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Atomkraftwerke in der Schweiz: zu alt und zu gefährlich?

In der Schweiz liegt der älteste Atomreaktor der Welt: Beznau I Thomas Kern

Die Atomkraftwerke der Schweiz gehören zu den ältesten der Welt. Steigt die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe mit zunehmendem Alter eines Reaktors? Die Fakten scheinen dagegen zu sprechen.

Die Grüne Partei und andere Verfechter der Initiative «Für einen geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» argumentieren, dass aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Atomkraftwerke (AKW) in der Schweiz das Risiko für einen ReaktorumfalExterner Linkl bedeutend höher sei. In einem Land mit einer so dichten Besiedlung wären die Folgen fatal, sagen sie.

Was ist dran an dieser Aussage? Muss sich das Schweizer Stimmvolk tatsächlich vor einer nuklearen Katastrophe nur aufgrund des Alters ihrer AKW fürchten? Nein, sagen die Fakten. Denn bei der Risikoberechnung eines Reaktorunfalls spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle.

Schwere Unfälle sind selten

Die Welt-AtomvereinigungExterner Link (World Nuclear Association) hält fest, dass wirtschaftlich genutzte Atomenergie «extrem sicher» und das «Risiko eines Unfalls in einem AKW gering und abnehmend» sei. In mehr als 16’000 kumulierten Jahren wirtschaftlich genutzter Reaktoren in 32 Ländern sei es nur zu drei bedeutenden Unfällen gekommen, schreibt sie auf ihrer Internetseite.

Eine 2010 von der Kernenergie-Agentur der OECDExterner Link veröffentlichte Studie verglich das Risiko eines Atomunfalls mit dem eines Unfalls anderer Energiequellen. Sie kam zum Schluss, dass die Atomenergie im Vergleich zum Gebrauch von fossiler Energie ein viel kleineres Risiko aufweist. Am meisten Unglücke passierten demnach im Kohle-Sektor. Die Welt-Atomvereinigung führt das teils auf die Gefahren im Zusammenhang mit der grossen Menge an Material zurück, das abgebaut und transportiert werden muss, um die Kraftwerke zu versorgen.

Grafik mit den Standorten der fünf AKW in der Schweiz
Kai Reusser / swissinfo.ch

Eine jüngere StudieExterner Link der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und der englischen Universität in Sussex hat mehr als 200 Reaktor-Zwischenfälle untersucht. Die Forschenden sagen, das Risiko werde möglicherweise unterschätzt. Laut ihren Resultaten ist eine Kernschmelze alle zehn bis 20 Jahre «eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich». Die vorliegenden Daten der Atomindustrie seien «mangelhaft und beklagenswert unvollständig». Es sei nötig, den internationalen Massstab zur Messung von Atomunfällen zu ändern, um das Risiko besser zu verstehen.

Ob es je möglich sein wird, ein genaues Bild der möglichen Gefahren zu zeichnen, ist unklar. In der Zeitschrift NatureExterner Link sagen Atomspezialisten, eine objektive Gefahrenliste sei praktisch nicht erstellbar. Dies aus dem einfachen Grund, weil jeder Reaktor sein eigenes Risiko-Profil aufweise. Zudem gebe es Risiken, die schlicht nicht erkennbar seien.

Experten sind sich aber einig darüber, dass mehrere Faktoren berücksichtig werden müssen, um das Risiko zu berechnen. Das Alter eines AKW ist nur einer davon. Nature schreibt, dass «ältere Reaktoren nicht zwingend gefährlicher sind als neuere».

Zwei der drei grössten Unfälle, welche die Zeitschrift aufzählt, passierten in eher jüngeren Atomreaktoren: Der Reaktor von Three Mile Island in den USA war gerade mal drei Monate in Betrieb, als es 1978 zu einer Kernschmelze kam. In Tschernobyl geschah der Unfall 1986, zwei Jahre nach Inbetriebnahme. 2011 schliesslich kam es in Fukushima zu einer Atomkatastrophe, weil ein Tsunami zu einem StromausfallExterner Link im AKW geführt hatte. Das Kühlsystem in den drei älteren Reaktoren fiel aus. Grund des Unfalls war also nicht das Alter.

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Andere Faktoren wie die Grösse der AKW, deren Design und äusserliche Gefahren wie ein Erdbeben können das Risiko vergrössern. Der grösste interne Sicherheitsfaktor aber sei die vorhandene Sicherheitskultur unter Regulierungsbehörden, Betreibern und Arbeitskräften, sind Experten laut der Zeitschrift Nature überzeugt.

Reviews und Aufrüstung

Laut der Welt-Atomvereinigung spielen Experten eine zentrale Rolle in Sicherheitsfragen. Mit zunehmendem Alter werden Reaktoren anfälliger. Ältere Kraftwerke unterlaufen deshalb erhebliche Aufrüstungen und es kommt zu regelmässigen Kontrollen im Rahmen der Konvention der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über nukleare Sicherheit. Auf regionaler Ebene planen die Schweiz und die EU-Mitgliedstaaten 2017 sogenannte Peer ReviewsExterner Link, an denen die verschiedenen Länder nationale Rapporte zum Alterungsmanagement von Kernkraftwerken vorlegen und begutachten werden.

Auf nationalem Niveau überwacht das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI)Externer Link die fünf Atomkraftwerke in der Schweiz während ihrer gesamten Lebensdauer. Reaktorblock I in Beznau im Kanton Aargau ist im Moment still gelegt. Grund sind kleine Löcher in den Stahlwänden des Reaktordruckbehälters (auch Leibstadt, seit 1984 operativ, steht im Moment aus Sicherheitsgründen still). Werden die «Altersbeschwerden» der Reaktoren zu gross, muss die Einrichtung ausser Betrieb genommen werden, so will es das Gesetz.

Von 40 zu 60 zu 80 Jahren

Die Tatsache, dass weltweit viele AKW altern, treibt den Wissensaustausch und die SicherheitsforschungExterner Link voran. Nach Angaben der IAEA sind weltweit 18 Reaktoren in Betrieb, die älter sind als 45 Jahre. Ausser Beznau in der Schweiz sind weltweit fünf weitere Reaktoren 47-jährig. Einer davon befindet sich in den USA, wo die nationale Atombehörde im Dezember 2015 entschieden hat, dessen LaufzeitExterner Link um weitere 20 Jahre zu verlängern. Die Laufzeit beträgt normalerweise 40 Jahre, das ist für 81 der insgesamt 99 Reaktoren weltweit der Fall.

ÄLTESTE REAKTOREN IN BETRIEB 
(im Dezember 2015)

Schweiz – Beznau 1  1969
USA – Nine Mile Point 1        1969
USA – Point Beach 1          1970
USA – Dresden 2                   1970
USA – Robinson 2                 1970
Schweiz – Mühleberg                   1971
Schweiz – Beznau 2                     1971
Russland – Novovoronezh 3          1971
Schweden – Oskarshamn 1               1971
Kanada – Pickering 1                   1971
Pakistan – Kanupp                       1971
USA – Dresden 3                   1971
USA – Monticello                            1971
USA – Palisades                   1971


Quelle: IAEA


Weil in den USA aktuell darüber gesprochen wird, die Laufzeit der Reaktoren auf bis zu 80 Jahre zu erhöhen, wird die Forschung in Alter und Sicherheit von AKW dort intensiviert, wie NatureExterner Link schreibt. Dazu gehören auch Studien mit dem Ziel, Defekte zu erkennen, bevor sie zum Problem werden. Zudem werden Simulationen von 80-jährigen Reaktoren durchgeführt, um den Zerfall vorauszusehen. Schliesslich wird auch der internationale Austausch vorangetrieben.

Das Urteil

Es ist also zu einfach zu sagen, je älter ein AKW ist, desto höher ist das Risiko einer grossen Atomkatastrophe. Das Alter ist ein Faktor von vielen, welche die Sicherheit beeinflussen. Ältere Reaktoren erfahren zwangsläufig eine natürliche Abnutzung. Es gibt aber Massnahmen, die Sicherheitschecks und Aufrüstung sicherstellen sollen. Auch läuft die Forschung mit dem Ziel weiter, die Sicherheit der AKW zu verbessern.

(Übertragen aus dem Englischen: Kathrin Ammann)

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