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Was ist feministische Aussenpolitik?

Demonstrierende
FARC-Rebellen tanzen während einer Veranstaltung zur Feier der Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit der kolumbianischen Regierung in der Yari-Ebene im Süden Kolumbiens, Sonntag, 25. September 2016. Copyright 2016 The Associated Press. All Rights Reserved.

Vor 20 Jahren forderte eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, dass Frauen in Konfliktprävention, Friedensprozesse und Sicherheitspolitik einzubeziehen sind. Die Resolution 1325 gilt als Pfeiler der feministischen Aussenpolitik und hat zwar schon einiges erreicht, aber Expertinnen und Experten kritisieren, dass die Einbindung von Frauen immer noch nur ein Nachsatz der Diplomatie ist.

Als in Kolumbien Friedensverhandlungen geführt wurden, setzten Aktivistinnen mit Hilfe der Resolution 1325 Druck auf die Regierung und die Guerrillagruppe FARC aufExterner Link, auch Frauen in die Gespräche miteinzubeziehen. Das 2016 geschlossene Friedensabkommen berücksichtigte schliesslich auch die Geschlechterperspektive.

Zwar herrscht in Kolumbien Unzufriedenheit über die Umsetzung des Friedensabkommens, doch die Frauenbewegung setzt sich weiterhin für die Einhaltung des Abkommens ein, weil es einen Fokus auf die Verbesserung der Lebensumstände der Frauen legt. Laut einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2015Externer Link steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Frieden mindestens 15 Jahre hält, um 35%, wenn Frauen am Friedensprozess beteiligt sind.

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Frieden dadurch, dass es allen gut geht

«Die Resolution 1325 wurde von Frauen des Globalen Südens angestossen», sagt Leandra BiasExterner Link von der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace. «Sie sagten, ihre Anliegen seien in der Sicherheitspolitik nicht mitgedacht.»

Ihr Lobbying trug Früchte: Am 31. Oktober 2000 verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat einstimmig die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1325 zum Thema «Frauen, Frieden, Sicherheit». Er schlug damit einen wichtigen Pfeiler für die feministische Aussenpolitik ein.

Am 17. September findet in Bern eine KonferenzExterner Link zur Feier von 25 Jahren Weltfrauenkonferenz von Peking statt. Diese war Vorreiterin der Resolution «Frauen, Frieden, Sicherheit», die am 31. Oktober das 20-jährige Jubiläum feiert.

«Eine feministische Aussenpolitik sorgt dafür, dass alle Menschen ein würdevolles Leben führen können», sagt Bias. «Denn erst wenn es allen gut geht, kann ein wirklicher Friede im Sinne einer stabilen und gewaltlosen Situation erreicht werden.» Dazu gehöre auch das Miteinbeziehen von Minderheiten, die Bekämpfung von Armut sowie Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle.

Was ist feministische Aussenpolitik?

Der Begriff feministische Aussenpolitik scheint also ziemlich breit gefasst zu sein.

Frau
Yvette Estermann, Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) Luzern. zvg

«Als ich den Begriff ‹feministische Aussenpolitik› hörte, bin ich erst mal erschrocken. Dann habe ich recherchiert und gemerkt, dass es um die Vertretung von Frauen in der Aussenpolitik und der Friedensförderung geht», sagt Yvette Estermann, Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) Luzern und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. «Ich finde den Begriff unpassend. Es müsste eigentlich ‹humane Aussenpolitik› heissen.»

«Der Begriff feministische Aussenpolitik ist absolut nicht missglückt», findet hingegen Claudia Friedl, Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) St. Gallen und ebenfalls Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats.

Frau
Claudia Friedl, Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) St. Gallen. © Keystone / Gaetan Bally

«Es geht um die Integration von Menschenrechten von Frauen und Mädchen in die aussenpolitischen Ziele eines Landes.» Es bestehe ein enger Zusammenhang zwischen Geschlechtergleichstellung, dem Schutz der Menschenrechte, nachhaltiger Entwicklung und der Wahrung von Frieden und Sicherheit. «Ich bin überzeugt, dass erfolgreiche Aussenpolitik nur gelingt mit einer konsequenten Genderperspektive», so Friedl.

Auch Estermann ist der Meinung, dass ein Frieden besser ist, wenn er unter Einbezug der Frauen geschlossen wurde. «Frauen handeln humaner, sie denken stärker an die Zukunft und die Konsequenzen. Deshalb ist es das einzig Richtige, sie in Friedensverhandlungen und Friedensmissionen miteinzubeziehen.»

Und Bias sagt: «Ein Friede kann nicht stabil und langfristig sein, wenn er nur unter Einbezug jener verhandelt wird, die mit Gewalt agiert haben. Es müssen zivile Akteure miteinbezogen werden, die versucht haben, konziliant und friedfertig zu sein. Und das sind oft Frauen.»

Umsetzung der Resolution

«Unterschreiben ist das eine, umsetzen was anderes», sagt Estermann. Es brauche Leute, welche die Resolution mit Herzblut umsetzten.

«Auch wenn es wichtig ist, dass der Sicherheitsrat die Agenda ‹Frauen, Frieden und Sicherheit› weiterhin unterstützt, brauchen wir letztendlich mehr Taten, nicht Worte», sagt Marissa Conway, Co-Gründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). Die Verabschiedung der Resolution sei nun 20 Jahre her, aber weltweit würden Frauen immer noch nur im Nachhinein in Friedensverhandlungen einbezogen.

Gerade weil «autoritäre politische Persönlichkeiten wie US-Präsident Donald Trump multilaterale Institutionen anprangern», ist es laut Conway wichtiger denn je, einen Rahmen für eine feministische Aussenpolitik zu schaffen, um starke und kooperative Beziehungen zwischen Staaten und Gemeinschaften zum Schutz der Menschenrechte aufzubauen.

«Der beste Weg zur Sicherung eines nachhaltigen Friedens in der Welt ist ein feministischer aussenpolitischer Rahmen, in dem die Rechte von Frauen und Minderheiten in allen politischen Entscheidungen im Mittelpunkt stehen und nicht als nachträgliche Überlegungen hinzugefügt werden», so Conway.

Erfolge und Kritik

Laut Bias konnte die Resolution erreichen, dass sexuelle Gewalt – sowohl gegen Frauen als vermehrt auch gegen Männer – international als Kriegsführungsmethode anerkannt und verurteilt wurde. Das sei ein Erfolg.

Sie kritisiert bei der Umsetzung aber, dass diese im globalen Norden ausschliesslich als aussenpolitische Resolution aufgefasst werde. «Das zementiert, dass es nur Frauen im globalen Süden zu retten gibt. Es wird ein koloniales Bild verfestigt: Braune Frauen werden von einem weissen Mann gerettet, weil braune Männer brutaler sind.» Und es werde auch zementiert, dass es innerhalb der Schweiz Probleme wie sexualisierte Gewalt nicht gebe.

Estermann sieht das anders: «In Mitteleuropa, einer zivilisierten Welt, ist die Frau genug einbezogen in alle Prozesse. Wir können wählen und gewählt werden, wir können eine Führungsposition übernehmen, wir können Schulen besuchen», so die Nationalrätin.

«Man muss klar unterscheiden von jenen Frauen auf dieser Welt, die das noch nicht dürfen und können. Da gibt es sicherlich einen riesigen Nachholbedarf, wo wir uns engagieren könnten und das machen wir auch.»

Wie gut ist die Schweiz?

Die Schweiz hat nationale Aktionspläne zur Resolution «Frauen, Frieden, Sicherheit» erlassen und entsprechende Berichte publiziert. Im jüngsten Aktionsplan sieht die Schweiz vor, in den nächsten Jahren mehr weibliche Mitglieder in Verhandlungsteams zu bringen und mehr Schweizer Mediatorinnen in Konfliktkontexten einzusetzen. Auch soll die Anwesenheit von Frauen in der Schweizer Armee, Polizei, Militärjustiz, Sicherheitspolitik und in Friedenseinsätzen gestärkt werden.

Leandra Bias koordiniert das KOFF-Projekt «Beitrag der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des Schweizer Nationalen Aktionsplans 1325Externer Link«. Es hat zum Ziel, dass die Erfahrungen und das Know-how der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung des schweizerischen Nationalen Aktionsplans berücksichtigt werden.

Die Schweiz öffnete 1956 – als letztes Land Europas – ihr Aussendepartement auch für Frauen. Erst in den letzten Jahren steigt der Frauenanteil in der Schweizer Aussenpolitik.

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Friedl beurteilt die Umsetzung der Resolution durch die Schweiz als «teils gut». Die Schweiz habe sich beispielsweise dafür eingesetzt, in Syrien Frauen mit an den Verhandlungstisch zu den Friedensbemühungen zu setzen. «Das ist ein Anfang, ein wichtiger, aber leider noch wenig.» Zudem harze es bei der Politikkohärenz: «Friedensförderung und Mediation in Krisenfällen passen schlecht zu Waffenexporten.»

Estermann begrüsst, dass die Schweiz bei ihrem friedenssichernden Einsatz im Kosovo 20% Frauen einsetzt, obwohl Frauen in der Schweizer Armee unter 1% ausmachten. «Die Schweiz hat ihre Hausaufgaben gemacht», meint Estermann.

Auch wenn man die Schweiz hinsichtlich «feministischer Aussenpolitik» kritisieren kann, so ist sie doch in einer Hinsicht eine Vorreiterin: Bei der Umsetzung der UNO-Resolution arbeiten das Aussendepartement EDA und die NGO Swisspeace zusammen, die Zivilgesellschaft wird also direkt und gleichberechtigt miteinbezogen, was gerade der Ansatz einer feministischen Aussenpolitik gemäss Resolution ist, nämlich die Zivilgesellschaft zu stärken. Das EDA hat sogar den Schattenbericht der NGOs finanziell unterstützt, also quasi die Kritik an sich selbst bezahlt.

Fördern Geschlechterungleichheiten Kriege?

Ja, aber wir würden nicht von Geschlechterungleichheit sprechen, sondern von Geschlecht als Hierarchien, also Machtstrukturen. In vielen Kulturen gibt es eine Idealvorstellung von dominanter Männlichkeit. In Konflikten wird diese zu einem nächsten Extrem gesteigert. Männer müssen dann «performen» und hoffen, dass dies bemerkt wird. So kommt es zu Gewalt gegen Männer und Frauen, wie wir sie im Krieg erleben. Im Militär wird man als Mann darauf getrimmt. Die Militarisierung ist die Spitze der Resouveränisierung. Wir wissen auch, dass alle Staaten gegendert gebildet werden: Männer sollen kämpfen und Frauen sollen die Nation reproduzieren. Solange diese Ideale bleiben, wird jeder Konflikt eine Geschlechterdimension haben.

Sind Frauen humaner?

Diese Frage stellt sich beim Feminismus allgemein. Das breite Publikum hat nicht mitbekommen, dass sich die feministische Theorie und der Aktivismus über die Geschichte stark entwickelt haben. In den 1970er-Jahren ging es darum, den weiblichen Standpunkt miteinzubringen. Es ging darum: Frauen haben biologisch gesehen eine andere Erfahrung – auch wenn sie sozial konstruiert ist – und diese gilt es zu berücksichtigen, weil sie genauso wertvoll ist. Anschliessend kamen postmoderne Feministinnen wie Judith Butler, die sagten: Die Zweiteilung weiblich und männlich gibt es nicht. Und danach kamen die postkolonialen Feministinnen, die sagen: Ihr könnt nicht das Geschlecht denken, wenn ihr nicht die koloniale Geschichte mitberücksichtigt.

Meine Generation von Feministinnen und die feministische Friedenspolitik, wie wir sie machen, ist intersektional: Man versucht, Geschlecht nicht nur als Geschlecht zu denken, sondern auch wie es interagiert mit anderen Machtstrukturen. Frauen sind nicht per se friedvoller. Wir berücksichtigen nicht nur Frauen, sondern globale Machtstrukturen. Also die Optik von jenen, die nicht an den Machthebeln sind, und zu denen gehören unter anderem viele Frauen.

Vor allem während der Coronakrise wurde behauptet, Frauen führten verantwortungsvoller durch Krisen. Gleichzeitig gibt es einen breiten Konsens, dass Männer und Frauen gleich sind. Ein Widerspruch?

Es besteht in der Wissenschaft ein Konsens, dass Männer und Frauen gleich sind, dass Unterschiede aber sozialisiert werden.

Es gab einen Medienhype darum, dass weibliche Staatsoberhäupter anscheinend besser durch die Coronakrise geführt haben. Die neuste Forschung zeigt aber, dass ausschlaggebend ist, in welcher Art Länder Frauen überhaupt gewählt werden. Ausschlaggebend ist also nicht, dass eine Frau führt, sondern dass es Länder mit stabilen Strukturen und ausgebautem Wohlfahrtsstaat sind. Und wenn man dann innerhalb dieser Länder Männer mit Frauen als Führungspersonen vergleicht, gibt es keinen Unterschied. Die Frage ist also nicht: Sind Frauen bessere Führungspersonen, sondern in welchen Ländern kommen sie eher an die Macht?

Es rüttelt an unseren Gendervorstellungen, dass Frauen souverän und gelassen durch eine Krise führen, während Männer wie Trump oder Bolsonaro total fahrig sind. Deswegen gab es den Medienhype.

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