Experten läuten Totenglocke für Bankgeheimnis
Die Schweiz muss das Bankgeheimnis aufgeben, wenn sie den Erfolg ihres Finanzplatzes sichern will. Zu diesem Schluss kommt die Arbeitsgruppe um den Ökonomen Aymo Brunetti in einem Bericht an den Bundesrat. Dieser will den Empfehlungen folgen.
Bisher hatte der Bundesrat zur Verteidigung des Schweizer Bankgeheimnisses auf die Abgeltungssteuer gesetzt: Schweizer Banken führen zwar Steuern auf ausländischen Vermögen in die Heimatländer der Konteninhaber ab, behalten die Namen ihrer Kunden aber geheim.
Auch die Experten, die Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Anfang Jahr mit der Ausarbeitung des Berichts «Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie» beauftragt hatte, sind der Ansicht, dass diese Lösung besser als der Informationsaustausch geeignet ist, für Steuerkonformität zu sorgen. Leider sei schwinde die globale Akzeptanz dieses Ansatzes, so Brunetti. Wenn der automatische Informationsaustausch schon unvermeidbar sei, sollte die Schweiz wenigstens aktiv am neuen Standard mitarbeiten und wenn möglich Gegenleistungen erhalten, sagte der Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Bern.
Das Modell der EU von 2005 sieht vor, dass die Banken zweimal jährlich alle Zinseinkünfte ihrer Kunden dem Finanzamt des betreffenden Landes melden. Gemeldet werden Name, Adresse und Zinseinkünfte.
Der automatische Austausch von Bankinformationen wird von Österreich und Luxemburg abgelehnt, die eine Quellensteuer von 35% auf Einkommen von Bürgern aus anderen Ländern erheben.
Diese Steuereinnahmen werden den anderen Staaten überwiesen, ohne Angabe von Namen des Kontoinhabers und der Bank. Auch die Schweiz wendet dieses Modell gegenüber der EU an.
Wegen der Schwachstellen des bisherigen Systems hat die EU entschieden, den automatischen Informationsaustausch (AIA) ab 2015 auf fünf Einkommens- und Vermögenskategorien auszuweiten: Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Sitzungsgelder, Gewinne aus Lebensversicherungen, Renten, Immobilien und Immobiliengewinne.
Die EU drängt darauf, dass auch Österreich, Luxemburg und die Schweiz das Bankgeheimnis aufheben und den automatischen Austausch von Informationen annehmen. Laut Brüssel gehen den EU-Mitgliedern wegen Steuerhinterziehung jährlich 1000 Milliarden Euro an Steuergeldern verloren.
Gleich lange Spiesse
In dem am Freitag in Bern veröffentlichten Bericht kommt die Arbeitsgruppe um den ehemaligen Seco-Chefökonomen jedoch zum Schluss, dass der internationale Trend in die andere Richtung, in Richtung automatischen Informationsaustausch (AIA) geht. Die Experten empfehlen dem Bundesrat daher, sich künftig an einem internationalen Standard zu orientieren, der für alle Finanzplätze gleich lange Spiesse schafft.
Ziel dieses Vorgehens ist es, den wirtschaftlichen Erfolg des Finanzplatzes langfristig zu sichern: «Ohne nachhaltige internationale Akzeptanz und Rechtssicherheit wird der Schweizer Finanzplatz geschwächt», warnen die Autoren.
Sie empfehlen, dass die Schweiz zunächst die Vorgaben des Global Forum der OECD vollständig umsetzt. Ab sofort soll sie zudem im Rahmen der OECD aktiv an der Entwicklung eines globalen Standards für den automatischen Informationsaustausch mitarbeiten. Dieser soll in allen wichtigen Finanzplätzen zur Anwendung kommen und alle Rechtsformen, also auch Trusts und Sitzgesellschaften, erfassen.
Bevor die Schweiz einen solchen Standard übernimmt, müsse sie sich um eine faire Lösung für bestehende, unversteuerte Vermögen bemühen, empfehlen die Experten weiter. Gegenüber den EU-Mitgliedstaaten kann dies etwa über eine Rahmenvereinbarung auf der Basis einer Abgeltungssteuer-Lösung geschehen.
Entgegenkommen an EU
Hat die Schweiz damit Erfolg, empfiehlt der Bericht, der EU schon vor Einführung eines globalen Standards Verhandlungen über den automatischen Informationsaustausch anzubieten. Dieses Angebot sollte die Schweiz aus Sicht der Experten aber an die Bedingung knüpfen, dass der Marktzugang für die Schweizer Vermögensverwaltung in der EU gewährleistet ist.
Die Schweiz ist diesbezüglich unter Druck, weil neue Richtlinien den Marktzugang für Schweizer Banken stark einzuschränken drohen. Tritt dieser Fall ein, solle die Schweiz auf eine vertiefte steuerliche Zusammenarbeit mit der EU verzichten, heisst es im Bericht weiter.
Sind die bilateralen Verhandlungen mit der EU nicht erfolgreich, soll die Schweiz zudem einen allfälligen internationalen Standard auch mit der EU erst umsetzen, wenn er für alle relevanten Finanzplätze gilt.
Gemäss dem Bericht gab es innerhalb der Expertengruppe auch Stimmen, die eine vorzeitige Einführung eines neuen Standards mit der EU ablehnen. Sie wollen erreichen, dass sich auch die EU für eine globale Umsetzung bemüht.
Widmer-Schlumpf nimmt Ball auf
Der Bundesrat will, dass die Schweiz aktiv an der Entwicklung des OECD-Standards zum automatischen Informationsaustausch mitwirkt. Dies sagte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf bei der Vorstellung des Brunetti-Berichts.
Die Schweiz soll nach dem Willen des Bundesrates den neuen Standard auch übernehmen – aber erst, wenn andere dies auch getan haben. Wenn in der G20, der OECD und auf den wichtigsten Finanzplätzen der Standard anerkannt und eingeführt sei, wolle der Bundesrat eine Vorlage dazu ins Parlament bringen, sagte Widmer-Schlumpf.
Die Bundesratsmitglieder seien sich zwar einig darin, dass das Abgeltungssteuermodell das effizienteste und effektivste sei. Damit könne die Privatsphäre gewahrt und trotzdem Steuergerechtigkeit hergestellt werden.
Aber die Diskussion gehe in eine andere Richtung. «Das muss man so zur Kenntnis nehmen», sagte Widmer-Schlumpf. Sie habe es selbst erlebt auf Konferenzen. Die Frage des automatischen Informationsaustauschs werde diskutiert, die OECD arbeite intensiv auf einen solchen Standard hin.
Mit dem Expertenbericht Brunetti hat sich der Bundesrat laut Widmer-Schlumpf noch nicht vertieft befasst. Er hat aber das Finanzdepartement beauftragt, den Bericht bis im September zu analysieren. Dann will die Regierung über die einzelnen Punkte eine vertiefte Diskussion führen.
Bankiervereinigung: bereit für Verhandlungen
Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) ist bereit, mit der EU die Ausweitung der Zinsbesteuerung und einen automatischen Informationsaustausch (AIA) zu verhandeln. Sie stellt dazu aber Bedingungen.
Dazu zählen eine «faire und tragfähige Regularisierung der Vergangenheit» und «keine weiteren Diskriminierungen beim Marktzutritt», teilte die Vereinigung als Reaktion auf den Experten-Bericht mit. Zudem fordert Swiss Banking eine Übergangsfrist über den 1. Januar 2015 hinaus, da die Schweiz ein Drittstaat ist.
Parallel zu den Verhandlungen mit der EU solle die Schweiz in der OECD versuchen, den globalen Standard für den AIA mitzugestalten. Dabei dürften anonyme Strukturen wie beispielsweise Trusts nicht ausgeklammert werden, fordert die Bankervereinigung. Dass verschiedene Standards entstünden, müssten aus Kosten-, Effizienz- und Wettbewerbsgründen «unter allen Umständen» verhindert werden.
Economiesuisse will analysieren
Auch für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist klar, dass sich die Schweiz dem AIA, der sich als Standard auf internationaler Ebene abzeichne, wahrscheinlich nicht entziehen kann, wie der stellvertretende Leiter Wettbewerb & Regulatorisches von Economiesuisse, Meinrad Vetter, sagte.
«Wir müssen den Bericht noch analysieren, der sehr sorgfältig verfasst ist und eine Auslegeordnung macht», sagte Vetter. Der Bericht zeige viele offene Fragen auf, die noch gelöst werden müssten.
Dazu gehörten die Ausgestaltung und der Umfang des AIA sowie die Lösung der Altlasten aus der Vergangenheit. «Denn man kann keinen AIA machen, ohne dass die Vergangenheit gelöst ist», sagte Vetter.
SP: «Meilenstein»
Als» Meilenstein nach dem jahrzehntelangen Festhalten am Geschäft mit unversteuerten Vermögen» bezeichnet die Sozialdemokratische Partei den Bericht der Experten. Dass der Bericht trotz den «klaren Aussagen» erst im September zum Bericht Stellung nehmen will, bezeichnet die Partei als «nur halbherzig und zögerlich». Deshalb werde sie ihre ablehnende Haltung zur Lex USA nicht aufgeben.
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