EU fordert Schweiz zu Verhandlungen auf
Die EU will mit der Schweiz und weiteren Drittstaaten über ein verschärftes Zinsbesteuerungsabkommen sowie den automatischen Informationsaustausch verhandeln. Die Presse sieht schwierige Verhandlungen auf die Schweiz zukommen.
«Der Idiot des globalen Dorfes», titelt La Liberté ihren Kommentar zur Ankündigung der EU-Finanzminister, mit der Schweiz Verhandlungen über die Aufgabe des Bankgeheimnisses aufnehmen zu wollen.
«Im grossen Spiel sähe man die Schweiz ihre Interessen gerne etwas durchtriebener verteidigen. Bis jetzt hat Bern den Eindruck gegeben, der einzige ehrliche Akteur in einem gigantischen Lügen-Poker zu sein.»
Denn die EU sei nicht «die richtige Arena», um den automatischen Informationsaustausch zu verhandeln. «Es ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die einzige Organisation, die für alle Finanzplätze auf der Welt anwendbare Standards festlegen kann.»
Wolle die Schweiz verhindern, zuletzt als Idiot im globalen Dorf dazustehen, müsse der Bundesrat Garantien verlangen, denn dieses Spiel werde auch in der OECD gespielt, «wo die angelsächsischen Länder den Krieg gegen das Bankgeheimnis führen, ohne ihre eigenen Vehikel zur Steuervermeidung zu hinterfragen, allen voran die Trusts».
Proaktive Strategie gefordert
«Das Bankgeheimnis stirbt einen langsamen Tod», kommentiert die Aargauer Zeitung. Dass die Europäische Union (EU) mit der Schweiz nun über die Einführung des automatischen Informationsaustausches (AIA) verhandeln wolle, sei namentlich den USA und deren Fatca-Abkommen zuzuschreiben.
«Nur wegen Fatca gaben Luxemburg und Österreich ihren Widerstand gegen den AIA auf. Und Fatca bringt auch die Schweiz in Erklärungsnot: Wie kann man der EU die Lieferung von Bankdaten verweigern, die man den USA zugesteht?»
Mehrere EU-Länder sprächen sich «mittlerweile offensiv für ein europäisches Abkommen nach Vorbild des US-Gesetzes Fatca aus, das alle möglichen Kapitaleinnahmen umfasst», betont die Basler Zeitung.
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt von einem «schwierigen Steuerpoker», denn: «Die EU-interne Entwicklung wird mit Verhandlungen mit Bern verknüpft». Und «diese Verknüpfung von EU-internen und -externen Entwicklungen» lasse «schwierige Verhandlungen erwarten».
«Die Hoffnung auf einen neuen Kuhhandel ist trügerisch», titeln Der Bund und Tages-Anzeiger. Mit der Ruhe sei nun Schluss: «Über Jahre konnte sich die Schweiz darauf verlassen, dass Luxemburg und Österreich als ‹Freunde des Bankgeheimnisses› alle Bemühungen der EU blockierten, Schlupflöcher im Abkommen zur Zinsbesteuerung mit der Schweiz und im parallelen EU-Gesetz zu schliessen. Die Schweiz konnte stets ohne Risiko Gesprächsbereitschaft signalisieren. Schliesslich war es die andere Seite in Brüssel, die verhandlungsunfähig war.»
Auch diese beiden Zeitungen sind überzeugt: «Der Verhandlungsdruck ist gross, die EU-Kommission braucht schnelle Ergebnisse.» Denn die Dynamik beim Thema Steuerflucht sei «nicht zu unterschätzen».
«Gleiche Wettbewerbsbedingungen»
Am Dienstag hatten die EU-Finanzminister das Verhandlungsmandat für die EU-Kommission verabschiedet. Damit soll diese mit der Schweiz und weiteren Drittstaaten über ein verschärftes Zinsbesteuerungsabkommen sowie den automatischen Informationsaustausch verhandeln können.
Österreich und Luxemburg hätten dem Mandat zugestimmt, weil der Kampf im Steuerbereich nur effizient sei, wenn er global geführt werde. Deshalb habe man sich auch dafür eingesetzt, dass der automatische Informationsaustausch im Licht internationaler Entwicklungen im Mandat enthalten sei. «Wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen», sagte der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden.
Als Basis für die Verhandlungen mit den Drittstaaten Schweiz, Liechtenstein, Andorra, San Marino und Monaco dient laut Frieden die von der EU-Kommission vorgeschlagene erweiterte EU-interne Zinsbesteuerungsrichtlinie. Diese sieht vor, die Zinsbesteuerung beispielsweise auf innovative Finanzinstrumente sowie Zahlungen via Trusts und Stiftungen auszudehnen.
EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta nannte das erteilte Mandat einen «grossen Erfolg». Angesprochen auf die Schweiz, sprach der Steuerkommissar an der Medienkonferenz von Verhandlungen «so ambitioniert wie möglich».
Bundesrat wird EU-Anfrage analysieren
Die Schweiz hat die Verabschiedung des Mandats durch den Rat der EU-Finanzminister zur Kenntnis genommen. Der Bundesrat werde die Anfrage für Verhandlungen analysieren, teilte das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) am Dienstag mit.
Die Schweiz habe bereits 2009 ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, über eine Erweiterung des EU-Zinsbesteuerungsabkommens zu diskutieren, um Schlupflöcher zu schliessen.
Die Bankiervereinigung schrieb in ihrer Stellungnahme, dass von der Schweiz nur gleichwertige Massnahmen zu EU-internen Regelungen akzeptiert werden. Die Schweizer Banken würden sich aber auch künftig an internationale Standards halten. Aus Sicht der Banken wäre ein Dienstleistungsabkommen wünschenswert, da die Schweizer Banken mittelfristig ihren Zugang zum EU-Markt verbessern wollten.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch