es gut aus für dieses Ur-Anliegen der Fünften Schweiz. Erste Kantone wagten bereits 2009 Versuche. Schritt um Schritt ging es dann voran. Die Technik hat sich entwickelt, zwei eingehend geprüfte Systeme setzten sich durch. Der Bundesrat stärkte der elektronischen Demokratie ständig den Rücken und trieb sie voran. Und die Bundeskanzlei war den Kantonen behilflich, wie es nur ging. So ist die Anzahl der Auslandschweizer, die elektronisch abstimmen können in weniger als zehn Jahren von einigen Dutzend auf aktuell gut 100’000 Stimmberechtigte angewachsen.

Das sind viel, gemessen an den rund 170’000 Auslandschweizern, die überhaupt Interesse an der politischen Partizipation bekunden, also jenen, die sie sich in ein Stimmregister eingetragen haben. 

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So wie die Entwicklung vorangeschritten war, hätte sich die Lobby der Auslandschweizer also entspannt zurücklehnen können und zusehen, wie Kanton um Kanton dazukommt, bis die zwei Dutzend irgendwann voll sein würden. 

Veränderte Grosswetterlage

Aber allmählich kam die Wende. Die Grosswetterlage änderte sich. In den USA und Frankreich wurden Wahlmanipulationen bekannt. Deutschland und Grossbritannien registrierten Hackerangriffe aus Russland – und auch die Schweiz verzeichnete Cyberattacken auf staatliche Infrastruktur, auf das Aussendepartement EDA oder auf den staatlichen Rüstungsbetrieb Ruag. Es wuchs das Bewusstsein, dass staatliche Infrastruktur verletzlich ist. Länder wie Frankreich oder Norwegen haben E-Voting Projekte inzwischen gestoppt. Auch Schweizer Kantone, die das Verfahren getestet haben, sind davon abgekommen, zuletzt Uri und Solothurn. 

Walter Thurnherr
«Nicht nur für die Auslandschweizer»: Bundeskanzler Walter Thurnherr, genannt Mister E-Voting. Keystone

Der eigentliche Wendepunkt erfolgte aber im Inland, im April 2017. Damals erklärte der Bundesrat, dass E-Voting nun die Testphase verlassen und als ordentlicher Stimmkanal etabliert werden soll. So behäbig die Formulierung, die Botschaft war klar: Es soll vorangehen und zwar schnell, vor allem aber: flächendeckend, also auch in der Schweiz. Bundeskanzler Walter Thurnherr sagte diesen Juni über das Projekt: «Davon profitieren sollen vorab nicht nur die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, sondern alle Stimmberechtigten.»

«Grosses Risiko, wenig Nutzen»

Es war dieses Vorpreschen, das die Kritiker alarmierte. Solange jeder elektronische Urnengang in irgendeinem Kanton als einzelner Versuch galt, als ein Entgegenkommen sozusagen an ein paar Auslandschweizer, solange bot das Projekt als Ganzes wenig Angriffsfläche. Und für die Bundespolitik stellte sich kein Problem: Alles war überschaubar, zeitlich begrenzt, notfalls jederzeit zu stoppen und ohnehin eine Sache der Kantone.

Im April 2017 aber ist das Projekt zum grossen Programm des Bundes für die Schweiz geworden – und damit angreifbar. Im Juni 2018 drückte der Bundesrat dann nochmals aufs Gas. Er bestellte ein entsprechendes Gesetz bis Ende Jahr und erklärte die Testphase für beendet. «Grosses Risiko, wenig Nutzen», mahnte der Tages-Anzeiger. Dass der Bundesrat das Projekt auch unter die Devise «Sicherheit vor Tempo» gestellt hatte, half da nur noch wenig. Die Gegnerschaft war formiert, und sie rekrutiert sich aus allen Parteien.

Franz Grüter
Datensicherheits-Spezialist: E-Voting-Gegner Franz Grüter, hier in den Räumen seiner Provider-Firma Green.ch. Keystone

Dabei sind es nicht die Ewiggestrigen, die am bewährten Wahlsystem festhalten möchten, im Gegenteil: Es ist die digitale Elite, die vor den Gefahren der digitalen Demokratie warnt. Die Speerspitze unter ihnen bilden die Nationalräte Marcel Dobler (FDP), Gründer des grössten Schweizer Online-Shops, Franz Grüter (SVP), Verwaltungsratspräsident des grössten Schweizer IT-Infrastrukturanbieters, und Balthasar Glättli (Grüne), Gründer eines Internet-KMUs. 

Grüter und Glättli haben im September im Parlament Vorstösse auf den Tisch gebracht, welche das Projekt des Bundesrats auf Eis legenExterner Link, beziehungsweise faktisch beerdigenExterner Link wollten. Beide Anliegen hat der Nationalrat – sehr knapp – abgelehnt, auch dank erfolgreichem Lobbying der Auslandschweizer-Organisation. Für die Gegner ist der parlamentarische Weg somit zu Ende. 

«Für ein paar Auslandschweizer und faule Wähler»

Nun aber wenden sie sich direkt ans Volk. Damit droht für die Auslandschweizer der schlimmste aller Fälle: Abbruch der gesamten Übung per Volksbeschluss – und ein Totalverbot für das E-Voting über Jahre hinaus. 


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Bereits im Juni hatte Nationalrat Franz Grüter den Entwurf einer Volksinitiative Externer Linkpräsentiert, die ein komplettes Verbot von E-Voting in der Schweiz fordert – Auslandschweizer inbegriffen. Sie diente als Begleitkulisse für den parlamentarischen Weg. «Wäre mein Moratorium durchgekommen, ich hätte die Initiative zurückgezogen», sagt Grüter. Nun aber kommt sie: Anfang 2019 startet die Unterschriftensammlung. Grüter geht es «um das Vertrauen in das System, in dem unsere politischen Entscheide zustande kommen».

Die meisten Gegner sagen, es gehe gar um das Überleben der Demokratie an und für sich. «Auf dem Spiel steht nichts Geringeres, als dass wir unsere Demokratie riskieren – nur damit ein paar Auslandschweizer und womöglich faule Wähler bequemer abstimmen können», sagt etwa Grüters Mitstreiter, Hernani MarquesExterner Link vom Zürcher Ableger des Hackerkollektivs Chaos Computer Club. 

Gibt es einen mobilisierenden Effekt?

Dabei geht es den Auslandschweizern mitnichten um Bequemlichkeit. Auslandschweizer können oft nur beschränkt an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen. Lange, teils teure Postwege erschweren ihnen die Teilhabe am demokratischen Prozess in der Heimat. Darüberhinaus gibt es ein wichtiges Argument für das E-Voting, das noch nicht einmal wissenschaftlich untersucht ist: Der mobilisierende Effekt, also die positive Auswirkung des Angebots auf die Stimm- oder Wahlbeteiligung (s. Box). 

Externer Inhalt

Diese schwächelt bei den Auslandschweizern. Nur rund 5 Prozent aller 750’000 Auslandschweizer nehmen an Wahlen und Abstimmungen teil. Die meisten von ihnen sind nicht ins Stimmregister eingetragen. Aber auch unter jenen, die grundsätzlich partizipieren, ist die Stimmbeteiligung an Urnengängen im Vergleich zum Inland-Elektorat schlecht, gerade mal halb so hoch.

Würde sich mit der Einführung von E-Voting die Stimmbeteiligung bei den Auslandschweizern verbessern?  E-Voting wird oft als mögliches Mittel gegen sinkende Wahlbeteiligung diskutiert. Zwei Schweizer Forscher gingen der Frage nach. Micha Germann (ETH Zürich) und Uwe Serdült (ZDA) untersuchten 2014 zunächst, ob das Angebot von E-Voting in der Schweiz zu mehr registrierten Wählern geführt hat. Resultat der Studie: Ein solcher Effekt blieb aus. In einer Folgestudie kamen sie 2016 dann zum Schluss, dass E-Voting bei Inländern auch keine Erhöhung der Stimmbeteiligung nach sich zieht. 

Aber: Autor Micha Germann schliesst einen Mobilisierungseffekt unter Auslandschweizern explizit nicht aus. Belegen oder gar untersuchen können die Forscher einen solchen Effekt aufgrund fehlender Daten zwar nicht. In beiden Studien mahnen die Autoren jedoch explizit an, dass man ihre Aussagen nicht auf Auslandschweizer anwenden könne. 

Noch läuft die Unterschriftensammlung der Auslandschweizerorganisation. 8000 sind bereits gesammelt. «Natürlich werden wir die Arbeit noch weiter intensivieren, um diese Zahl zu erhöhen», sagt ASO-Sprecherin Anne-Catherine Clément. «Der Zeitrahmen für das Sammeln von Unterschriften ist, wie wir wussten, kurz.» Am 28. November soll die Petition eingereicht werden. Sie kann angesichts der drohenden Initiative noch ein vernehmbares Ausrufezeichen werden. Doch ein E-Voting-Modell, das hauptsächlich für Auslandschweizer angeboten wird, ist auf der politischen Agenda der Schweiz nicht vorgesehen. 

Mister E-Voting wollte zuviel

Franz Grüter, der mit grossen Schritten den endgültigen Abbruch der Schweizer E-Voting-Strategie vorantreibt, zeigt Verständnis für die Auslandschweizer. Bis im August war er gar in der parlamentarischen Gruppe der Auslandschweizer. Doch für ihn ist klar, wo der Zug entgleist ist. Es geschah in der Bundeskanzlei unter Bundeskanzler Walter Thurnherr, der wegen seines Engagements in der Sache auch Mister E-Voting genannt wird. Thurnherr habe einen grossen Fehler begangen, sagt Grüter. Er wollte E-Voting für alle, ohne ein sauberes Gesetz, das den Weg durchs Parlament genommen hätte. 

Mister E-Voting wollte zu viel, und das auch noch zu schnell. «Damit hat der Bundeskanzler den Auslandschweizern einen Bärendienst erwiesen», sagt Grüter.

Es wird wohl ein Fall für die Urnen – für Bleistift, Couverts und Papier.

Mitarbeit: Sandro Lüscher

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