Schweiz soll Schutz verletzlicher Migranten verbessern
Minderjährige Migranten an Flughäfen oder in Gefängnissen festhalten: Der Menschenrechtskommissar des Europarats fordert die Schweiz auf, diese Praktik zu stoppen. Auch soll sie den Status der vorläufig Aufgenommenen überdenken.
In seinem am Dienstag veröffentlichten BerichtExterner Link zur Menschenrechtslage in der Schweiz ruft Nils Muiznieks die Schweizer Behörden dazu auf, den «traumatisierenden» Umgang mit minderjährigen Migranten zu stoppen. Die Kinder werden in den Transitzonen von Flughäfen während 60 Tagen festgehalten – mit oder ohne ihre Eltern. Sie müssen dort auf den Entscheid über ihren Status warten.
Menschenrechte und direkte Demokratie
Der Europarat hat sich in dem BerichtExterner Link auch besorgt über die Selbstbestimmungs-Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) geäussert. Der Initiativtext riskiere die Menschenrechte zu schwächen, indem das Schweizer Recht über internationale Abkommen gestellt werde. Die Initiative könnte zur Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) führen, heisst es im Bericht. Der Europarat folgt damit der Argumentation von Schweizer Nichtregierungs-OrganisationenExterner Link, die vor einer Kündigung der EMRK warnen.
Laut der SVPExterner Link hingegen ist eine Kündigung der EMRK nicht das Ziel der Selbstbestimmungs-Initiative, werde aber in Kauf genommen, falls es zu wiederholten und grundlegenden Konflikten mit der Verfassung komme. SVP-Präsident Albert Rösti sagte gegenüber dem italienischsprachigen Schweizer Fernsehen RSI, die Menschenrechte seien erstens auch durch die Schweizer Verfassung garantiert, und die Initiative klammere zweitens das zwingende Völkerrecht aus. Die Kritik des Europarats bezeichnete er als Affront, denn die Menschenrechte würden in der Schweiz gerade auch dank der direkten Demokratie geschützt.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, empfahl den Schweizer Behörden darüber hinaus einen Mechanismus einzuführen, der die Vereinbarkeit zwischen den Volksinitiativen und internationalen Vereinbarungen über Menschenrechte überprüfe. Nach geltendem Recht kann das Schweizer Parlament nur jene Volksinitiativen für ungültig erklären, die gegen zwingendes Völkerrecht verstossen.
Laut Muiznieks sind sich die Schweizer Behörden des Problems zwar seit Jahren bewusst, Reformvorschläge seien jedoch stets gescheitert.
Aussenminister Didier Burkhalter reagierte auf die Kritik des Menschenrechtskommissars und rief in Erinnerung, dass das Initiativrecht in der Schweiz einen der Grundpfeiler der Demokratie darstelle. Es erlaube dem Schweizer Volk, aktiv an der politischen Debatte teilzunehmen und diese voranzutreiben.
Normalerweise würden Zollbeamte an einer Grenze kein Kind zurückhalten, sagte der Menschenrechtskommissar zu swissinfo.ch. «Deshalb sollte das auch an einem Flughafen nicht geschehen.» Es sei nie zum Wohlergehen eines Kindes, in Gewahrsam genommen zu werden.
Muiznieks zeigte sich auch besorgt darüber, dass gewisse Kantone 16- und 17-jährige Migranten in Administrativhaft nehmen – eine Haft, welche die Weg- oder Ausweisung einer Person aus der Schweiz garantieren und deren Untertauchen verhindern soll. Sämtliche Anlaufstellen für asylsuchende Frauen und Kinder müssten «einladend» sein, sagte er.
In der auf der Internetseite des Europarates veröffentlichten Antwort der SchweizExterner Link reagiert der scheidende Aussenminister Didier Burkhalter auf den Bericht: Es handle sich nicht um einen Freiheitsentzug, wenn eine Person in der Transitzone eines Flughafens festgehalten werde. Denn diese Zone sei kein Gefängnis. Es gehe dabei um eine vorübergehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf legaler Basis.
Muiznieks war im Mai in die Schweiz gereist, um sich im Rahmen seines Evaluations-Mandats ein Bild der Menschenrechtslage in der Schweiz zu machen. Das Mandat des Kommissars gilt für sämtliche 47 Mitgliedstaaten des Europarats. Während seines dreitägigen Besuchs traf er sich unter anderem mit Burkhalter, mit Parlamentskommissionen und Nichtregierungs-Organisationen zu Gesprächen. Auch besuchte er die Asylzentren auf dem Glaubenberg im Kanton Obwalden und am Flughafen Zürich.
Der Kommissar zeigte sich grundsätzlich zufrieden mit dem konstruktiven Umgang der Schweizer Behörden während seines Besuchs. Dennoch: Zu den Hauptanliegen an die Adresse der Schweiz in dem 40-seitigen Bericht gehören der Ausbau des Schutzes für Migranten und Asylsuchende sowie der Menschenrechts-Förderung.
Vorläufig Aufgenommenen fehlt Perspektive
Als dringend erachtet er die Revision des Status der vorläufigen Aufnahme. Betroffen sind insbesondere Menschen aus Syrien, die zwar als Flüchtlinge anerkannt aber nach nationalem Recht vom Asyl ausgeschlossen sind. Diese Menschen fänden sich in einer prekären Situation, die deren Integration erschwere. Muiznieks hält diesen Status für Menschen aus Syrien zudem für kurzsichtig: «Es ist klar, dass die Krise in Syrien und in anderen Konfliktzonen lange dauern wird. Weshalb also anerkennen wir nicht die Realität und geben diesen Menschen einen langfristigen Status, damit sie sich ein Leben aufbauen können?» Die Schweiz habe die Mittel, um diesen rationalen Schritt zu tun und den Status der vorläufigen Aufnahme zu revidieren, so der Kommissar.
Muiznieks stellte zudem fest, dass in anderen Ländern Europas ähnliche Regeln gelten würden, so zum Beispiel in Schweden. Kürzlich auf Besuch in dem skandinavischen Land ermahnte er die Behörden, diesen «Dringlichkeits-Zustand» im Umgang mit Asylsuchenden zu überwinden.
Gute Noten für Gesetzesrevision
Zufrieden zeigte sich der Kommissar mit dem revidierten Asylgesetz, dass 2019 in Kraft treten soll. Es sieht ein beschleunigtes Asylverfahren vor. Ausserdem sollen Asylsuchende von Anfang an eine kostenlose Rechtsvertretung erhalten. Zwar dauere es noch eine Weile, bis das neue Gesetz in Kraft trete, aber alle, die er getroffen habe, hätten sich zufrieden damit gezeigt, sagte Muiznieks.
Er stellte weiter fest, dass die Menschenrechts-Normen je nach Kanton variierten. Er begrüsste die Bemühungen der Schweiz, künftig eine nationale Menschenrechtsinstitution errichten zu wollen. Diese müsse dafür sorgen, die kantonalen Unterschiede zu verringern. Dabei müsse sie darauf achten, dass kein Kanton den Anschluss verpasse.
Kritik übte Muiznieks am Gesetzesvorentwurf zur Unterstützung dieser nationalen Menschenrechtsinstitution: Dieser sehe ein zu kleines Budget vor, um die Unabhängigkeit der Institution zu garantieren. Auch dass das Zentrum universitär verankert sein soll und somit keinen eigenen juristischen Status habe, schade dessen Unabhängigkeit.
Aussenminister Burkhalter hielt in seiner Antwort fest, dass der Einsatz für Menschenrechte fest in der Geschichte, den Traditionen, dem rechtlichen Rahmen und dem politischen System der Schweiz verankert sei. Er anerkannte aber auch, dass der Schutz der Menschenrechte in sich ständig weiterentwickelnden Gesellschaften eine andauernde Herausforderung bleibe.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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