Es bleiben hohe Hürden für den Schweizer Pass
In Zukunft müssen Ausländer "nur“ noch 10 Jahre warten, bis sie die Schweizer Staatsbürgerschaft beantragen können. Doch auch nach der Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes ist es in der Schweiz immer noch schwieriger, den Pass zu erwerben, als im übrigen Europa.
Das neue Bürgerrechtsgesetz ähnelt einer Hochpräzisionsuhr, an der jahrelang in einem Labor gearbeitet wurde. Nach ewigen Debatten haben die eidgenössischen Räte das Gesetz so gefeilt, dass irgendwie alle unterschiedlichen Positionen der politischen Parteien berücksichtigt werden konnten. Der Gesetzestext wurde fünf Mal von einer Kammer in die andere gereicht. Es musste geschlichtet werden, um die letzten Differenzen zu bereinigen.
Ausschlaggebend für diese Übung war nicht so sehr der Wille, Kompromisse zu finden, als vielmehr eine Vermeidungsstrategie, um in einer so delikaten Frage wie dem Bürgerrechtsgesetz im kommenden Jahr eine Referendumsabstimmung zu verhindern. Denn 2015 finden nationale Wahlen statt. Und eine Abstimmung über das Bürgerrechtsgesetz könnte da unter Umständen Wasser auf die Mühlen der Rechten sein.
Das neue Gesetz berücksichtigt nur teilweise die ursprünglichen Absichten der Regierung, die mit ihrem Projekt einer Totalrevision drei Ziele verfolgte: Zum einen sollte ein Gesetz modernisiert werden, das aus dem Jahr 1952 stammt. Weiterhin wollte man die unterschiedlichen kantonalen Prozeduren beim Erwerb des Bürgerrechts etwas vereinheitlichen. Schliesslich sollte der Wille zur Integration als Kriterium zur Vergabe der Schweizer Staatsbürgerschaft stärker gewichtet werden.
Gemäss der Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes, welche am 20.Juni vom Schweizer Parlament verabschiedet wurde, müssen Gesuchsteller künftig mindestens 10 Jahre in der Schweiz wohnhaft gewesen sein, bevor sie ein Gesuch auf Einbürgerung stellen könnten.
Die Kandidaten müssen über eine Niederlassungsbewilligung C verfügen, die erst nach fünf oder zehn Jahren Aufenthalt in der Schweiz erteilt wird – je nach dem jeweiligen Herkunftsland der Gesuchsteller. Die Bewilligung C stellt eine zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis dar.
Um ein Einbürgerungsgesuch zu stellen, müssen die Interessierten eine bestimmte Mindestzeit in einem Kanton gelebt haben. Diese Mindestzeit kann zwischen zwei und fünf Jahren liegen.
Junge Ausländer können von einem erleichterten Einbürgerungsverfahren Gebrauch machen. Die zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr in der Schweiz verbrachten Jahre zählen dabei doppelt.
Zurzeit werden pro Jahr rund 30‘000 bis 40‘000 Personen in der Schweiz eingebürgert. Ende April 2014 zählte die Schweiz 1,9 Millionen Ausländer. Das entspricht 23,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Restriktive Schweiz
Auch mit der Reduzierung der minimalen Wohnsitzdauer auf 10 Jahre, um einen Antrag auf Einbürgerung stellen zu können, bleibt die Schweiz unter den europäischen Ländern der Staat mit den härtesten Bedingungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft.
Gemäss dem Observatorium für Demokratie der Europäischen Gemeinschaft (EUDO) verlangen sechs weitere Länder – darunter Italien, Spanien und Österreich – eine Frist von 10 Jahren.
Deutschland, Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien schreiben 8 Jahre, Norwegen und Griechenland 7 Jahre und Portugal 6 Jahre Wohnsitz vor, bevor ein Einbürgerungsantrag gestellt werden kann.
Frankreich, Grossbritannien, die Niederlande, Belgien, Schweden und die Tschechische Republik begnügen sich mit fünf Jahren.
Integration belohnen
«Der Bundesrat hat sich nicht vorgenommen, in Zukunft mehr oder weniger Personen einzubürgern. Ziel ist es hingegen, Personen einzubürgern, die am besten in der Schweiz integriert sind“, unterstrich Polizei- und Justizministerin Simonetta Sommaruga im Verlauf der Parlamentsdebatte. «Es gibt Ausländer, die nach fünf Jahren perfekt in unsere Gesellschaft integriert sind; andere hingegen sind es auch nach Jahrzehnten nicht“, sagte Sommaruga. Die Vergabe des Bürgerrechts solle daher nicht hauptsächlich von der Dauer der Niederlassung in der Schweiz abhängen.
Die Regierung schlug vor, die minimale Wohnsitzdauer auf 8 Jahre zu reduzieren. Momentan gilt eine Frist von 12 Jahren. Kein anderes Land in Europa kennt eine so lange Frist. Die Linke sprach sich für das Projekt aus, denn so könnten Ausländer motiviert werden, sich schneller einzugliedern. Die Rechte hingegen plädierte dafür, die Mindestaufenthaltsdauer von 12 Jahren beizubehalten, um «Masseneinbürgerungen“ zu vermeiden. Man laufe auch Gefahr, viele kriminelle Ausländer zu schnell zu «helvetisieren“. Am Ende wurde ein Kompromiss von 10 Jahren ausgehandelt.
Dazu kommt, dass die Ausländer auch in Zukunft für eine bestimmte Anzahl von Jahren in ein- und demselben Kanton leben müssen. Im Moment variiert diese Aufenthaltsdauer je nach Kanton zwischen 2 und 12 Jahren. Der Bundesrat schlug vor, eine Mindestaufenthaltsdauer von drei Jahren für alle Kantone einzuführen, weil der steigenden Mobilität Rechnung getragen werden müsste. Das Parlament beschloss schliesslich, dass die von den Kantonen festgelegte Mindestaufenthaltszeit zwischen zwei und fünf Jahren liegen muss.
Gewissenhafter Gesetzgeber
Zu grossen Diskussionen führte auch die Frage der erleichterten Einbürgerung von jungen Ausländern: Im Moment zählen die Jahre, die eine Person zwischen dem 10. und 20.Altersjahr in der Schweiz lebt, doppelt. Während die politische Rechte diese Klausel aufheben wollte, verlangte die Linke, die gesamte von Minderjährigen verbrachte Zeit in der Schweiz doppelt anzurechnen. Nach langen Diskussionen kam das Parlament überein, dass die anzurechnende Zeitperiode zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr liegt.
Die hohe Kunst des Kompromisses fand ihre Vollendung wohl in der Frage, wie die Jahre anzurechnen sind, welche Flüchtlinge in der Schweiz unter dem Status einer vorläufigen Aufnahme verbracht haben. Aufgrund von Referendumsdrohungen der Rechten hat das Parlament schliesslich entschieden, diese Jahre nur zur Hälfte anzurechnen. Die sozialdemokratische Abgeordnete Ada Marra sprach von einer Verwässerungstaktik.
Angesichts der ewigen Auseinandersetzungen um die allerkleinsten Details hat die Linke an den legendären Film «Die Schweizermacher“ erinnert, der 1978 die Strenge und Gewissenhaftigkeit von Schweizer Beamten gegenüber ausländischen Einbürgerungswilligen lächerlich machte.
Die Rechte versteht bei diesem Thema hingegen keinen Spass. Ihrer Meinung nach müssen die Hürden weiterhin sehr hoch sein, um den Schweizer Pass zu erhalten. Denn der «rote Pass“ sei etwas «einmaliges“, mit dessen Erhalt die umfangreichsten Bürgerrechte weltweit verliehen würden. Im Einbürgerungsverfahren müsse auf «Qualität statt Quantität“ geachtet werden.
Geduld gefragt
Auch nach der Revision des Bürgerrechtsgesetzes müssen sich Ausländer mit Geduld wappnen, wenn sie den Schweizer Pass erhalten wollen. Denn auch nach einer Aufenthaltsdauer von 10 Jahren wird die Staatsbürgerschaft keinesfalls automatisch verliehen. Interessierte erhalten nach dieser Frist rein formal die Möglichkeit, ein Gesuch zu stellen, das dann in einem dreistufigen Verfahren von Bund, Kanton und Wohngemeinde geprüft wird. Das ganze Verfahren kann Jahre dauern.
Die Antragsteller müssen zudem eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen. Sie müssen nachweisen, dass sie in der Lage sind, sich zu integrieren. Sie müssen Kenntnisse vom Schweizer Lebensstil haben, sich der Rechtsordnung und der öffentlichen Sicherheit angepasst haben und die Werte der Verfassung respektieren. Im Weiteren müssen sie ihren Willen unter Beweis stellen, am wirtschaftlichen Leben teilzuhaben und eine Ausbildung absolvieren zu wollen.
Das ist aber noch nicht alles. Das Parlament hat auch festgelegt, dass es künftig nicht mehr ausreichend ist, mindestens eine Landessprache zu sprechen. Künftig sind auch schriftliche Sprachkenntnisse gefragt. Und, wie bisher, müssen auch Kosten in Höhe von möglicherweise mehreren Tausend Franken getragen werden, um am Ende die Schweizer Staatsbürgerschaft in der Tasche zu haben.
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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