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«Einwanderungsentscheid: Rückschlag für unsere Arbeit»

Mitglieder des UNO-Ausschusses zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) zeigen sich besorgt über die Auswirkungen der Volksabstimmung zur Immigrationsbeschränkung. Keystone

Die Schweiz benötige landesweite Sensibilisierungskampagnen, die weit in ländliche Gebiete reichten, um der Ausländerfeindlichkeit entgegen zu wirken. Das sagt die Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus in Bezug auf das Abstimmungsergebnis zur "Masseneinwanderungs-Initiative".

Sabine Simkhovitch-Dreyfus sprach mit swissinfo.ch am Tag, als die Schweiz ihren Rassismus-Bericht vor dem UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung (CERD) in Genf im Rahmen der wiederkehrenden Länderberichte präsentierte.

Gestützt auf die Ergebnisse prüft sie die Auswirkungen der jüngsten Abstimmung über Immigrationsbeschränkungen und skizziert künftige Anti-Diskriminierungsprioritäten für die Schweiz.

Am 9. Februar hatte das Schweizer Stimmvolk mit einer knappen Mehrheit Ja gesagt zu einer Initiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei «gegen Masseneinwanderung».

Courtesy of Sabine Simkhovitch-Dreyfus

Das Abstimmungsergebnis hat unter den Mitgliedern des UNO-Ausschusses gegen Rassendiskriminierung (CERD) zahlreiche Bedenken ausgelöst. Einige Mitglieder sagten, dass die Botschaft «das Boot ist voll» eine diskriminierende und ausländerfeindliche Botschaft spiegle. Welche möglichen Konsequenzen wird das Abstimmungsergebnis auf ihre Arbeit haben?

Sabine Simkhovitch-Dreyfus: Wir glauben nicht, dass alle, die für die Initiative gestimmt haben, ausländerfeindlich sind. Das war nicht das einzige Motiv, aber es war ein Teil davon und Grund zur Beunruhigung. Die Gründe, die zu dem Resultat führten, sind vielschichtig.

Es ist schwierig, die genaue Wirkung der Abstimmung auf unsere Arbeit vorauszusagen, aber es ist ein Rückschlag. Es erschwert einige praktische Aspekte und nährt die Wahrnehmung, dass die Menschen, die hier her kommen, mehr Probleme als etwas anderes mitbringen.

Es ist zu früh, um sagen zu können, ob rechtsextreme Gruppen in der Schweiz, die nicht mehr so stark wie vor ein paar Jahren und ganz sicher schwächer als jene in anderen europäischen Ländern sind, Aufwind erhalten werden. Aber wir müssen sehr wachsam bleiben.

Schlussbemerkungen von Anastacia Crickley, Berichterstatterin des CERD für die Schweiz:

«Der Ausschuss schätzt die präzisen und ehrlichen Antworten der Schweizer Delegation, sagt aber auch, dass die Vorurteile in gewissen Medien und Hassreden von Politikern nicht direkt behandelt wurden.»

«Die abschliessenden Beobachtungen des Ausschusses greifen folgende Themenbereiche auf: Antidiskriminierungs-Gesetzgebung, Integrationsprogramme, Datensammlung und die Entwicklung einer nationalen Institution für Menschenrechte.

«Wir sind beunruhigt über den unterschwelligen Trend zur ‹Demokratisierung der Diskriminierung›.»

«Obwohl die positiven Massnahmen der Schweiz begrüsst wurden, blieb der Eindruck zurück, dass Rassendiskriminierung nicht wirklich auf dem gleichen Niveau behandelt wurde, wie Geschlechter- oder andere Formen der Diskriminierung.»

swissinfo.ch: Welches sind für Sie die Prioritäten, die sich aus der letzten Aufgabenstellung des CERD ergeben?

S.S.-D.: Die Anti-Rassismus-Norm im Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuchs stellt Rassendiskriminierung unter Strafe und ist im Allgemeinen gut umgesetzt. Aber in einigen Regionen sind sich die Behörden der Notwendigkeit nicht bewusst, die Norm in gewissen Fällen anzuwenden. Wir glauben auch, dass die Organisationen in Diskriminierungsfällen wie zivile Parteien handeln können sollten.

Auch der Prävention sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Für Kinder sind Sensibilisierungskampagnen wichtig. Es ist zwar eine kantonale Angelegenheit, aber nichts hindert die Bundesbehörden daran, eigene Kampagnen zu lancieren und aktiver zu sein.

In einigen Kantonen wird viel getan, und das müssen wir anerkennen. In anderen wird wenig oder nichts gemacht. In eher ländlichen Regionen gibt es tendenziell wenig Prävention aber umso mehr Vorurteile gegenüber Menschen, die verschieden sind.

Es ist wichtig, in jene Regionen zu gehen, wo die Kantone nicht sehr aktiv sind. Es ist vor allem wichtig zu zeigen, dass kulturelle und religiöse Unterschiede dem Land positive Impulse geben können.

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Damit verbunden ist das ausgesprochen kontraproduktive Phänomen, wie politische Abstimmungskampagnen geführt werden. Es gab viele Kampagnen, bei welchen Ausländer oder Menschen anderer Religionsgruppen im Fokus standen und diesen ein negatives Image verliehen.

Es gibt kriminelle Ausländer – und natürlich auch kriminelle Schweizer. Aber Kampagnen generalisieren, und das ist das Gegenteil dessen, was unsere Sensibilisierungskampagnen erreichen sollten. Wir sind der Meinung, dass die politischen Parteien und Akteure bei der Art und Weise, wie sie ihre Kampagnen führen, mehr Verantwortungsbewusstsein haben sollten.

Schlussbemerkungen des Chefs der Schweizer Delegation, Botschafter Jürg Lindenmann:

«Die 50,3% der Ja-Stimmenden können nicht generell als ausländerfeindlich bezeichnet werden. Viele Leute haben Angst vor dem Globalisierungs- und Modernisierungsprozess in ihrem Umfeld. Sie möchten die Schweiz so bewahren, wie sie diese in der Vergangenheit erlebt haben. Allein 2013 sind rund 80’000 Menschen aus dem Ausland in die Schweiz eingewandert, was der Einwohnerzahl von Luzern, der siebtgrössten Schweizer Stadt, entspricht. Die Sorgen der Bevölkerung sollten in die Betrachtungen miteinbezogen werden.»

«Ich danke dem Ausschuss für den offenen und konstruktiven Dialog. Eine Gesellschaft zu bewahren und aufzubauen, in der die Mitglieder miteinander in gegenseitigem Respekt lebten, ist ein permanenter Prozess. Es ist den Behörden sehr bewusst, dass dies ständige Anstrengungen erfordert.»

«Die Schweiz profitiert von der Expertise und vom Ratschlag des Ausschusses bei der Kommunikation ihres Kampfes gegen Rassendiskriminierung.»

swissinfo.ch: Gewisse Aktivisten beklagen, dass die meisten Empfehlungen, die der CERD 2008 gemacht hatte, nicht umgesetzt wurden. Wie beurteilen Sie die Fortschritte der Schweiz im Kampf gegen Rassismus?

S.S.-D.: Fortschritte sind schwierig zu messen. Es gab Anstrengungen, einige Anti-Diskriminierungs-Massnahmen via Kantone im Integrationsgesetz umzusetzen. Auch das neue Schweizerische  Kompetenzzentrum für Menschenrechte hat zum Teil gute Arbeit geleistet.

Es gibt einige positive Beispiele, aber auch Bereiche, wo nichts getan wurde, insbesondere dort, wo es eine parlamentarische Abstimmung erfordern würde. Einige der verlangten Änderungen benötigen politische Entscheidungen, die gerade jetzt schwierig zu fällen sind.

In den letzten 10 Jahren gab es viel Widerstand gegen die Einführung neuer Anti-Diskriminierungsgesetze oder –massnahmen. Wir müssen jeweils hart kämpfen, um nur schon das bisher Erreichte zu verteidigen.

swissinfo.ch: Das Fehlen eines umfassenden eidgenössischen Gesetzes gegen Diskriminierung war erneut eines der wichtigsten Diskussionsthemen. Die Behörden sind der Meinung, dass die geltende Gesetzgebung genügend Schutz biete, aber Kritiker sagen, sie sei unterentwickelt, kostspielig und nicht wirksam gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und auf dem Immobilienmarkt?

S.S.-D.: Die Kommission hat sich 2010 mit diesem Thema befasst und in einem Bericht empfohlen, ein solches Anti-Diskriminierungs-Gesetz zu erlassen, wie es bereits in vielen Ländern existiert, vor allem in der Europäischen Union, aber wir hatten beschränkten Erfolg damit.

Aber wir sind der gleichen Meinung wie der Sonderberichterstatter des CERD, dass es kein verfassungsrechtliches Hindernis gibt und ein solches eidgenössisches Gesetz ins Rechtssystem passt, so wie es mit den Gesetzen gegen Geschlechterdiskriminierung und Diskriminierung von Behinderten der Fall war.

swissinfo.ch: Die Schweizer Delegation hat argumentiert, dass die vierjährigen kantonalen Integrationsprogramme, die im Januar 2014 eingeführt wurden, mithelfen würden, Diskriminierung landesweit zu bekämpfen. Aber der CERD-Sonderberichterstatter war der Ansicht, dass die Integrationsprogramme die Anti-Diskriminierungsanstrengungen verwässern würden. Was ist Ihre Meinung?

S.S.-D.: Integrationsprogramme sind eine gute Sache, solange sie nicht auf Assimilierung abzielen. Integration richtet sich an Menschen, die hier ankommen, und trägt zum besseren sozialen Zusammenhalt bei. Die Programme können mithelfen, Rassismus zu bekämpfen, setzen sich aber mit dem Phänomen als solches nicht auseinander.

Die Tatsache, dass Integrationsprogramme als «die» Antwort auf unsere Anti-Diskriminierungsprogramme betrachtet werden, ist nicht zufriedenstellend. Diskriminierung betrifft in der Schweiz auch Menschen, die sehr gut integriert sind.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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