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Abgang einer Ministerin, die für das Ende des Bankgeheimnisses stehen wird

BDP-Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat am 28. Oktober an einer Pressekonferenz erklärt, dass sie auf Ende Jahr zurücktreten werde. Keystone

Eveline Widmer-Schlumpf, die anstelle von Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt und dann aus der SVP ausgeschlossen wurde, prägte die Schweizer Politik mit der entscheidenden Rolle, die sie beim Ende des Bankgeheimnisses gegenüber dem Ausland spielte. Die beharrliche Bündnerin verlässt die Regierung, ohne je eine Volksabstimmung verloren zu haben.

Der 12. Dezember 2007 steht für einen Paukenschlag in der Schweizer Politlandschaft, die kaum Erfahrungen hat mit Palastrevolutionen: Christoph Blocher, der starke Mann der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der es geschafft hatte, die rechtskonservative Partei in etwas mehr als zehn Jahren zur stärksten Partei des Landes zu machen, wurde damals nach nur einer Legislaturperiode aus der Regierung verdrängt.

Eveline Widmer-Schlumpf in Kürze

Nach einem Jurastudium an der Universität Zürich erwarb Eveline Widmer-Schlumpf das Bündner Anwalts- und Notariatspatent; 1990 promovierte sie an der Universität Zürich.

Sie arbeitete nicht nur als selbständige Rechtsanwältin und Notarin, sondern präsidierte unter anderem das Kreisgericht Trins in ihrem Heimatkanton Graubünden.

1998 wählten sie die Bündnerinnen und Bündner als erste Frau in die kantonale Regierung, der sie bis Ende 2007 angehörte. Von 2001 bis 2007 präsidierte sie die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren.

Als Mutter von drei Kindern galt sie als Modell für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere.

Am 12. Dezember 2007 wurde Widmer-Schlumpf von der Vereinigten Bundesversammlung in den Bundesrat gewählt, anstelle von Christoph Blocher, dem starken Mann der SVP.

Sie übernahm zunächst das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, ab dem 1. November 2010 war sie dann Vorsteherin des Finanzdepartements.

Am 28. Oktober 2015 gab sie bekannt, dass sie nicht zur Wahl für eine dritte Amtszeit antrete.

Das Manöver der Links- und Mitteparteien hatte funktioniert. Eine 51 Jahre alte Bündnerin, wie Christoph Blocher SVP-Mitglied, wurde in den Bundesrat (Regierung) gewählt. Ihr Name: Eveline Widmer-SchlumpfExterner Link. Obschon in der Öffentlichkeit nicht gross bekannt, war sie keine politische Anfängerin. Unter anderem verfügte sie über solide Erfahrungen als Mitglied der Bündner Kantonsregierung, wo sie fast zehn Jahre das Finanzdepartement leitete.

Als Tochter des ehemaligen Bundesrats Leon SchlumpfExterner Link (im Amt von 1979 bis 1987) war sie schon früh von Politik umgeben und kannte all deren Aspekte. Als sie ihre Wahl in den Bundesrat annahm, zum grossen Leidwesen der SVP, die ihr diesen «Verrat» nie verzeihen würde, wusste sie, welche Konsequenzen sie erwarteten. Da die Partei Widmer-Schlumpf nicht rauswerfen konnte, entschied sich die SVP, die ganze kantonale Sektion der Bündner auszuschliessen.

Schwierige Umstände wirken stimulierend

«Es war nicht das erste Mal, dass ein offizieller Kandidat oder ein bisheriges Regierungsmitglied nicht oder nicht wieder gewählt wurde, Christoph Blocher selbst hatte 2003 Bundesrätin Ruth Metzler von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) aus dem Amt verdrängt», ruft Georg LutzExterner Link, Politologe an der Universität Lausanne in Erinnerung. «Ausserordentlich für die Schweizer Politik war aber, dass die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf der Auftakt zur Gründung einer neuen politischen Partei wurde, der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).»

Doch obschon sie als Vertreterin einer Minderheitspartei in der Regierung sitzt, lässt sich die Bündnerin nicht unterkriegen. Im Gegenteil, die schwierigen Umstände stimulieren sie. Während ihren ersten drei Jahren in der Regierung ist sie für die Migrationspolitik zuständig und legt einen eher verhaltenen Start hin.

Doch 2008 katapultiert ein Schicksalsschlag die Bundesrätin in den Vordergrund: Als sie ihren Kollegen Hans-Rudolf Merz vertritt, der einen Herzinfarkt erlitten hatte, muss sie für die Rettung der UBS sorgen. Der grössten Schweizer Bank drohte damals wegen deren Geschäften auf dem amerikanischen Markt mit Subprime-Hypotheken der Konkurs.

Eveline Widmer-Schlumpf habe in Krisenzeiten immer gewusst, wie zu reagieren, sagt Lutz. Auch 2012, in der Affäre Hildebrand – der damalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sah sich wegen Vorwürfen von Insider-Delikten zum Rücktritt gezwungen. «Sie hatte den SNB-Präsidenten unterstützt, bis sein Rücktritt unausweichlich erschien. Auch wenn sie Kritik nicht völlig vermeiden konnte, hatte sie in der Angelegenheit den richtigen Weg eingeschlagen», meint der Politologe.

«Sehr pragmatisch, fundiert auf allen Ebenen, unterliefen ihr nur sehr wenige Fehler. Auch ihr Kommunikationsstil, frei von Emotionen, wurde sehr geschätzt.» Georg Lutz, Politologe 

Die grösste Reform

2010, nach dem Rücktritt von Hans-Rudolf Merz, findet Widmer-Schlumpf in der Regierung wirklich ihren Platz. Sie übernimmt das FinanzdepartementExterner Link, ein auf sie zugeschnittenes Portfolio, wo sie die Möglichkeit hat, die wichtigsten Reformen umzusetzen. Unter internationalem Druck, vor allem der USA, sieht sich die Schweiz gezwungen, im Bereich des Bankgeheimnisses nachzugeben, das von Widmer-Schlumpfs Vorgängern noch als «nicht verhandelbar» bezeichnet worden war.

Im Dezember 2012, nach dem Scheitern der Abgeltungssteuer-Abkommen (Quellensteuermodell «Rubik»), sorgt die Bündnerin bei den rechten Parteien und in Bankenkreisen für einen Aufschrei, indem sie den Weg zu einem Austausch von Daten öffnet, die ausländische Kunden von Schweizer Banken betreffen.

«Sie spielte in diesem sehr raschen Paradigmenwechsel eine zentrale Rolle. Eveline Widmer-Schlumpf brachte diese Strategie in den Bundesrat und vor das Parlament», unterstreicht Lutz.

Schliesslich stellte sich auch die Schweizerische Bankiervereinigung hinter die neuen Normen. Der lange als Zukunftsmusik geltende automatische Informationsaustausch (AIA) wird ab 2016 Realität.

«Das ist die bedeutendste Reform der letzten 80 Jahre», bekräftigte Christophe Darbellay in der Wirtschaftszeitung L’Agéfi. CVP-Präsident Darbellay war 2007 einer der wichtigsten Architekten der Wahl von Widmer-Schlumpf in den Bundesrat und ihrer Wiederwahl 2011.

Traditionelle bürgerliche Politik

Eveline Widmer-Schlumpf wird einem auch in Erinnerung bleiben als eines der Mitglieder der Regierung, die sich nach der Katastrophe von Fukushima für den Ausstieg aus der Atomenergie aussprachen. «Sie hat bestimmt dazu beigetragen, dass es eine Mehrheit gab, aber ihre Rolle war nicht gleich entscheidend wie im Dossier Bankgeheimnis», erklärt Lutz.

Wichtige laufende Steuerreform

Zu den offenen Baustellen, die Eveline Widmer-Schlumpf ihrem Nachfolger überlässt, gehört die 3. Unternehmenssteuer-Reform.

Unter Druck der EU und der OECD wird die Schweiz Steuerprivilegien für Holdings und Spezialgesellschaften abschaffen müssen, will dabei aber gleichzeitig ihre Attraktivität erhalten.

Das Projekt steckt noch im Frühstadium, aber der Spagat zwischen den Interessen der Wirtschaft und jenen der öffentlichen Finanzen zeichnet sich schon jetzt als schwierig und gewagt ab.

Transparenz und Steuergerechtigkeit liegen ihr am Herzen, und die Magistratin zögerte nicht, das System der Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer als «ungerecht» zu bezeichnen, obschon sie es im letzten Jahr bei einer Volksabstimmung im Namen der Regierung hatte verteidigen müssen.

Bei anderen Dossiers in ihrem Aufgabenbereich zeigte sich Widmer-Schlumpf hingegen eher als klassische Finanzministerin. «Sie hielt die Verschuldung des Bundes im europäischen Vergleich auf extrem tiefem Niveau und leitete in der Verwaltung Sparmassnahmen ein. Damit verfolgte sie eine traditionell bürgerliche Politik», sagt der Politologe.

Eveline Widmer-Schlumpf, in Linkskreisen geschätzt wegen ihres Engagements für die Institutionen und in Mitte-Rechts-Kreisen für ihre Haushaltspolitik, genoss bei der Bevölkerung, mit Ausnahme von SVP-Sympathisanten, immer grosse Popularität. Wie die Westschweizer Tageszeitung Le Temps es jüngst formulierte, verpasste sie nie einen Termin mit dem Volk: Sie trug bei 11 Abstimmungen 11 Siege davon.

Fähigkeit zu relativisieren

«Sehr pragmatisch, fundiert auf allen Ebenen, unterliefen ihr nur sehr wenige Fehler. Auch ihr Kommunikationsstil, frei von Emotionen, wurde sehr geschätzt», fasst Lutz zusammen. Man könnte ihr höchstens einen gewissen Mangel an Charisma vorwerfen.

o wird auch ihr Jahr als Bundespräsidentin (2012) keine bleibenden Erinnerungen hinterlassen. Man wird sich an trockene und oft sehr technische Reden erinnern, in die sie in der Regel auch keine kleinen Sätze einfliessen liess, die in den Köpfen der Leute Funken zünden sollten.

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Was Beobachter hingegen beeindruckt, sind ihre Arbeitskraft und die profunde Sachkenntnis, sie beherrschte ihre Dossiers immer bis ins kleinste Detail. Wenn sie sich ihrer Sache sicher war, konnte sie sich aber auch unnachgiebig – oder kalt – zeigen, wie die NZZ am Sonntag berichtete. So hatte sie nicht gezögert und bei ihrem Amtsantritt im Justiz- und Polizeidepartement Kaderpersonal ausgewechselt, das zu einem grossen Teil loyal gewesen war zu Christoph Blocher, der zu ihrem grössten Feind geworden war.

Auf einer persönlicheren Ebene schrieb man die Hartnäckigkeit und Widerstandskraft von Eveline Widmer-Schlumpf oft ihren Wurzeln in den Bergen zu. Aber auch ihr Familienschicksal wird ihren Lebensverlauf beeinflusst haben.

So hatten der Tod ihrer Schwester 1983 bei einem Autounfall und die schwerwiegenden Herzprobleme ihrer jüngsten Tochter nach deren Geburt – Widmer-Schlumpf ist Mutter von drei erwachsenen Kindern – sicher einen Einfluss auf ihre politische Karriere. «Wenn Ihnen so etwas passiert, relativieren sie alles andere», hatte sie 2013 in einem Interview mit dem Westschweizer Magazin L’IllustréExterner Link erklärt.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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