EU streicht Schweizer Studenten Austauschprogramm
Bereits ab kommendem Herbst sollen Schweizer Studenten nicht mehr zum Austauschprogramm Erasmus+ der EU, zugelassen werden. Die EU behandelt die Schweiz künftig nicht mehr wie ein EU-Mitglied, sondern wie einen Drittstaat. Der Entscheid sorgt für Aufregung, ist aber nicht definitiv.
«Die EU lässt ihre Muskeln spielen», sagt Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel und Präsident der Rektorenkonferenz gegenüber dem Zürcher Tages-Anzeiger. Dennoch rät Loprieno den Studierenden, sich für ein Austauschsemester zu bewerben.
Zumindest finanziell werden die Studenten kaum Nachteile in Kauf nehmen müssen, wenn sie einige Semester an einer Universität in einem EU-Land studieren wollen. Der Bundesbeschluss zur Finanzierung von Erasmus+ sieht vor, dass der Bundesrat die für das Austauschprogrammvorgesehenen Gelder verwenden kann, um den Schweizer Studenten den Austausch zu bezahlen.
Allerdings wird der Zugang nicht mehr so selbstverständlich sein, wie er mit Erasmus+ wäre. Bisher wurden Schweizer Studenten wie Studierende aus einem EU-Land behandelt. Ab dem Studienjahr 2014/2015 müssen sie dieselben Prozeduren durchlaufen wie Studenten aus Drittstaaten. Laut Antonio Loprieno könnte das eine Einschränkung bei der zur Auswahl stehenden Universitäten zur Folge haben.
Bundesrat sucht nach Lösung
Das Staatsekretariat für Bildung hofft, dass die Massnahme nicht in Stein gemeisselt ist und die Schweizer Studenten ab 2015 wieder am Programm teilnehmen können. Der Bundesrat will im Gespräch mit der EU eine Lösung erzielen. Anfang April werden sich Staatssekretär Yves Rossier und der für die Schweiz zuständige irischen EU-Diplomat David O’Sullivan treffen und einen bis dahin vorliegenden Lösungsvorschlag diskutieren.
Stolperstein Kroatien
Das Muskelspiel der EU ist eine der Retorsionsmassnahmen der EU auf das Volks-Ja der Schweiz zur Zuwanderungs-Initiative der SVP vom 9. Februar. Der Entscheid hat zur Folge, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verträge mehr abschliessen kann, die gegen die Initiative verstossen. Konkret kann der Bundesrat nun das Protokoll zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien nicht unterzeichnen, wie er eine Woche nach der Abstimmung bekannt gab. Daraufhin hat die EU-Kommission beschlossen, die Schweiz von den künftigen Programmen zur Forschungszusammenarbeit (Horizon 2020) und zum Studentenaustausch (Erasmus+) auszuschliessen.
Da am 26. Februar die Fristen für die Projekteingaben für eine Beteiligung an Erasmus+ abgelaufen sind, kündigte der ungarische EU-Arbeitskommissar László Andor im EU-Parlament in Strassburg den endgültigen Ausschluss der Schweiz vom Studentenaustauschprogramm an.
Mit einer symbolischen Protest-Aktion haben in Bern rund 300 Studierende die EU-Programme Erasmus und Horizon 2020 zu Grabe getragen. An der «Beerdigung» auf dem Bundesplatz wurde gleichzeitig die Wiederauferstehung von Erasmus beschworen.
Die Protestierenden versammelten sich rund um eine schwarz bemalte Kartonschachtel, die in der als Strassentheater inszenierten Beerdigung als Sarg für den «sehr jung verstorbenen» Erasmus diente. Die Grabrede einer Studentin mündete in einen flammenden Appell zum Widerstand: «Erasmus ist tot, lang lebe Erasmus!»
Die Rektoren der Schweizer Hochschulen hatten sich anfangs Woche in einem offenen Brief an den Bundesrat gewandt und rasche Massnahmen verlangt, damit die Schweiz als gleichberechtigtes Mitglied an den EU-Programmen «Horizon 2020» und «Erasmus+» teilnehmen kann.
Zu «Erasmus» findet am 3. März ein Treffen aller in der Schweiz betroffenen Partner statt. Dabei sollen gemäss Angaben der Universität Lausanne eine gemeinsame Haltung gegenüber den europäischen Universitäten definiert und offene Fragen diskutiert werden.
Quadratur des Kreises
Das führte im Europaparlament zu einem Eklat und zu hitzigen Diskussionen. Der rechtsgerichtete italienische Europaabgeordnete der Lega Nord, Mario Borghezio, hatte eine Schweizer Fahne mitgebracht und skandierte «Freiheit für die Völker» und «es reicht mit der europäischen Diktatur». Borghezio wurde aus dem Saal verwiesen.
Die meisten Abgeordneten jedoch kritisierten die jüngste Volksabstimmung in der Schweiz über eine Begrenzung der Zuwanderung und forderten Bern zum Handeln auf. So unterstrich der griechische EU-Ratsvorsitzende Dimitrios Kourkoulas die Personenfreizügigkeit als Grundpfeiler der Union, der nicht angetastet werden dürfe. Quoten für Ausländer, wie dies die Schweiz anstrebe, seien nicht akzeptabel.
Das Einfrieren der Verhandlungen sei keine Strafe, sondern «eine logische Folge», sagte Andor. Er hoffe, dass die Schweiz in einem Jahr die «Quadratur des Kreises» schaffe und die Beziehungen zur EU genauso freundschaftlich sein würden wie vor der Abstimmung.
«Die Schweizer werden auf Knien wieder zu uns kommen und sehen, dass sie Europa einfach brauchen», sagte der Grüne EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit: Die Schweiz müsse Lösungsansätze finden, nicht die EU.
Studierende sind schockiert
Schockiert reagierte der Verband der Schweizer Studierendenschaften der Schweiz (VSS). Er erklärte in einer Mitteilung, dies bedeute «den vorläufigen Tod für die internationale Dimension der Schweizer Hochschullandschaft». Er fordert die «Entscheidungsträger(innen) der Schweiz und Europas» auf, alles zu unternehmen, um den europäischen Hochschulraum nicht zu schädigen.
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