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Ein schwarzer Peter auf dem Weg ins Endlager

Internationale Forschung im Jura: Das Felslabor Mont Terri. swissinfo.ch

Schweizer und deutsche Experten-Kommissionen sind zum Schluss gekommen, dass ein Atommüll-Endlager in der Schweiz machbar sei. In Frage kommen sechs Standorte. Mit einem komplexen Mitwirkungs-Verfahren will der Bund die betroffenen Regionen an der Suche beteiligen.

Keiner will ihn, dennoch gibt es ihn und er muss irgendwo und irgendwie möglichst sicher endgelagert werden: der radioaktive Abfall.

Im Auftrag der Abfall-Verursacher, also der Atomenergie-Industrie, der Medizin und der Forschung, muss die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) eine Lösung finden für ein Endlager.

Der zeitliche Horizont ist lang. 2040 soll das Lager für die hochaktiven Abfälle seinen Betrieb aufnehmen. Das Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle soll ab 2030 in Betrieb gehen. 2019 wird der Bundesrat einen Standortentscheid fällen. Dieser untersteht dem fakultativen Referendum. Damit wird schlussendlich das Schweizer Stimmvolk über den Standort befinden können.

Im Herbst 2008 hat die Nagra sechs Regionen vorgeschlagen, die für ein geologisches Tiefenlager in Frage kommen. Da sich vier dieser Regionen nur unweit von der deutschen Grenze befinden, sind auch deutsche Politiker und Experten am Evaluationsverfahren beteiligt.

Stand der Wissenschaft

Kürzlich haben eine deutsche und zwei Schweizer Experten-Kommissionen ihre Gutachten zum aktuellen Stand des Verfahrens veröffentlicht. Sie kommen zum Schluss, dass ein Endlager in einer der sechs vorgeschlagenen Regionen unter Berücksichtigung der Sicherheitskriterien und bautechnisch machbar sei.

In ihrem Bericht vom 5. März schreibt die vom deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingesetzte «Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager», dass «die Nagra aus geowissenschaftlicher und sicherheitstechnischer Sicht nach fundiertem und aktuellem Stand der Wissenschaft vorgegangen» sei.

Offene Fragen

Das Eidgenössische Nuklearsicherheits-Inspektorat (ENSI) stuft die sechs vorgeschlagenen Lagerstandorte als «fachlich fundiert» ein.

Die Kommisssion für nukleare Entsorgung bescheinigt der Nagra eine hohe Transparenz und fachliche Kompetenz. Sie weist aber auch auf offene Fragen, insbesondere bei der Bautechnik hin.

«In Einzelfällen gibt es unterschiedliche Einschätzungen, aber für die Gesamtbeurteilung hat das keine Relevanz», sagt Michael Aebersold, Leiter der Sektion Entsorgung radioaktive Abfälle beim Bundesamt für Energie zu den Gutachten.

In rund zwei Monaten werde die Kommission für nukleare Sicherheit das Auswahlverfahren beurteilen, sagt Aebersold. «Nachher ist die erste von drei Phasen zum Thema Sicherheit abgeschlossen.»

Noch kein Standortentscheid

Das heisst konkret, dass sich im Früherbst die Kantone und Gemeinden, die politischen Parteien und die Bevölkerung in den betroffenen Regionen – also auch in Deutschland – im Rahmen einer Vernehmlassung zur Standortwahl werden äussern können.

Mitte 2011 wird der Bundesrat entscheiden, welche Regionen im Auswahlverfahren bleiben.

«Das ist noch kein Standortentscheid, sondern eine Auslegeordnung der möglichen Regionen, die sich punkto Sicherheit und aufgrund der bestehenden Kenntnisse eignen für ein solches Lager», sagt Aebersold.

Nicht auf der Wunschliste der Politiker

Anschliessend müsse die Nagra mit vertieften Untersuchungen «eine Einengung» vornehmen und schliesslich sagen, wo sie ein geologisches Endlager bauen wolle, so Aebersold. Am Schluss dieser zweiten Etappe – bei der auch die sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen auf die Regionen untersucht werden – muss der Bundesrat die Standorteinengung genehmigen.

Ein radioaktives Endlager schafft Arbeitsplätze, trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung einer Region bei, schürt aber auch Ängste. Keine Gemeinde und kein Kanton hat ein Endlager auf der Liste seiner Standortförderung, im Gegenteil, keiner will es vor seiner Haustüre haben.

Chance für die lokale Entwicklung?

«Unsere Aufgabe ist es, das Verfahren und seine Grenzen und Möglichkeiten zu erläutern, Vertrauen aufzubauen», sagt dazu Aebersold. «Laut Umfragen sind sich 80 oder sogar 90% der Bevölkerung bewusst, dass das Problem jetzt gelöst werden muss und zwar in der Schweiz.»

Vertrauen aufbauen, das heisst für das Bundesamt für Energie: Informationsveranstaltungen in den Turnhallen der betroffenen Regionen, Einbezug der lokalen Politiker. «Fakten müssen auf den Tisch, das Verfahren muss nachvollziehbar, transparent und fair sein» hält Aebersold fest.

Natürlich versuche der Bund auch, die betroffenen Regionen davon zu überzeugen, dass ein von den Verursachern finanziertes Endlager eine Chance für die lokale Entwicklungsstrategie sein könne, räumt Aebersold ein. Studien für den Wellenberg und das Zürcher Weinland hätten aber auch gezeigt, dass die Auswirkungen «nicht so riesig» seien.

Bleiben noch die Entschädigungen, mit denen die zukünftige Standortregion wird rechnen können. «Darüber reden wir heute noch nicht. Der Sachplan sieht das erst in der dritten Phase vor.»

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Schwerpunkt der 1. Etappe ist die Identifizierung geeigneter Standortgebiete aufgrund von sicherheitstechnischen und geologischen Kriterien.

Im Zentrum der 2. Etappe liegt die Partizipation: Die Standortregionen haben die Möglichkeit, bei der Konkretisierung der Lagerprojekte sowie den Untersuchungen der sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten.

Zudem werden die Standorte sicherheitstechnisch verglichen, bevor die Nagra pro Abfallkategorie mindestens zwei Standorte vorschlagen kann.

In der 3. Etappe werden die verbleibenden Standorte vertieft untersucht.

Um einen gleichwertigen sicherheitstechnischen Kenntnisstand zu erhalten, sind aus heutiger Sicht erdwissenschaftliche Untersuchungen, inklusive Sondierbohrungen, notwendig.

Vor der Einreichung von Rahmenbewilligungsgesuchen müssen zudem die Grundlagen für Kompensations-Massnahmen und für die Beobachtung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen erarbeitet sowie die Frage der Abgeltungen geregelt werden.

swissinfo.ch
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