Schwerer Stand für ökologische Themen im neuen Parlament
Das Parlament ist bei den eidgenössischen Wahlen vom Oktober nach rechts gerutscht und die grünen Parteien haben Mandate verloren. Die Unterstützung für Umwelt- und Klimathemen wird schwächer sein. Ist damit das Ende der Energiewende eingeläutet? Erste Antworten auf diese Frage wird es bereits in der Wintersession geben, die am Montag beginnt.
«Für die ökologische Schweiz beginnt ein dunkles Zeitalter», «Das Parlament zieht bei der Energiewende den Stecker» oder «Die Energiewende wird wahrscheinlich nicht kommen»: Dies waren einige Schlagzeilen in der Schweizer Presse nach den eidgenössischen Wahlen vom 18. Oktober.Externer Link Diese Titel liessen kaum Zweifel offen, welches Schicksal Energiedossiers und Klimathemen im Parlament haben werden.
Die Grüne Partei der Schweiz (GPS) und die Grünliberalen haben im Nationalrat (Volkskammer) zusammen einen Drittel ihrer Sitze verloren (9 von 27). Umgekehrt haben Parteien wie die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Freisinnig Partei (FDP.Die Liberalen), die beide traditionell weniger an der Umweltproblematik interessiert sind, 14 Sitze hinzugewonnen. Im Ständerat (Kantonskammer) sitzt nur noch ein Vertreter der Grünen. Dort sind die Machtverhältnisse fast unverändert geblieben. Unter dem Strich aber lässt sich sagen: Das neue Parlament steht weiter rechts und tickt weniger ökologisch.
Keine Hoffnung für Green Economy
«Es gibt keine Hoffnung mehr auf einen Wechsel der Wirtschaftspolitik in Richtung nachhaltig-ökologische Wirtschaft, oder auf das Erreichen der CO2-Reduktionsziele», sagt Isabelle Chevalley von den Grünliberalen mit einem Hauch von Resignation. Für Umweltanliegen werde es sehr schwierig werden.
Weder die Volksinitiative der Grünen «Für eine grüne WirtschaftExterner Link«, welche einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen fordert, noch der Gegenvorschlag der Regierung werden Mehrheiten im Parlament finden. Der Nationalrat hat bereits in der letzten Session die von der Regierung vorgeschlagene Revision des Umweltschutzgesetzes zurückgewiesen. Die vorberatende Energiekommission des Ständerats empfiehlt den Senatoren, nicht einmal auf die Vorlage einzutreten. Das Geschäft steht diese Woche auf der Tagesordnung.
«Die Schweiz nimmt bereits eine Spitzenposition in Sachen Umweltschutz ein. Neue Vorschriften sind nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich für die Wirtschaft», meint Kommissionspräsident Ivo Bischofberger von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP).
Laut dem Politologen Oscar Mazzoleni hatte die Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 einen starken Einfluss auf die Energie- und Klimapolitik. «Am Anfang der letzten Legislaturperiode hatte man den Eindruck, dass das ganze Parlament einen Richtungswechsel vollzogen hat. Doch dann kam es zu Aufsplitterungen und am Ende kehrte eine gewisse Polarisierung zwischen der wirtschaftsorientierten Rechten und dem rot-grün-ökologischen Lager zurück.»
Schwerer Stand für ökologische Anliegen
Auch die Energiestrategie 2050 www.energiestrategie2050.ch, über die im kommenden Frühling debattiert wird, wird einen schweren Stand im Parlament haben. «Die Chancen stehen schlecht, dass die Energiestrategie in der vom Bundesrat präsentierten Form angenommen wird», meint Isabelle Chevalley.
Das erste Massnahmenpaket sieht eine schrittweise Stilllegung der Schweizer Kernkraftwerke und eine Förderung erneuerbarer Energien vor. Doch viele Punkte sind offen. Die Rechte befürchtet, dass mit dieser Strategie die Energieversorgung der Schweiz nicht garantiert ist. Deshalb wird gefordert, keine maximale Laufzeit für Kernkraftwerke festzulegen. Zudem ist die Skepsis gegenüber erneuerbaren Energiequellen gewachsen.
Noch ungewisser ist das Schicksal der zweiten Phase der Energiestrategie, welche das Verursacherprinzip einführen will. Gemäss dem Leitsatz: Wer mehr verschmutzt und mehr konsumiert, muss mehr bezahlen. Die Erfolgschancen für diese neue Ökosteuer werden von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen mit «Null» eingeschätzt. Er hofft, dass die Zusammensetzung des neuen Parlaments dazu führt, weitere Korrekturen an der Energiestrategie vorzunehmen. In einer Zeit, in der die Schweizer Unternehmungen bereits unter dem starken Franken litten, seien der Wirtschaft weitere Belastungen nicht zumutbar.
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Parlament schiebt Energiewende auf die lange Bank
«Das Parlament hat in der letzten Legislaturperiode schon am ersten Paket der Energiestrategie geritzt, obwohl das Parlament eher links stand. SVP und FDP haben die Energiestrategie immer bekämpft, ohne jedoch eine Mehrheit zu haben. Nun ändern sich die Verhältnisse: Eine komplette Zurückweisung der Energiestrategie ist denkbar», meint Adèle Thorens, Co-Präsidentin der Grünen. Gemäss einer Umfragen via smartvote ist ein Ausstieg aus der Atomenergie bis spätestens 2029, das heisst 60 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten Kernkraftwerks in der Schweiz, wenig wahrscheinlich.
«Für die Grünen und generell für ökologische Anliegen ist der Weg steiler geworden», meint Oscar Mazzoleni. Er ist der Auffassung, dass die Grünen ihre Allianzen im Parlament überdenken müssen, insbesondere mit Blick auf die Mitte-Parteien. «Die CVP könnte zum Zünglein an der Waage werden.» Mazzoleni hat zudem den Eindruck, dass ökologische Themen – mit Ausnahme bei den Grünen – an Relevanz verloren haben. Dies sei nicht eine Folge der politischen Kräfteverhältnisse, sondern auch der aktuellen Geschehnisse in der Schweiz und in der Welt: «Im Moment dominieren die Themen Flüchtlinge, Terrorismus und Sicherheit.»
Volksentscheid als Ultima Ratio
Der auf Energie- und Umweltfragen spezialisierte Journalist Hanspeter Guggenbühl hält es indes für verfrüht, von einem Ende der Energiewende zu sprechen. Auch wenn SVP und FDP im Nationalrat auf eine Mehrheit kämen (101 von 200 Sitzen), seien die Parlamentarier beider Fraktionen in der Energiefrage nicht immer einer Meinung. In bisherigen Abstimmungen habe es durchaus «Dissidenten» gegeben, schreibt Guggenbühl in der Online-Ausgabe der Basler «TagesWoche» und listet die Namen der SVP- und FDP-Nationalräte auf, die für die Energiewende gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben.
Angesichts der Machtverhältnisse im Parlament werden die Grünen möglicherweise Unterstützung ausserhalb des Bundeshauses suchen müssen. Ihre Volkinitiative für eine Grüne Wirtschaft wird voraussichtlich nächstes Jahr zur Abstimmung gelangen. «Falls die Energiestrategie scheitert oder nicht unseren Erwartungen entspricht, werden wir auch auf unsere Volksinitiative von 2012 zurückgreifen, welche forderte, die Atommeiler nach einer Laufzeit von 45 Jahren ausser Betrieb zu nehmen. Dann wird das Volk das letzte Wort haben», betont Adèle Thorens.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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