Frankreichs Auslandschweizer sind besorgt
Von der Revision des Erbschaftssteuer-Abkommens mit Frankreich wird vor allem der französische Fiskus profitieren. Die in Frankreich lebenden Schweizer würden zur Kasse gebeten. Die Revision muss noch von den Parlamenten beider Länder genehmigt werden.
«Das ist eine weitere schlechte Nachricht für die Schweizer in Frankreich», sagt Jean-Michel Begey, der Präsident der Schweizer Vereinigung in Frankreich: «Wir haben kaum die Gebühren verdaut, welche die Schweizer Banken seit 2010 von uns verlangen, und schon sehen wir uns einer weiteren Drohung gegenüber.»
Die Revision des Erbschaftssteuer-Abkommens, welche die Schweiz und Frankreich am 9. Juli 2012 paraphiert haben, betrifft nicht nur die 2000 in der Schweiz lebenden Millionäre, sondern auch die 170’000 Schweizerinnen und Schweizer, die in Frankreich leben.
Bisher müssen in Frankreich lebende Schweizer in der Schweiz Erbschaftssteuern bezahlen. Zuständig für die Veranlagung sind die Kantone. Künftig soll Frankreich für die Veranlagung zuständig sein, jedenfalls dann, wenn der Erbe mindestens während sechs Jahren in Frankreich gelebt hat. In Frankreich sind die Erbschaftssteuern wesentlich höher als in der Schweiz.
Proteste
Die Neuigkeit wurde einige Wochen vor dem Auslandschweizerkongress in Lausanne, der vom 17.bis 19. August stattfand, bekannt und hat dort zu entsprechenden Diskussionen und zu einer Resolution geführt.
«Man kann verstehen, dass Frankreich damit die Steuerflucht in die Schweiz verhindern will», sagt Jean-Paul Aeschlimann, Vorstandsmitglied der Schweizer Vereinigung in Frankreich. «Doch man müsste unterscheiden zwischen diesen Spezialfällen und den tausenden von Schweizern, die in Frankreich leben.»
Ist das Projekt eine Einbahnstrasse? «Die Schweiz akzeptiert französischen Imperialismus», kommentiert der Steueranwalt Philippe Kenel in der Westschweizer Tagezeitung Le Temps die Revision, die auch von der schweizerischen Konferenz der Finanzdirektoren gutgeheissen worden ist. Vor allem bei der politischen Rechten in der Westschweiz hat die Revision zu Protesten geführt.
So sagte der freisinnige Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis, er habe seine Zweifel an dieser Revision. «Das ist lediglich ein Projekt, wir sind von einer definitiven Unterzeichnung noch weit entfernt», sagte der Walliser CVP-Nationalrat Christophe Darbellay.
Verhandlungsspielraum?
«Es ist schwierig, auf einen Text zurückzukommen, den die nationalen und die kantonalen Behörden akzeptiert haben», sagt hingegen der Genfer Steueranwalt Nicolas Zambelli. Dazu komme, dass Frankreich gedroht habe, das geltende Erbschaftssteuer-Abkommen aus dem Jahr 1953 aufzukünden, falls es zu keiner Einigung komme.
Eine gewisse Hoffnung sieht Zambelli mit Blick auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens, Vorgesehen ist dafür der 1. Januar 2014. Und bis dahin bleibt noch Zeit für Verhandlungen, denn Frankreich will vor allem auch die in der Schweiz lebenden Franzosen höher besteuern.
Bevölkerung immer mobiler
Wird die Revision reiche Franzosen davon abhalten, in die Schweiz zu ziehen? «Das ist nicht sicher. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein», sagt Zambelli: «Ich kenne Franzosen, die in die Schweiz kommen wollen und sich jetzt sogar überlegen, ob sie mit der ganzen Familie kommen wollen. Und Schweizer überlegen sich jetzt vermehrt, ob sie in Frankreich Immobilien kaufen wollen.»
«Französischer Imperialismus» oder «Kreuzzug» des sozialistischen Präsidenten François Hollande gegen die Reichen? Dass dem nicht ganz so ist, zeigt die Tatsache, dass die Revision noch unter Präsident Nicolas Sarkozy ausgehandelt worden ist.
«Frankreich hat das Recht, Abkommen neu zu verhandeln, vor allem wenn sie älter als 50 Jahre alt sind», sagt der grüne Genfer Nationalrat Antonio Hodgers: «In einer Welt, in der die Bevölkerung immer mobiler wird, scheint es mir ziemlich normal zu sein, wenn das Wohnland den grossen Teil der Steuern einzieht.»
Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf wird im Herbst bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten auch die Revision der Erbschaftssteuern erörtern.
Thema wird auch ein mögliches Abgeltungssteuer-Abkommen mit Frankreich sein.
Vor einigen Wochen ging die offizielle Schweiz noch davon aus, dass das Treffen in Bern stattfinden würde.
Immerhin fand der letzte offizielle Besuch eines französischen Präsidenten in der Schweiz vor 14 Jahren statt. Damals besuchte Jacques Chirac die Schweiz.
Nun scheint es, dass das Treffen in Paris stattfinden wird. Das Datum steht offiziell noch nicht fest.
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
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