Ein hauchdünnes und ein wenig verbindliches Ja
Ein historisch knappes Ja zur Einführung von biometrischen Pässen. Ein wie erwartet deutliches Ja zur Komplementärmedizin und damit zu einem lediglich vage formulierten Verfassungsartikel: Die Analyse der eidgenössischen Volksabstimmung.
Mit 50,1% fiel das Ja zu den biometrischen Pässen hauchdünn aus. Lediglich 5500 von mehr als 1,9 Millionen Stimmenden gaben den Ausschlag. Jeder Zweite stimmte gegen die Vorlage.
Daraus leiten die Gegner der Vorlage ab, dass eine Fast-Mehrheit Nein gesagt habe zur Speicherung der biometrischen Daten (Gesichtsbild, Fingerabdrücke) in der zentralen Datenbank des Bundesamtes für Polizei.
Die Allianz der Gegner kam aus entgegengesetzten politischen Lagern: Unsiono sprachen sie sich nicht gegen die biometrischen Pässe an sich, sondern gegen die Speicherung der Daten in einer zentralen Datenbank aus.
Dass die biometrischen Pässe Teil des Schengen-Abkommens mit der EU sind, spielte im Abstimmungskampf praktisch keine Rolle.
Da waren die Linken und die Grünen, die im Vorfeld der Abstimmung vor der Gefahr einer systematischen Fichierung von politisch unangepassten Personen warnten. Da waren aber auch die Rechtskonservativen, die auf die Sicherheitsrisiken aufmerksam machten.
Linke und Rechtskonservative stellten auch die Tatsache in den Vordergrund, dass das Schengen-Abkommen keine zentrale Datenbank beinhaltet und dass dem Bundesrat nach einem Nein genügend Zeit für eine neue Vorlage ohne Datenbank bleiben würde.
Fehlende Bürgernähe
Im – vor allem medial geführten – Abstimmungskampf stand ein weiteres, weit konkreteres Argument im Hintergrund: Biometrische Pässe sind teurer als herkömmliche.
Sie können nicht mehr auf dem Gemeindebüro bestellt werden. Eine neue, weiter entfernt gelegene, zentrale Verwaltungseinheit wird künftig die Pässe ausstelllen.
Die Befürworter argumentierten, biometrische Pässe garantierten den problemlosen Zollübetritt in jene Länder, die einen Pass als Reisedokument verlangen, und sie seien sicherer vor Fälschungen als die herkömmlichen Pässe.
Die Schweiz als Reiseland sei zudem auf das Schengen-Abkommen angewiesen. Bei einem Nein müssten deshalb chinesische oder japanische Touristen auf Europa-Reisen künftig ein separates Visum für die Schweiz beantragen, hatte es geheissen.
Holzschnittartige Zuspitzungen
Die Befürworter verweisen nach ihrem Sieg darauf, die Tourismukantone hätten die Vorlage mit höheren Ja-Anteilen gutgeheissen. Linke und grüne Gegner führen den hohen Nein-Stimmen-Anteil auf die Angst vor einer weiteren Fichenaffäre zurück.
Die beiden Schlüsse sind holzschnittartig zugespitzt: So weist der Tourismuskanton Luzern zwar den höchsten Ja-Stimmen-Anteil auf, aber andere Tourismusregionen – wie das Berner Oberland – lehnen die biometrischen Pässe ab.
Links-Grüne Städte haben die Vorlage zwar teilweise abgelehnt, aber noch grösser ist die Ablehung in den traditionell konservativen ländlichen Gegenden der West- und der Ostschweiz.
Hier gaben wahrscheinlich eher eine gewisse Technikfeindlichkeit sowie Argumente der höheren Kosten und der administrativen Zentralisierung den Ausschlag.
«Keine ideologischen Muster»
Abgelehnt haben der Grossteil der Westschweizer Kantone, am deutlichsten der Jura, das Tessin sowie ein Teil der Ostschweizer- und Innerschweizer-Kantone. Dennoch ist das Bild nicht einheitlich, es gibt keinen eindeutigen Stadt-Land-Graben und genauso keinen eindeutigen Graben zwischen den Sprachregionen.
«Es gibt auch keine ideologischen Muster, weil sich Links-Grün und Nationalkonservativ in der Ablehnung überdeckt haben, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven», sagt der Politologe Michael Herrmann gegenüber swissinfo.ch.
Unsichere Umsetzung
Mit 67%-Ja-Stimmen wurde die Verankerung der Komplementärmedizin in der Verfassung deutlich angenommen. Das Resultat kommt nicht überraschend, sind doch die ihre Methoden bei der Bevölkerung sehr beliebt.
So deutlich wie das Ja zum Verfassungsartikel auch ausgefallen ist, so unsicher ist seine konkrete Umsetzung bezüglich Zeithorizont und Verbindlichkeit.
Der Ball liegt nun beim Parlament, das entscheiden muss, welche der fünf Methoden der Komplementärmedizin wieder von der Krankenkassen-Grundversicherung bezahlt werden sollen.
Auseinanderstzungen absehbar
Laut der gültigen Gesetzgebung ist dafür der Nachweis der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit jeder Methode im Einzelnen nötig. Da sind Auseinandersetzungen unter Experten und unter Politikern sowie Interessenvertretern vorprogrammiert.
Wie eine engere Zusammenarbeit zwischen Schul- und Komplementärmedizin und eine bessere Ausbildung in Komplementärmedizin aussehen sollen, wird das Parlament entscheiden. Auch in dieser Frage steht die Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern noch aus.
Biometrischer Pass und Komplementärmedizin haben die Stimmberechtigten nur wenig mobilisiert: Mit 38,3% fiel die Stimmbeteiligung beim jüngsten eidgenössischen Urnengang wieder einmal unter die 40%-Marke.
Letztmals weniger als 40% betrug die Beteiligung am 24. Februar 2008, als 38,7% zur Unternehmenssteuer-Reform und zur Volksinitiative gegen Kampfjetlärm Stellung nahmen.
Am 17. Juni 2007 hatten sich gar nur 36,2% für die 5. Revision der Invalidenversicherung (IV) interessiert.
Der neue Pass wird laut der Landesregierung 10 Jahre gültig sein und 140 Franken kosten, zusammen mit einer Identitätskarte 148 Franken.
Für Kinder und Jugendliche betragen die Preise 60 bzw. 68 Franken.
Die Lieferfrist im Inland werde von 15 auf 10 und jene in den Vertretungen im Ausland von 40 auf 30 Tage verkürzt, erklärte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf.
Biometrische Pässe
Ja: 953’136 (50,1%)
Nein: 947’632 (49,9%)
Komplementärmedizin
Ja: 1’282’838 (67,0%)
Nein: 631’908 (33,0 %)
Stimmbeteiligung: 38,3%
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