Ein demokratisches China nach Schweizer Vorbild?
China befindet sich in einer Periode grosser Veränderungen. Nach den grossen wirtschaftlichen Umwälzungen könnten jetzt möglicherweise auch die politischen Reformen folgen. Kann das demokratische Modell der Schweiz auch China inspirieren?
«Ich hoffe, dass die Schweizer Demokratie für China ein Modell sein wird», sagt der junge Künstler, der demnächst in Zürich ausstellen wird.
Auch die andern Chinesen, die vor der Schweizer Botschaft in Peking in der Warteschlange für ein Visum stehen, teilen seine Meinung.
Ein Geschäftsmann, der die Schweiz gut kennt, geht noch einen Schritt weiter: «Alle Chinesen träumen von einer Demokratie, von einer transparenten Regierung nach schweizerischer Art», sagt er.
Ein Velofahrer, der für ein Visum ansteht, weil er von Peking nach Europa radeln will, ist weniger optimistisch: «Mit seinen tausenden von Jahren an Geschichte wird sich China nicht von ausländischen Modellen beeinflussen lassen.»
Fast alle Anwesenden haben von den schönen Landschaften in der Schweiz, von der sauberen Luft gehört. Sie kennen den guten Ruf der Uhrenindustrie. Viele erwähnen die Neutralität und die Stabilität der Schweiz, ein paar auch die Volksrechte.
Nicht auf ganzes Land anwendbar
«Ich bin nicht sicher, ob sie eine klare Wahrnehmung von den politischen Besonderheiten in der Schweiz haben, also von der direkten Demokratie», relativiert der Schweizer Botschafter in China, Blaise Godet.
«Mit ihren 8 Millionen Einwohnern entspricht die Schweiz gerade Mal einem Quartier von Peking. In China gehen nicht einmal die grössten Befürworter der Demokratie davon aus, dass das Schweizer Modell ohne weiteres auf ein dermassen riesiges Land angewendet werden könnte.»
Diese Meinung vertreten auch die beiden Professoren und Schweiz-Kenner Wang Kun und Xu Tiebing. Das Modell der schweizerischen Institutionen sei nicht auf das ganze Land anwendbar, sagen sie. Einzelne Regionen Chinas hingegen könnten davon profitieren.
Wang Kun ist Direktor des schweizerischen Studienzentrums an der Universität für Fremdsprachen in Peking: «Die ländlichen Zonen wollen die direkte Demokratie fördern. Es ist durchaus denkbar, dass Regionen, die grössenmässig den Kantonen in der Schweiz entsprechen, dereinst das politische System der Schweiz übernehmen werden. Das Beispiel der Schweiz kann uns lernen, die Demokratie zu leben und uns stärker am politischen Leben zu beteiligen.»
Demokratie – ein Traum
Für Xu Tiebing, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Peking, ist die Demokratie «ein universeller Traum der Menschheit». Er kann sich vorstellen, dass im lokalen Bereich «versuchsweise das Mittel der Volksinitiative» eingeführt würde.
«Die chinesische Zivilgesellschaft ist am Erwachen. China ist in einer Übergangsphase. Die kommunistische Partei ist nicht mehr so autonom wie in der Vergangenheit.»
Die Wahlen auf dem Land und auch das Recht der Bürger, sich als Kandidat aufstellen zu lassen, erreichen in China schnell ihre Grenzen. Vor allem die ausländischen Medien und die Bloggerszene berichteten in den vergangenen Monaten regelmässig von den Schwierigkeiten unabhängiger Kandidaten, die für nicht wählbar erklärt wurden, obschon sie sich rechtlich gesehen korrekt verhalten haben. Die Gesetze existieren zwar, ihre Anwendung lässt aber zu wünschen übrig.
Neutralität hoch halten
Auch die schweizerische Demokratie hat ihre Grenzen und Schwächen. «In der Schweiz kümmern sich die Bürger mehr um Gerechtigkeit, als um die Effizienz. Bei uns tun sie genau das Gegenteil», sagt Wang Kun.
Die Schweiz versucht in China nicht aktiv, ihre Demokratie ins beste Licht zu stellen. «Die Schweizer Diplomaten halten die neutrale Tradition strikt aufrecht», sagt Xu Tiebing.
Im September 2011 eröffnete China in Genf das Institut Confitius. Es ist der Universität Genf angegliedert.
Zurzeit richtet sich das Institut ausschliesslich an Studenten. Die andern Aktivitäten sind noch im Aufbau.
Gewisse Kreise kritisieren, das Institut sei eine Propaganda-Instrument Chinas. Sie Fragen sich zudem, ob ein Institut, das chinesischem Recht unterstellt ist, an einer Schweizer Universität seinen Platz haben soll.
1987 gründeten die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und die Universität der Fremdsprachen Peking das Studienzentrum Schweiz mit Sitz in Peking.
Das Zentrum liefert dem chinesischen Publikum Informationen über die Schweiz. Es versteht sich zudem als Plattform des Austausches zwischen akademischen und kulturellen Kreisen Chinas und der Schweiz.
Das Zentrum verfügt über Tausende von Büchern und Magazinen über die Schweiz. Es ist ohne Zweifel die kompletteste Dokumentationsstelle der Schweiz in China.
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