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Explainer: Warum ist Taiwan so wichtig für die Welt?

Lachende Frauen und taiwanesische Flaggen.
Veranstaltung der Kuomintang-Partei im Wahlkampf für die Wahlen 2024 mit vielen taiwanesischen Flaggen. AFP

Wenn Taiwan wählt, schaut die Welt hin. Weniger wegen des demokratischen Prozesses vor Ort, sondern wegen des unfreundlichen Verhaltens des mächtigen Nachbarn China.

In den letzten 30 Jahren hat sich Taiwan von einer anti-kommunistischen Militärdiktatur in eine Vorzeigedemokratie gewandelt. In der sechzehntgrössten Handelsnation der Welt (die Schweiz ist auf Platz 20) herrscht Frieden und Wohlstand.

Die Zukunft Taiwans, das von China bedrängt wird, gilt als geopolitisch entscheidend. Doch: Warum ist das überhaupt so? Was kann Taiwan dagegen tun? Und: Welche ideologische Bedeutung hat Taiwan für den Westen?

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SWI swissinfo.ch erklärt die wichtigsten Fragen zu diesem entscheidenden Schauplatz für die globale Entwicklung mit Inputs der Sinologin Simona Grano von der Universität Zürich und dem Politologen Ho-fung Hung von der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität.

Warum ist Taiwan so wichtig für die Welt?

Ein wichtiger Grund hat vier Buchstaben: TSMC. Das Kürzel steht für «Taiwan Semiconductor Manufacturing Company» mit Sitz in Hsinchu. Hier wird ein Grossteil der weltweit verbauten Halbleiter produziert.

Die Mikrochips in Smartphones und Laptops, Autos, Kühlschränken, Fernsehern und digitalen Waffensystemen funktionieren nur mit Halbleitern.

Schatten vor digitaler Wand
Taiwan verdankt seine wirtschaftliche Position seiner Marktstellung in der Halbleiterproduktion. AFP

«Hinzu kommt die geostrategische Lage Taiwans im Zentrum der globalen Versorgungsketten und Seehandelsrouten», sagt die Sinologin Simona Grano von der Universität Zürich.

Für Grano hat deshalb die Beibehaltung des Status-Quo von Taiwan eine zentrale Bedeutung für die «globale Stabilität». 

Simona Grano blickt in die Kamera.
Simona A. Grano ist Privatdozentin an der Universität Zürich und Leiterin des Taiwan-Studienprojekts an der UZH. Sie promovierte in Chinastudien an der Ca› Foscari Universität von Venedig, Italien. Sie ist Co-Herausgeberin des Sammelbands «China-US competition: Impact on Small and Middle Powers› Strategic Choices». swissinfo.ch

Warum meint China, dass Taiwan ihnen gehört? 

Die feindliche Haltung Pekings geht auf den chinesischen Bürgerkrieg bis 1949 zurück. Damals besiegten die Kommunisten unter Mao Zedong die Nationalisten unter Chiang Kai-Shek. Dieser flüchtete nach der Niederlage zusammen mit mehr als zwei Millionen Chines:innen auf die Insel Taiwan, die zuvor von Kolonialmächten wie Portugal, die Niederlanden und zuletzt Japan kontrolliert worden war.

Die nationalistische Partei von Chiang Kai-Shek regierte Taiwan 40 Jahre als Diktatur und erhob Anspruch auf ganz China. Seit der Anerkennung der ersten Oppositionspartei 1987 hat sich Taiwan zu einem demokratischen Vorbild entwickelt.

«Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte gehörte Taiwan zur 1949 gegründeten Volksrepublik China», betont der Politologe Ho-fung Hung, Professor an der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität gegenüber SWI swissinfo.

Trotzdem hält Chinas Regierung daran fest, dass Taiwan Teil von China ist. In der Neujahrsansprache 2024 bekräftigte Xi Jinping: «Die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ist historisch unaufhaltsam.»

Wegen des chinesischen Vetos ist Taiwan heute nicht in den Vereinten Nationen vertreten. Zu Chinas Politik gehört, dass keine diplomatischen Beziehungen mit Ländern unterhalten werden, die Taiwans Unabhängigkeit anerkennen.

Entsprechend kurz ist die Liste der Staaten, die Taiwan offiziell anerkennen: Nur 12 Länder, darunter Guatemala, Haiti und der Vatikanstaat, finden sich momentan darauf.

Der Politologe Ho-fung Hung blickt in die Kamera.
Ho-fung Hung ist Professor für politische Ökonomie an der Johns-Hopkins-Universität. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der globalen politischen Ökonomie, dem Protest, der Bildung von Nationalstaaten, der Gesellschaftstheorie und der Entwicklung Ostasiens. Seine jüngste Publikation ist das Schicksal seiner Heimatstadt: «City on the Edge: Hong Kong under Chinese Rule». swissinfo.ch

Auch die Schweiz anerkennt Taiwan nicht formell als souveränen Staat. «Die Schweiz verfolgt eine Ein-China-Politik. Die Schweiz anerkennt Taiwan nicht als eigenständigen Staat», formuliert es das Schweizer Aussenministerium.

Was kann das kleine Taiwan tun, um sich gegen China zu wappnen?

Ideell hat das Land einen Trumpf. «Ideologisch ist Taiwan wichtig, weil es im Widerspruch zu Chinas Behauptung steht, dass westliche Werte und Demokratie mit dem chinesischen Kulturkreis und den einheimischen Werten unvereinbar sind», erklärt Simona Grano.

Diese Errungenschaften sind in Taiwan heute Konsens, wie Ho-fung Hung ausführt: «Trotz unterschiedlichen Einstellungen in der Politik gegenüber China sind sich heute die wichtigsten Akteur:innen in der taiwanesischen Innenpolitik in einer Frage einig: An den in den letzten Jahren erkämpften Menschenrechten und der eigenständigen demokratischen Gesellschaft wollen alle festhalten und diese verteidigen.»

Aber was erreicht gesellschaftlicher Zusammenhalt, wenn man einem übermächtigen Militär gegenübersteht? Es ist klar, dass Taiwan dem ungleich grösseren Nachbarn im Falle einer Eskalation wenig entgegensetzen kann.

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Trotzdem unternimmt die Regierung vieles, um den Preis eines chinesischen Angriffs zu erhöhen.

So ist der obligatorische Militärdienst auf den 1. Januar 2024 von vier auf zwölf Monate erhöht worden. Zudem unterstützen die USA Taiwan militärisch. Auch vor dem Hintergrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stärkt Taipei seine inoffiziellen Kanäle zu Parlamenten und Regierungen. 

Wie ist Taiwan zu einer vorbildlichen Demokratie geworden?

Simona Grano sieht in Taiwan ein «hervorragendes Beispiel für ein Land, dem der Übergang von einer autoritären Einparteienherrschaft zu einer lebendigen Demokratie gelungen ist, ohne dass es zu einem autoritären Rückfall gekommen ist.»

Dieser Übergang ist friedlich verlaufen. Seit den ersten freien Wahlen 1996 hat es drei Regierungswechsel gegeben. Die Frage, ob Wahlen politische Wechsel herbeiführen und Regierungen nach verlorenen Wahlen ihre Macht abgeben, gilt als Lackmustest für das Funktionieren einer Demokratie.

2019 führte Taiwan als erstes Land in Asien die gleichgeschlechtliche Ehe ein. Für Grano ist klar: «In Asien ist Taiwan eines der liberalsten und freiesten Länder, in dem Vielfalt, Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten geachtet werden.»

Lai Ching-te winkt seinen Anhänger:innen zu.
Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei beim Besuch des Shoushanyan Guanyyin-Tempels im Wahlkampf 2024. ) AFP

Taiwans Ringen um internationale Anerkennung ist für die politischen Kräfte im Land ein Motor, um in Sachen Menschenrechte und Demokratie vorbildlich zu sein. Laut Ho-fung Hung habe sich dieser Wille in der taiwanesischen Gesellschaft durch die autoritäre Entwicklung im chinesischen Hongkong noch verstärkt.

Dort hat sich für Ho-fung Hung gezeigt, was «Pekings Versprechen eines Landes mit zwei unterschiedlichen Systemen wert ist: nämlich nichts». Trotz der Bedrohungslage ist er aber optimistisch für Taiwans Zukunft in Unabhängigkeit.

Warum hat die Schweiz eine Bedeutung für Taiwan?

Simona Grano sieht viele Parallelen: «Die Schweiz ist wie Taiwan ein kleines Land. Wie Taiwan ist die Schweiz ein demokratisches Land, in dem die bürgerlichen Freiheiten in hohem Masse geachtet werden. Für die Schweiz ist die Förderung der Demokratie weltweit ein verfassungsmässiger Auftrag.»

Besonders deutlich wird dies im regen Austausch zwischen der Schweiz und Taiwan in der Frage der direktdemokratischen Volksrechte: Diese führte Taiwan 2003 ein und hat sie und seither mehrfach reformiert.

Unter anderem sind die Unterschriftenhürden für Volksinitiativen und Referenden massiv gesenkt, was in den letzten Jahren zu über einem Dutzend durch die Stimmberechtigten ausgelöste Volksabstimmungen geführt hat, zu Themen wie Lebensmittelsicherheit, Atomstrom und der Ausgestaltung der Demokratie.

«Die Schweiz dient Taiwan in direktdemokratischer Hinsicht ganz klar als Orientierungspunkt», betont Professor Hung.

Taiwan-Aktivist wird in der UNO in Genf abgeführt.
Aktivisten aus Taiwan werden vom UNO-Sicherheitsdienst verhaftet bei ihrem Protest gegen China in einer Plenarversammlung der UNO in Genf. Keystone / Laurent Gillieron

Wie ist die Schweiz in Taiwan präsent?

Taiwan ist der fünftwichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien. Laut der Schweizer Vertreterin in Taipei, Claudia Fontana Tobiassen, hat sich der Handel zwischen den beiden Ländern «seit 2010 fast verdoppelt».

Heute seien «mehr als 120 Schweizer Firmen» in Taiwan präsent. Darunter ist der Schienenfahrzeughersteller Stadler Rail, der kürzlich einen Grossauftrag für die U-Bahn der Hafenstadt Kaohsiung erhalten hat.

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Weil die Schweiz wegen Chinas Veto Taiwan nicht als unabhängigen Staat anerkennt, übernehmen das «Handelsbüro der Schweizer Industrien» in Taipei und für die taiwanesische Seite die Kultur- und Wirtschaftsdelegation Taipei in Bern die diplomatischen Beziehungen. Beide Vertretungen sind den jeweiligen Aussenministerien unterstellt und haben Karrierediplomat:innen an ihrer Spitze.

Historisch haben zudem katholische Missionare und Fachleute der Bethlehem-Mission aus der Schweiz zur Entwicklung Taiwans in den letzten 70 Jahren beigetragen: in der Berufsbildung, des Gesundheitswesens und dem Minderheitenschutz für Angehörige der 16 indigenen Völker Taiwans.

Falsches Zitat der chinesischen Regierung

Leider ist uns in diesem Artikel ein Fehler unterlaufen. In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, Xi Jinping habe in seiner Neujahrsansprache gesagt, dass Taiwan notfalls «mit Gewalt» mit China vereinigt werden müsse. Dies trifft nicht zu.

Korrekt hat Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache gesagt: «Die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ist historisch unaufhaltsam. Die Landsleute auf beiden Seiten der Taiwan-Strasse sollten Hand in Hand an einem Strang ziehen und die grossartige Glorie der nationalen Wiederauferstehung geniessen.»

Wir entschuldigen uns bei unseren Leser:innen.

Editiert von Benjamin von Wyl

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