Warum die Schatulle des Schweizer Schatzmeisters voll ist
Während die meisten Länder Jahr für Jahr ein hohes Staatsdefizit ausweisen, scheint der Bund im Geld zu schwimmen. 2018 könnte ein Überschuss von 2,5 Mrd. Franken resultieren. Auch für 2019 ist ein Plus in Milliardenhöhe budgetiert. "Die Schweiz ist nicht nur ein Glückspilz. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht", sagt ein Wirtschaftsprofessor der Uni Lausanne dazu.
Bei Ausgaben von 72 Mrd. Franken sieht der Budget-Entwurf der Regierung für 2019 ein Plus von rund 1,2 Mrd. Franken vor. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass am Ende des Rechnungsjahres – wie in den Jahren zuvor – ein deutlich höherer Überschuss resultieren wird, als budgetiert wurde.
Um diese komfortable Finanzlage dürfte der Schweizer Schatzmeister von den meisten seiner Amtskollegen in Europa beneidet werden. Trotzdem wehrt sich Finanzminister Ueli Maurer in der laufenden Budgetdebatte des Parlaments gegen höhere Staatsausgaben.
Dass die Schweiz ihre Finanzen seit Jahren im Griff hat, sei nicht nur Glückssache, sagt Marius Brülhart, Professor für Wirtschaftslehre an der Universität Lausanne.
swissinfo.ch: Die Schweiz gilt als Europameisterin im Sparen. Kann sie stolz darauf sein?
Marius Brülhart: Es geht weniger ums Sparen als um eine saubere Führung des Staatshaushalts. Das gelingt der Schweiz tatsächlich nicht schlecht und darauf darf sie ruhig ein bisschen stolz sein.
swissinfo.ch: Während die durchschnittliche Staatsschuld bei den 28 EU-Staaten bei über 80% der Wirtschaftsleistung (BIP) liegt, beträgt sie in der Schweiz nur rund 30%. Was macht die Schweiz besser als die anderen?
M.B.: Die Schweiz macht einerseits vieles gut – sie hat Budgetdisziplin und eine starke Wirtschaft – und andererseits auch ein wenig Glück, dass sie sich als kleines Land mitten in Europa steuerlich und mit anderen Rahmenbedingungen attraktiv positionieren kann. Damit generiert sie hohe Steuereinnahmen, und wenn diese sprudeln, ist es auch einfacher, ein ausgeglichenes Budget zu haben.
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Aber wir sind nicht nur Glückspilze. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Verteilung der Budgethoheit auf drei Staatsebenen – die Fiskalpolitik wird nicht nur auf Bundes-, sondern auch zu einem grossen Teil auf Kantons- und Gemeindeebene betrieben – trägt dazu bei, dass die Haushalte sauber geführt werden. Und wir haben eine Schuldenbremse.
swissinfo.ch: Diese Schuldenbremse wurde 2003 eingeführt, um eine Schieflage der Staatsfinanzen und einen Schuldenanstieg zu vermeiden. Offenbar funktioniert sie?
M.B.: In ihrer Anlage scheint sie ein Erfolgsmodell zu sein. Sie wurde auch von anderen Staaten nachgeahmt. An den Details kann man immer noch Verbesserungen anbringen.
swissinfo.ch: Laut den EU-Richtlinien sollte die Staatsschuldenquote 60% des BIP nicht überschreiten. Tatsächlich wird diese Quote aber von sehr vielen EU-Staaten überschritten. Welche Risiken gehen diese Länder ein mit ihrer hohen Verschuldung?
M.B.: 60% ist eine willkürliche Grenze. Aber man muss schon aufpassen, dass sich die Verschuldung in Grenzen hält. Ab welcher Grössenordnung es kritisch wird, kann man nicht verallgemeinern. Dass hängt sehr stark von den Umständen in den einzelnen Ländern ab. Japan hat eine Verschuldung von über 200% des BIP und ist damit noch nicht in Schieflage geraten. Es kommt auch sehr stark darauf an, ob ein Land in seiner eigenen oder in einer Fremdwährung verschuldet ist.
Das ist ein Problem in der EU, wo der Euro die Staaten zwingt, ihre Schulden in einer harten Währung zu tragen und Wechselkurs-Anpassungen nicht mitwirken können.
Fazit: Hohe Schulden sind je nach Umständen mehr oder weniger problematisch. Aber die Experten sind sich darin einig, dass die Schweiz mit ihrem Staatshaushalt im grünen Bereich liegt.
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Staatsschulden: Schweizer sind Europameister im Sparen
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Die Schweiz ist eines der wenigen Länder Europas, welche die Haushaltsdisziplin respektieren. Die EU hatte diese vor zwanzig Jahren angenommen, von ihren Mitgliedern wird sie aber wenig angewendet. Die Schweizer Staatsschuld entspricht knapp 33% des BIP. Jene der 28 EU-Staaten liegt durchschnittlich bei über 85%. Dennoch legt die Schweizer Regierung jedes Jahr ein Sparprogramm für die öffentlichen Ausgaben vor. Eine besonnene Finanzpolitik oder Sparwut?
«Die Schweiz geht in Richtung Bankrott», prognostizierte das Wochenmagazin Facts 1997, nach einer Serie von Milliarden-Defiziten in der Staatskasse. Die Zeitschrift ging einige Jahre später Pleite, während es den Schweizer Finanzen gut geht. Alles bestens. Zusammen mit Norwegen, wo die Einnahmen aus Erdöl die Steuererträge alimentieren, ist die Schweiz gar das einzige Land Europas, das seit Ausbruch der letzten grossen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 seine öffentlichen Schulden senken konnte. Und dies sogar, ohne auf die Umsetzung teurer Infrastrukturprojekte zu verzichten, wie den Gotthard-Basistunnel, den längsten Eisenbahntunnel der Welt, der am 1. Juni eingeweiht worden ist.
Die Schweiz, die kein EU-Mitglied ist, gehört zu den wenigen Ländern, die von Anfang an «die Kriterien der Konvergenz» des Abkommens von Maastricht erfüllen. Mit dem Vertrag von 1992 wurde die Basis für die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Einführung des Euros gebildet.
Länder, die der Einheitswährung beitreten wollen, müssen sich verpflichten, ihre Staatsverschuldung auf unter 60% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) zu beschränken.
Gewisse Länder verstiessen jedoch bereits bei ihrem Beitritt zum Euro gegen derlei Vorgaben: Etwa Griechenland mit 107%, Italien mit 109%, Belgien mit 114%. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise sahen sich weitere EU-Länder gezwungen, ihre Ausgaben massiv zu erhöhen, um den Bankensektor zu stützen und die Konjunktur anzukurbeln.
Heute übersteigt die Staatsverschuldung der wichtigsten Wirtschaften der Euro-Zone, aber auch jene Grossbritanniens, die Schwelle von 60%.
Die öffentlichen Finanzen der Schweiz konnten in diesen Jahren jedoch von einer unerwarteten wirtschaftlichen Stabilität profitieren, was auch der Steuerkasse zu Gute kam.
Die Schweizer Wirtschaft, die nur 2009 einen Rückgang erlebte, kam rasch aus der internationalen Krise heraus: Die Nachfrage der Konsumenten hielt stand, die Exporte brachen nicht ein, trotz Rückgang der Nachfrage auf den EU-Märkten, und die Arbeitslosenrate blieb bei 3-4%.
Die Schweizerische Nationalbank spielte dabei eine wichtige Rolle, etwa bei der Rettung der UBS und indem sie über Jahre der Aufwertung des Frankens entgegenwirkte. Die Schweiz stand auch beim Verhältnis der Staatsausgaben zum BIP besser da als andere europäische Länder, die von einem wuchtigen Staatsapparat belastet waren.
Ausschlaggebend für einen gesunden Staatshaushalt war auch die so genannte «Schuldenbremse». Diese war 2003 von der Eidgenossenschaft eingeführt worden, um eine Schieflage der Staatsfinanzen und einen Schuldenanstieg zu vermeiden, wie das in den 1990er-Jahren passiert war.
Dieser Mechanismus zielt darauf ab, Einnahmen und Ausgaben im Lauf eines Konjunkturzyklus› auszugleichen: Wenn sich die Wirtschaft abschwächt, sind Defizite begrenzt zugelassen, während in Jahren der Hochkonjunktur Überschüsse erwirtschaftet werden müssen. Ähnliche Modelle wurden auch in den vielen Kantonen eingeführt.
Dank der Schuldenbremse konnte das Gleichgewicht des Staatshaushalts schnell wieder hergestellt werden: Die Gesamtschuld (öffentliche Verwaltung und soziale Sicherheit) ging so von 50,7% im Jahr 2003 auf 33,1% im 2015 zurück.
Im letzten Jahrzehnt wiesen die Konten der Eidgenossenschaft – ausgenommen 2014 – immer Milliardenüberschüsse aus. Ein Resultat, das auf europäischer Ebene praktisch einzigartig ist.
Die Sanierung der Finanzen wird von allen politischen Kräften unterstützt, da sie nicht nur die Ausgaben zur Zahlung der Schuldzinsen ermöglicht, sondern auch die Resistenz des Landes angesichts neuer Krisen stärkt. Für einige Parteien und auch für gewisse Ökonomen hat die Sparpolitik jetzt aber das Mass überschritten: Im letzten Jahrzehnt hat die Eidgenossenschaft auch in konjunkturell schwachen Jahren Überschüsse erzielt. Trotz dieser Gewinne legt die Regierung Jahr für Jahr neue Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben auf den Tisch.
Die Linke fordert, dass die finanziellen Mittel des Bundes in einem Konjunkturtief hauptsächlich zur Stärkung des Sozialstaates eingesetzt werden sowie zur Unterstützung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Gemäss den Mitte- und Rechtsparteien braucht die Wirtschaft keine staatliche Unterstützung, sondern zusätzliche Steuererleichterungen.
Trotz guter Entwicklung bei den Bundesfinanzen gehört die Finanzpolitik seit Jahren zu den umstrittensten Themen im Parlament. So auch in diesem Jahr. Im Rahmen der neuen Unternehmenssteuerreform hat die Mehrheit der Parlamentarier aus dem Mitte- und Rechtslager eine ganze Reihe von Steuererleichterungen in Milliardenhöhe für Unternehmen gutgeheissen. Für die Linke ist diese Reform ein Angriff auf die Staatskasse. Sie will dagegen das Referendum ergreifen. Gleichzeitig hat Finanzminister Ueli Maurer bereits drei Sparpläne für die kommenden Jahre vorgelegt, die insbesondere die Sozialversicherungen, die Bildung sowie die Entwicklungshilfe betreffen. Verschont werden jedoch die nationale Verteidigung, die Landwirtschaft sowie das Verkehrswesen. Diese Sparpläne sorgen für grosse Konflikte unter den Parteien.
Wie die übrigen Länder Europas ist auch die Schweiz mit zwei Kostenfaktoren konfrontiert, welche die öffentlichen Ausgaben in die Höhe treiben könnten: die Alterung der Bevölkerung und die Explosion der Gesundheitskosten. In den nächsten 30 Jahren werden laut dem neusten Bericht des Finanzdepartements 150 Milliarden Franken benötigt, um den Aufwand für die Folgen der demografischen Entwicklung zu finanzieren.
Ohne Sparmassnahmen oder höhere Steuereinnahmen wird die Staatsverschuldung bis 2045 auf 59% des BIP ansteigen. Reformen bei der Kranken- und der Sozialversicherung sind allerdings schon seit rund 20 Jahren auf dem Tapet, ohne dass sich die Parteien auf einen Kompromiss hätten einigen können.
Eine Lösung ist allerdings dringend nötig, denn die demografische Entwicklung stellt eine Zeitbombe dar, die das Gleichgewicht der Staatsfinanzen massiv bedrohen könnte.
swissinfo.ch: Trotzdem sitzt der Schweizer Finanzminister auf der Staatskasse wie Dagobert Duck auf dem Goldtresor.
M.B.: Er muss trotz der vergleichsweise komfortablen Lage aufpassen. Es gibt nicht nur die explizite finanzielle Verschuldung des Staates, sondern auch eine implizite Verschuldung: d.h. zu erwartende Ansprüche, von denen man Kenntnis hat.
Infolge der demografischen Entwicklung kann man zum Beispiel schon jetzt prognostizieren, dass in der Zukunft ein zusätzlicher Ausgabenbedarf auf den Schweizer Staatshaushalt zukommt – Stichwort AHV. Solche implizite, also nicht im Budget ausgewiesene Schulden, muss man auch berücksichtigen.
swissinfo.ch: Schulden machen alle Staaten, sogar die Musterschülerin Schweiz. Wer Schulden macht, konsumiert heute, bezahlt aber erst in Zukunft und mit den Zinsen letztlich mehr. Wäre es nicht im Interesse der Steuerzahler, wenn der Staat überhaupt keine Schulden machen würde?
M.B.: Nein, ökonomisch ist eine gewisse Staatsverschuldung absolut sinnvoll. Wenn ich als Privathaushalt nicht erst im Rentenalter ein Haus kaufen möchte, kann ich mich verschulden. Ähnlich ist es beim Staat. Um Investitionen zu finanzieren, ist es wirtschaftlich absolut sinnvoll, wenn sich der Staat verschuldet.
Und den Finanzmärkten können Staatsanleihen als sicheres Investitionsvehikel eine Ankerwirkung verleihen.
swissinfo.ch: Wer eine Hypothek für den Kauf eines Hauses aufnimmt, geht davon aus, dass es in Zukunft wirtschaftlich immer ein bisschen besser geht. Können Staaten ruhigen Gewissens auch davon ausgehen, dass es ihrer Wirtschaft immer gut geht?
M.B.: Die Bevölkerung wächst, die wirtschaftliche Tätigkeit nimmt stetig zu. Solange die Wachstumsrate des Volkseinkommens höher ist als der Zins, wird sich die Schuldenlast sogar automatisch senken.
In einigen Ländern konnte man beobachten, dass grosse Defizite anfielen und sich die Schuldenlast langfristig erhöhte. Aber in der Schweiz ist diese Tendenz nicht auszumachen.
swissinfo.ch: Das ist in der Tat so. Seit 2010 hat der Bund einen kumulierten Überschuss von über neun Milliarden Franken produziert. Was soll mit diesen Überschüssen geschehen? Noch mehr Schulden abbauen, sagen Sie, sei nicht ökonomisch. Also Steuereinnahmen senken oder mehr ausgeben?
M.B.: Das sind politische Fragen. Als Ökonom möchte ich mich nur dazu äussern, wie man mit den regelmässig wiederkehrenden Überschüssen umgehen könnte. Ich bin zum Schluss gekommen, dass ein wichtiger Teil dieser Überschüsse das Resultat eines normalen verwaltungstechnischen Ablaufs sind. Warum: Die einzelnen Verwaltungseinheiten budgetieren jeweils grosszügig, und wenn die Ausgaben getätigt werden, unterschreiten diese normalerweise den budgetierten Betrag ein wenig. Wenn man ein Budget verwalten muss, ist es am Ende der Rechnungsperiode viel weniger umständlich, etwas Geld zurückgeben zu müssen, als das Budget zu überschreiten. Dieser Verwaltungsmechanismus führt dazu, dass am Schluss ein Rechnungsüberschuss herauskommt, auch wenn man ursprünglich ausgeglichen budgetiert hat.
swissinfo.ch: Wie lässt sich das korrigieren?
M.B.: Es ist meines Erachtens weder technisch noch juristisch ein Problem. Die gleiche Logik, mit der Fluggesellschaften ihre Flugzeuge überbuchen, weil fast immer einzelne Passagiere trotz bezahltem Ticket nicht erscheinen, könnte man bei der Schuldenbremse anwenden. Man könnte also einen vorausschauenden Korrekturfaktor in die Budgetierung einbauen, im Wissen, dass ein gewisser Überschuss anfallen wird. Diesen Überschuss, es sind jährlich immerhin 0,5 bis 1 Mrd. Franken, könnte man zum Beispiel für eine Gegenfinanzierung von Steuerreformen einsetzen.
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