Externer Druck kann Syrien-Krise nicht lösen

Druck der internationalen Gemeinschaft kann moralisch eine unterstützende Rolle haben. Externe Faktoren werden jedoch in der innenpolitischen Krise in Syrien nichts verändern, sagt ein Schweizer Experte.
Mohammed Reza-Djalili, ein auf den Nahen Osten spezialisierter Politikwissenschafter, sagt, die seit fünf Monaten andauernde Krise sei in eine neue Phase getreten. Viel hänge ab von der Beziehung zwischen Präsident Bashar al-Assad und den syrischen Sicherheitskräften.
Assad sagte diese Woche gegenüber Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, die polizeilichen und militärischen Operationen gegen die Opposition seines Regimes, die im heiligen Monat Ramadan verstärkt wurden, seien gestoppt worden.
Allerdings feuerten Assad-loyale Truppen laut Aktivisten mit scharfer Munition in der im Osten gelegenen Stadt Deir al-Zor und im südlichen Hauran Plain, um Protestierende zu zerstreuen, die Assads Rücktritt verlangten. Sie berichteten auch, dass im ganzen Land Demonstrationen ausgebrochen seien, bei denen vier Menschen getötet worden seien.
Die weltweite Kritik an der syrischen Regierung, welche pro-demokratische Protestierende unterdrückt, wächst weiter.
swissinfo.ch: Stellen die jüngsten Ereignisse in Syrien und das Handeln durch die internationale Gemeinschaft einen Wendepunkt dar im seit fünf Monaten andauernden Kampf?
Mohammed Reza-Djalili: In den ersten Monaten wollte die internationale Gemeinschaft, einschliesslich der westlichen Staaten, uns glauben machen, Präsident Bashar al-Assad könne sich zu den nötigen Reformen durchringen, um Syrien schrittweise auf den Weg zu Demokratie zu bringen.
Aber Assad ist jetzt von der internationalen Gemeinschaft, vor allem von den westlichen Staaten, aufgegeben worden. Um dahin zu kommen, musste das Assad-Regime erst regional isoliert werden. Die ist vor Kurzem passiert mit Saudi-Arabien, Bahrain, Kuweit, Katar, der Arabischen Liga und der Türkei.
Nötig war eine Entscheidung der westlichen Länder, und diese wurde gestern gefällt. Assad wurde explizit dazu aufgefordert, Macht abzugeben und der Druck auf das Regime wurde verstärkt. Aus internationaler Sicht sind wir in eine neue Phase der syrischen Krise getreten.
swissinfo.ch: Erwarten Sie einen raschen Kollaps oder eine langwierige Lösung?
M. R-D.: Das ist sehr schwer vorauszusagen. Bis jetzt konnte das Regime, um sich zu halten, auf das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Streitkräfte und der Polizei bauen.
Dies könnte sich rasch ändern, wenn sich die Armee weigern sollte, auf Demonstranten zu schiessen, wie es in Tunesien und Ägypten geschehen ist. Aber noch sind wir nicht so weit. Die syrische Regierung ist sich bewusst, was in diesen beiden Ländern geschehen ist und sie tut ihr Möglichstes, um Proteste wie sie auf dem Tahir-Platz stattgefunden hatten, zu stoppen.
Alles hängt vom Fortbestand der Beziehung zwischen Assad und der Armee und der Polizei ab.
swissinfo.ch: Haben Sie irgendwelche Anzeichen von Zwietracht innerhalb der syrischen Streitkräfte bemerkt?
M.R-D.: Es gibt Informationen, die so etwas andeuten. Aber auch wenn es jetzt Zerwürfnisse gibt, sind diese nicht erheblich. Man darf daraus nicht schliessen, dass der gesamte repressive Sicherheitsapparat seine Treue zum Assad-Regime bricht.
Das syrische System ist extrem autoritär und zentralisiert und basiert auf den privilegierten Beziehungen mit der Minderheit der islamischen Alawiten-Sekte, die 12% der Bevölkerung umfasst. Auch der Präsident in ein Alawit.
Aber das wird nicht ewig so weitergehen können. Wenn sich die ernste Situation weiter entwickelt, können doch erste Risse innerhalb der Sicherheitskräfte auftreten.
swissinfo.ch: Könnte der internationale Druck so stark werden, um einen Regimewechsel zu erzwingen?
M.R-D.: Ich bin der Ansicht, dass die entscheidenden Voraussetzungen interner Natur sein müssen. Internationaler Druck kann eine moralische, unterstützende Wirkung haben. Aber externe Faktoren können die Krise nicht lösen.
Assad hat die Ereignisse in Syrien immer schon als von aussen gesteuert dargestellt. Die Realität ist jedoch ganz anders. Die Ereignisse geschehen aufgrund von Problemen innerhalb des Landes. Internationale Unterstützung kann den Wandel nur in einem sehr kleinen Ausmass beschleunigen.
swissinfo.ch: Was für eine Rolle spielt Iran in Syrien?
M.R-D.: Heute ist Iran Syriens einziger Verbündeter in der Region. Es handelt sich um eine 30-jährige Allianz.
Zu Beginn der Krise hat Teheran die alarmierenden Informationen aus Syrien heruntergespielt. Später unterstützte es Syriens These, die Ereignisse würden von den USA und Israel manipuliert. Heute spürt man die grosse Sorge der Iraner, dass sie bei einem Fall von Assads Regime 30 Jahre aussenpolitischer Investitionen in Syrien verlieren könnten, welche Syriens Hilfe bei den Beziehungen mit der Hamas und palästinensischen Gruppen in Libanon ermöglichten.
Sollte Assad fallen, würde dies eine erhebliche Änderung der iranischen Politik in der Region hervorrufen. Sie müsste sich total reorganisieren.
Die Iraner stehen davor, einen hohen Preis für ihre langanhaltende politische und moralische Unterstützung für Syrien zu bezahlen. Viele Meinungsumfragen in der arabischen Welt zeigen, dass Iran an Einfluss verliert.
Auch die Schweiz verhängt Sanktionen gegen Syrien, darunter das Einfrieren von Vermögenswerten von Mitgliedern des syrischen Regimes bei Schweizer Banken. Später wurde die Liste mit weiteren Namen ergänzt.
Die dort aufgeführten Personen, zu denen auch Präsident Bashar al-Assad gehört, unterliegen auch einem Einreisseverbot.
Mit diesen Massnahmen zog die Schweiz mit den Sanktionen der Europäischen Uniongleich.
Wer Informationen über relevante syrischen Vermögenswerte in der Schweiz besitzt, muss laut der Erklärung unverzüglich das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) davon unterrichten.
Fünf Monate nach dem Beginn der Niederschlagung der Demokratie-Demonstrationen wächst die weltweite Kritik an der syrischen Regierung. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union haben am Donnerstag Assad zum Rücktritt aufgefordert.
Die Schweiz hat am Donnerstag seinen Botschafter in Syrien zu Konsultationen zurückgerufen, nachdem bereits Tunesien und einige andere arabische Staaten, darunter Saudi-Arabien, denselben Schritt getan hatten. Ausserdem wurden die Sanktionen gegen Syrien erweitert, wie weitere Namen zu den Listen hinzugefügt, welche Vermögenswerte in der Schweiz eingefroren werden sollten.
Auch US-Präsident Barack Obama ordnete das Einfrieren syrischer Vermögenswerte in den USA an. Amerikanischen Bürgern wird verboten, Investitionen in Syrien vorzunehmen. Untersagt sind auch US-Importe von syrischen Öl-Produkten.
Laut Diplomaten könnte die europäische Union schärfere Sanktionen beschliessen, welche mit den US-Massnahmen übereinstimmen würden. Einschliesslich des Verbotes von Ölimporten.
Syrien exportiert über einen Drittel seiner täglichen Ölproduktion von 385’000 Barrel nach Europa.
Gemäss Untersuchungen der Vereinten Nationen haben Assad-Truppen im Rahmen ihrer Kampagne Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und mindestens 1900 Zivilisten getötet. Die UNO plant, ein Team zur Beurteilung der humanitären Situation nach Syrien zu schicken.
Die USA, Grossbritannien und die europäischen Verbündeten kündigten am Donnerstag im UNO-Sicherheitsrat einen Sanktionsentwurf gegen Syrien an. Russland leistet weiterhin Widerstand gegen die westlichen Sanktionsbegehren und unterstützt auch nicht die Aufrufe, Assad solle zurücktreten. Es ist der Ansicht, es brauche Zeit, um die Reformen umzusetzen.
Obwohl sich die westliche Rhetorik dramatisch verschärft hat, besteht keine Gefahr von westlichen Militäraktionen wie jene gegen Muammar al-Gaddafi in Libyen.
Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel

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