Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Französische Anwälte von Anfragen überflutet

Strömen reiche Franzosen an die Seepromenade in Montreux? Keystone

Die Linke, die in Frankreich an der Macht ist, will wieder eine höhere Vermögenssteuer einführen und die Einkommenssteuer erhöhen. Die Konsequenz: Immer mehr Reiche liebäugeln mit Steuerflucht ins Ausland. Besonders in der Schweiz.

«Sollte François Hollande zum Präsidenten gewählt werden und die Sozialisten im Parlament eine Mehrheit erreichen, werden Reiche ins Ausland abwandern», hatte der Schweizer Steueranwalt Philippe Kenel Anfang April prognostiziert.

Zwei Monate später sind alle Bedingungen für einen «Exodus» beisammen: Die Linke hat in Frankreich alle Gewalt in ihrer Hand. In den nächsten Wochen sollte über ihr Steuerprogramm abgestimmt werden.

«Erste reiche Steuerzahler sind bereits an mich herangetreten, das Phänomen beginnt, sich auszudehnen», berichtet Kenel.

«Wir werden von Anfragen überflutet», sagt Eric Ginter, Jurist in der Pariser Anwaltskanzlei STC Partners. Reiche Franzosen seien durch die neue politische Lage verunsichert und wollten sich über die Bedingungen einer möglichen Auswanderung erkundigen.

«Auch wenn es bis heute noch zu keiner Massenflucht gekommen ist, können wir doch von einer Massenreflexion über das Thema unter den reichsten Schichten in Frankreich sprechen», ergänzt Pierre Dedieu, Jurist bei der Kanzlei CMS Bureau Francis Lefebvre.

Vermögenssteuer im Zentrum 

Erster Unsicherheits-Faktor: die Vermögenssteuer. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hatte letztes Jahr die Solidaritätssteuer auf Vermögen (ISF) gesenkt. Nur Vermögen von über 1,3 Mio. Euro werden seither besteuert. Vorher lag der Freibetrag bei 720’000 Euro.

Die Steuersätze reichen von 0,25 bis 0,5%. In diesem Herbst wollen die Sozialisten die alte Skala wieder einführen: von 0,55 bis 1,8%. Einige Unsicherheiten bleiben jedoch bestehen, besonders, was die Obergrenze betrifft.

«Unsere Klienten wollen wissen, wie die zukünftige Solidaritätssteuer aussieht», sagt Dedieu. «Ohne eine Obergrenze der ISF sind viele entschlossen, Frankreich zu verlassen. Die Schweiz bleibt für die Reichsten unter ihnen eine der wichtigsten Destinationen.»

Zur Vermögenssteuer kommen weitere Massnahmen zur Besteuerung der Reichen hinzu. So sollen die Schenkungs- und Erbschaftssteuern strenger werden. Wer über 150’000 Euro pro Jahr verdient, soll ab nächstem Jahr zu 45% und nicht wie bisher zu 41% besteuert werden. Und wer über eine Million verdient, muss jenen Betrag, der die erste Million übersteigt, zu 75% versteuern.

All dies gibt den reichsten französischen Steuerzahlern zu denken. «Unter jenen, die sich Gedanken zu einer Auswanderung machen, finden sich nicht nur ältere Pensionierte, sondern auch Aktive, die keine Lust haben, 75% Steuern auf ihre Einkünfte zu berappen: höhere Kaderleute oder Manager von multinationalen Konzernen», sagt Eric Ginter.

Schweiz protestiert 

«Bern und London konkurrieren um Steuerflucht-Kandidaten», titelte kürzlich die französische Tageszeitung Le Figaro. Während der britische Premierminister David Cameron vorschlage, den von Steuererhöhungen geplagten Franzosen «den roten Teppich auszurollen, spielen die Schweizer Behörden die Karte der Diskretion», schreibt die bürgerliche Zeitung.

Die Schweiz bleibt eine beliebte Destination. Dies gilt auch für Belgien, wobei die politische Instabilität und die unsichere Zukunft des Euros seine Position schwächt.

Doch auch die Auswanderung in die Schweiz hat ihre Tücken: Die hohen Lebenshaltungskosten und die französische Exit-Tax. Dies ist eine von Sarkozy eingeführte Steuer von 19% auf Gewinnen, die durch den Verkauf von Aktien von jenen entstehen, die Frankreich aus steuerlichen Gründen verlassen. Diese Exit-Tax liegt für die Schweiz noch höher als für Personen, die nach Belgien oder Grossbritannien auswandern.

Eine Ungleichbehandlung, die von der Schweiz angeprangert wird: «Frankreich widersetzt sich so dem Prinzip der Gleichbehandlung zwischen den Ländern der Europäischen Union und der Schweiz», schrieb kürzlich der Jurist Claude Charmillot in der Westschweizer Zeitung Le Temps

DBA nach Vorbild Andorra?

Doch die Exit-Tax allein reicht nicht, um einen «Exodus» abzuwenden. Oft überwiegen die Gründe, das Land zu verlassen, die Nachteile. Um die reichen Franzosen zu beruhigen, hatte sich Hollande während seiner Wahlkampagne dafür stark gemacht, die Doppelbesteuerungs-Abkommen mit der Schweiz, Belgien und Luxemburg neu auszuhandeln. Der neue Präsident möchte auch Einkommen und Vermögen von jenen versteuern, die aus steuerlichen Gründen ausgewandert sind.

«Das Abkommen auf null zu setzen würde eine Vielzahl von Problemen stellen, insbesondere für die Grenzgänger», sagt Eric Ginter. Paris seinerseits könnte Forderungen formulieren, beispielsweise die gesetzliche Verfolgung von Steuerflüchtlingen.

Ein Hinweis darauf liefert laut Ginter das soeben neu ausgehandelte Abkommen Frankreichs mit Andorra: Es sieht vor, dass französische Auswanderer besteuert werden, wenn Frankreich ihnen nachweisen kann, dass sie das Land aus Steuergründen verlassen haben. «Die Schweiz ist ein viel mächtigerer Verhandlungspartner als Andorra. Aber auch mittlere oder längere Sicht könnte Paris eine solche Konzession durchsetzen», schätzt der Anwalt.

Reiche ausländische Staatsangehörige, die in der Schweiz Wohnsitz haben, hier aber nicht erwerbstätig sind, sollen weiterhin pauschal besteuert werden können.

Bemessungsgrundlage ist in dem Fall der Lebensaufwand, und nicht ihr Einkommen. Die Pauschalbesteuerung, wie sie namentlich in den Kantonen Genf, Waadt oder Wallis praktiziert wird, sollte diesen Herbst gesetzlich verankert werden.

Pauschal besteuerte Ausländerinnen und Ausländer sollen aber künftig dem Fiskus mehr abliefern als bisher. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrats folgte am 20. Juni in den Details der Revision der Pauschal-Besteuerung deutlich dem Ständerat und dem Bundesrat.

So soll die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der direkten Bundessteuer und der kantonalen Steuern neu beim Siebenfachen der Wohnkosten liegen (heute: das Fünffache). Für Personen, die im Hotel wohnen, soll es das Dreifache des Pensionspreises (heute: das Doppelte) sein.

Zudem soll bei der direkten Bundessteuer ein minimales steuerbares Einkommen von 400’000 Franken gelten. Auch die Kantone sollen einen Mindestbetrag für das anzurechnende steuerbare Einkommen festlegen müssen. Dessen Höhe liegt aber im freien Ermessen der Kantone.

Keine Chancen hatten Anträge aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Grünen, die Bemessungsgrundlagen noch etwas höher anzusetzen, etwa beim Zehnfachen des jährlichen Mietzinses. Das minimale steuerbare Einkommen sollte nach Ansicht der Linken auf 500’000 Franken angehoben werden.

Für die Ausländer in der Schweiz, die gegenwärtig von der Pauschalbesteuerung profitieren, ist bis zur Einführung der neuen Regeln eine Übergangsfrist von fünf Jahren vorgesehen.

(Quelle: sda)

Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub und Renat Kuenzi

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft