Vom Wert der Kultur in der Entwicklungshilfe
Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit soll enger mit der Wirtschaft arbeiten und stärker mit der Migrationspolitik verknüpft werden. Gibt es da noch einen Platz für Kulturprojekte? Ja, sagen Expertinnen, dies sei auch nötig.
Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) möchte die schweizerische Entwicklungshilfe massgeblich ändern und deren Budget kürzen. SVP-Parlamentarier Andreas Glarner nahm Anfang Jahr auch die Kulturprojekte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZAExterner Link) ins Visier: «Marionettenspieler und Maler in Tansania, Theaterleute in Mali und Usbekistan oder junge Künstler in Moldawien» hätten mit Entwicklungshilfe «nichts zu tun», sagte er in der Neuen Zürcher Zeitung. Es könne nicht sein, «dass gleichzeitig in Burkina Faso Kinder verhungern».
Nahrung oder Kultur? «Das eine schliesst das andere nicht aus», sagt Regula Gattiker, verantwortlich für Kultur und Konflikttransformation bei der Entwicklungsorganisation HelvetasExterner Link. Kultur sei ein Grundbedürfnis des Menschen.
Die Bekämpfung von Armut und Hunger wird weiterhin im Fokus der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit stehen. Dafür sorgt die Schweizer Bundesverfassung. Die «Linderung von Not und Armut in der Welt» ist dort verankert. Das Bundesgesetz über die internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe erteilt der Schweizer Entwicklungshilfe den Auftrag, «die Entwicklungsländer im Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern» zu unterstützen. Hier können Kulturprojekte ansetzen. Denn bessere Lebensbedingungen umfassen mehr als Nahrung und ein Dach über dem Kopf.
Selbstinitiative stärken
Gattiker ist überzeugt, dass Kulturförderung in Entwicklungsländern einen positiven Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung habe. Kunstschaffende würden zu Innovation beitragen und die Selbstinitiative und das Selbstbewusstsein von jungen Menschen stärken, sagt sie.
«Künstler thematisieren gesellschaftliche Trends oft früher oder anders als andere», sagt Gattiker. Kultur fungiere so als «alternatives Sprachrohr in Gesellschaften, wo politische Äusserungen heikel sind».
Sie nennt das Beispiel Myanmar: Im «Open History»-Projekt, das von Deutschland finanziert und von der Helvetas umgesetzt wird, setzt sich die Bevölkerung mit unterschiedlichen Interpretationen der Vergangenheit ihres Landes auseinander. Bereits in der Entstehung der Ausstellungen und der Produktion von Videointerviews, kommen Menschen aus verschiedenen Volksgruppen miteinander ins Gespräch und lernen unterschiedliche Sichtweisen kennen. So leiste das Projekt einen Beitrag zur Friedensförderung in dem Land mit mehr als 130 Ethnien, erklärt Gattiker.
Kunst und Kultur gegen Konflikte
Helvetas integriert Kulturprojekte in die Programme zu Friedensförderung, Konfliktprävention und RechtsstaatlichkeitExterner Link, die auch 2021-2024 Ziele der Entwicklungszusammenarbeit bleiben werden. Dazu würden Kunst- und Kulturprojekte einen wichtigen Beitrag leisten, schreibt die DEZA auf Anfrage. Kulturprojekte könnten zum Aufbau von Verständnis und Toleranz eingesetzt werden oder als Schritt in «die Rückkehr zu Hoffnung und Normalität» nach Konflikten.
Für Kulturprogramme gibt die DEZA zwischen 4 und 6 Million Schweizer Franken jährlich aus. In Afghanistan werden damit beispielsweise lokale Kunstinitiativen unterstützt, die den sozialen Zusammenhalt stärken, in Bolivien Kulturprojekte zu Themen wie Gewalt gegen Frauen oder Menschenrechte umgesetzt und in Bosnien-Herzegowina an einer Schule für Rock-Musik in der geteilten Stadt Mostar Jugendliche zusammengeführt.
In Gebieten mit sogenannten «eingefrorenen» Konflikten sind Kulturprogramme oft «eines der wenigen Dinge, die man tun kann», sagt Dagmar Reichert, Geschäftsführerin von artasfoundationExterner Link. Die 2011 in Zürich gegründete Stiftung arbeitet ausserhalb der Grossstädte und nahe an den Konfliktgrenzen. Ein Fünftel ihres 280’000 CHF Budgets kommt von der DEZA.
Seit einigen Jahren arbeitet artasfoundation im Südkaukasus, wo ein langanhaltender Konflikt um Abchasien, Südossetien und Nagorno-Karabach herrscht. «Es ist ein Konflikt, in dem sich wenig bewegt und wo wenig in der Hand der Bevölkerung liegt, etwas zu verändern», sagt Reichert. Kulturprogramme würden insbesondere den Jugendlichen, die sich ausgegrenzt und isoliert fühlen, die Möglichkeit bieten für Öffnung und Begegnung.
«In Regionen, die von Konflikten betroffen sind oder wo Perspektivlosigkeit herrscht, können Kulturprojekte einen Beitrag leisten gegen Fundamentalismus jeder Art», sagt Reichert. Mehrere Studien hätten gezeigt, dass die Attraktivität fundamentalistischer Organisationen darin liegt, dass sie jungen Menschen «einen Wert und eine Position» geben.
Für sie ist klar, dass vor allem junge Menschen, Bevölkerungen in abgelegenen Gegenden und Flüchtlinge in Krisen- und Konfliktgebieten zu den Verlierern einer Kürzung des Budgets für Kulturförderung zählen würden. «Menschen wollen nicht nur als Körper, der gefüttert und geschützt werden muss, gesehen werden. Viel wurde ihnen weggenommen, aber die Kultur kann man ihnen nicht wegnehmen.»
Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2021-2024
Ein Entwurf der «Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2021-2024» ist seit dem 2. Mai Teil einer öffentlichen Vernehmlassung. Zum ersten Mal können sich Nichtregierungsorganisationen, Parteien, Interessensgruppen und die breite Öffentlichkeit bei der strategischen und inhaltlichen Ausrichtung der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit einbringen.
Der Bundesrat legte bereits Ende November 2018 die Schwerpunkte fest: die Bedürfnisse der Bevölkerungen in den Partnerländern, die Förderung von Schweizer Interessen bezüglich Wirtschaft, Migration und Sicherheit, und Bereiche, in denen die Schweiz einen Mehrwert leisten kann.
Armutsreduktion und menschliche Sicherheit bleiben «strategische Eckpunkte» der neuen Botschaft, versicherte der Bundesrat. Gleichzeitig hat er aber entschieden, dass wirtschaftliche Aspekte, wie die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, und insbesondere «die strategische Wechselwirkung zwischen Migrationspolitik und internationaler Zusammenarbeit», «intensiviert» werden sollen. Ausserdem ist eine geografische Fokussierung auf vier Schwerpunktregionen vorgesehen. Aus Lateinamerika zieht sich die Schweizer Entwicklungshilfe nach über 60 Jahren zurück.
Der Entwurf der Botschaft ist bis zum 23. August auf dem Webportal des BundesratsExterner Link aufgeschaltet. Das Parlament entscheidet voraussichtlich im Februar 2020 über die Botschaft.
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