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«Der Ruf der Schweiz als verlässliche Partnerin steht auf dem Spiel»

Ein Rucksack liegt auf einem Stuhl in einer Schule, im Hintergrund zwei Kinder.
Wo und wie soll sich die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit künftig engagieren? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Keystone / Anthony Anex

Fokus auf weniger Länder, mehr Privatsektor und Migration: Im Mai beginnt die politische Debatte über eine Neuausrichtung der Schweizer Entwicklungshilfe. Fritz Brugger, Dozent und langjähriger Berater für Entwicklungshilfe, über Chancen und Risiken.

swissinfo.ch: Der Bundesrat will die Ausrichtung der Schweizer Entwicklungshilfe für die nächsten vier Jahre möglichst breit abstützen. Erstmals können sich Politik und Interessengruppen im Vorfeld dazu äussern. Wird der Zankapfel Entwicklungshilfe künftig für weniger rote Köpfe sorgen?

Fritz Brugger: Ich fürchte Nein. Bis jetzt drehte sich die Diskussion jeweils vor allem um die Frage, wie stark sich die Schweiz engagieren, das heisst, wie viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) fliessen soll. Das ändert sich nun mit der geplanten Vernehmlassung, in der es mehr um Fragen des Inhalts und der Instrumente geht, die zuvor den Fachkräften überlassen waren.

«Wir sehen eine Ausrichtung der EZA auf kurzfristige Interessen der Schweiz.»

swissinfo.ch: Aber das ist doch gut?

F. B.: Eine öffentliche Diskussion über den eigentlichen Auftrag der Schweizer EZA ist wünschenswert, ja. Es besteht aber das Risiko, dass Fachfragen politisiert werden. Dafür spricht auch, dass wir uns in einem Wahljahr befinden. Es geht um den Umbau der EZA – ein beliebter politischer Spielball.

Eckpunkte der Botschaft

Zum ersten Mal schickt der Bundesrat die Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz für die Jahre 2021-2025 in die Vernehmlassung, voraussichtlich im Mai. Er will die Schweizer IZA geografisch und thematisch neu ausrichten. Die EckpunkteExterner Link gab er bereits Ende letzten Jahres bekannt.

swissinfo.ch: Neu soll sich die Schweizer EZA nur noch auf vier Regionen konzentrieren. Auch sollen die Interessen der Schweizer Wirtschaft vermehrt berücksichtigt und die Entwicklungshilfe stärker mit der Migration verknüpft werden. Haben diese Massnahmen einen gemeinsamen Nenner?

F. B.: Wir sehen eine Ausrichtung der EZA auf kurzfristige Interessen der Schweiz. Bisher gab es ein gemeinsames Verständnis, dass es im langfristigen Interesse der Schweiz ist, die Armut zu bekämpfen. Neu wird das Interesse der Schweiz kurzfristig mit «weniger Migration» definiert und Entwicklungshilfe soll zum Instrument des Migrationsmanagements umfunktioniert werden

swissinfo.ch: Was ist daran so falsch?

F. B.: Wir wissen aus der Forschung, dass EZA die Migration kurzfristig nicht reduziert. Man kann den Blick nicht einfach auf die Menschen aus Syrien und Eritrea richten, die im Moment in die Schweiz kommen und die ganze EZA danach ausrichten. Die Gründe, die Migrationsentscheide beeinflussen, sind vielfältig.

Dieser auf kurzfristige Eigeninteressen ausgerichtete Ansatz birgt zudem das Risiko, dass wir uns von einer verlässlichen und langfristig angelegten Armutsbekämpfung hin zu kurzfristigen Interventionen bewegen. Je nach Anzahl Flüchtlingen und Migranten, die in unser Land kommen, würde die Schweiz ihre EZA in der Herkunftsregion aufnehmen oder wieder abbrechen.

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«Es droht ein interner Widerspruch. Denn das investierte Geld hätte möglicherweise keine langfristige Wirkung.»

swissinfo.ch: Was wären die Folgen?

F. B.: Es droht ein interner Widerspruch. Denn das investierte Geld hätte möglicherweise keine langfristige Wirkung. Mit Blick auf die Effektivität wäre das Geld also nicht optimal ausgegeben, was wiederum für berechtigte Kritik sorgen würde. Die Massnahmen der EZA sollten vor allem auf ihre Wirkung hin überprüft und danach ausgerichtet werden.

An der überprüften Wirkung sollte sich auch die Wahl der Akteure und Instrumente ausrichten. Nehmen wir die Forderung nach einer grösseren Rolle für den Privatsektor: Der Privatsektor muss auf jeden Fall eine Rolle spielen. Wie gross die ist sollte aber in jedem Fall davon abhängen, wie und mit welchem Akteur die grösste Wirkung erzielt wird.

Porträtaufnahme von Fritz Brugger.
Fritz Brugger forscht und lehrt am NADEL, dem Zentrum für Entwicklung und Zusammenarbeit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Zuvor arbeitete er beim Hilfswerk Helvetas und war als unabhängiger Berater für bi- und multilaterale Organisationen, NGOs und Unternehmen der Privatwirtschaft tätig. ZVG

swissinfo.ch: Sehen Sie die Reduktion der Armut als oberstes Ziel in Gefahr?

F. B.: Die Tendenz, die kurzfristigen Opportunitätszyklen der Politik auf die EZA zu übertragen, ändert den Blickwinkel in der Debatte. Es besteht die Gefahr, dass bestimmte Instrumente oder Themen dominieren und dabei langfristige Trends und Herausforderungen übersehen werden.

So ist beispielsweise gegen eine Reduktion der Anzahl Länder, um die Kräfte zu bündeln, grundsätzlich nichts einzuwenden. Es ist aber wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Geographie der Armut – verstanden nicht nur als Geldmangel, sondern auch an Gesundheit, Ernährung, Wasser, Bildung und Armut gemessen – verändert hat. Es gibt immer weniger «arme Länder» aber viele Länder, in denen Bevölkerungsgruppen in gewissen Regionen in Armut leben oder die Armut durch die rasche Urbanisierung verstärkt wird. Solche Ungleichheiten bergen zudem ein grosses soziales Spannungspotenzial.

swissinfo.ch: Ist die Schweiz das einzige Land, das seine EZA neu ausrichtet und den Fokus dabei auf kurzfristige Eigeninteressen richtet?

F. B.: Die Staaten schauen zurzeit eher wieder vermehrt für sich. Und das Thema Migration dominiert in vielen Ländern die innenpolitische Debatte. So gesehen entspricht die Diskussion in der Schweiz durchaus einer allgemeinen Tendenz.

In der EU beispielsweise ist der Druck gross, die Migration mit finanziellen Mitteln aus der EZA zu steuern. Und in England wird der Diskurs über nationale und aussenpolitische Interessen sowie die Rolle der Industrie in der EZA ebenfalls seit einigen Jahren geführt.

«Die Diskussion in der Schweiz entspricht einer allgemeinen Tendenz.»

swissinfo.ch: Die Schweizer Entwicklungshilfe wird geschätzt für ihre Neutralität und ihre Verlässlichkeit. Sehen Sie dieses Ansehen durch die Neuausrichtung gefährdet?

F. B.: Der Ruf der Schweiz als aufrichtige Partnerin ist nicht in Gefahr. Das Land ist zu klein, um als machtpolitischer Player auftreten zu können. Mit Blick auf die Verlässlichkeit bin ich weniger optimistisch. Die Partnerländer der Schweiz schätzen unser Land, weil es seine Zusagen auch langfristig einhält. Hängt die Zuteilung von EZA-Geldern künftig von aktuellen Migrationsbewegungen ab, setzen wir diesen Ruf aufs Spiel. Verlässlichkeit ist in Entwicklungsfragen unentbehrlich, um Wirkung zu erzielen. Sie würde fehlen.

swissinfo.ch: Im Vergleich beispielsweise zu den USA oder der EU ist die Schweiz in der Welt der Entwicklungshilfe sowieso nur ein unbedeutender Akteur.

F. B.: Die Schweiz ist finanziell zwar ein kleiner Akteur, sie weiss sich aber zu positionieren. Sie hat es bisher bestens geschafft, Nischen ausfindig zu machen, in denen sie mit ihrem Geld überproportional viel bewirken kann. Es wäre unklug, diese Rolle des Nischenplayers mit einer längerfristigen Ausrichtung aufgrund vermeintlicher kurzfristiger Eigeninteressen aufs Spiel zu setzten.

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