Franzosen in der Schweiz unterstützen mehrheitlich Macron
Derzeit gilt er als Favorit für die französischen Präsidentschaftswahlen. Emmanuel Macron kann mit vielen Stimmen der rund 180'000 Franzosen und Französinnen rechnen, die in der Schweiz leben. Hier überzeugt der Kandidat der Bewegung "En Marche!" vor allem jene Wähler, die von François Fillon und von der Rechten enttäuscht sind.
«Die Begeisterung, die unser Kandidat hervorruft, geht über unsere Erwartungen hinaus», freut sich Joachim Son-Forget,Externer Link Radiologe am Lausanner Universitätsspital CHUV, angesehener Cembalist und Gründer der Schweizer Sektion von «En Marche!»Externer Link. Der vor einem Jahr von Emmanuel Macron lancierten politischen Bewegung gehören quer durch Frankreich rund 200’000 Mitstreitende an. In der Schweiz kann die Bewegung auf die Unterstützung von mehr als 1200 Anhängern unter den Franzosen zählen.
Emmanuel Macron
Sohn eines Ärzte-Paars, Absolvent der Verwaltungshochschule ENA. Die berufliche Karriere beginnt der heute 39-Jährige 2004 als Finanzinspektor, bevor er 2008 bei der Rothschild-Bank als Investmentbanker angestellt wird.
2012 wird Macron, der von 2006 bis 2009 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war, zum stellvertretenden Generalsekretär im Kabinett von François Hollande ernannt. Zwei Jahre später wird er Wirtschaftsminister in der Regierung von Manuel Valls.
Im April 2016 gründet er die Bewegung «En Marche!» und tritt vier Monate später als Minister zurück. Am 16. November kündigt er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2017 (erster Wahlgang: 23. April, zweiter Wahlgang: 7. Mai) an, bei denen er laut Umfragen als Favorit gilt.
«Im Verhältnis zur Zahl der Stimmberechtigten hat die Schweizer Sektion von ‹En Marche!› sogar mehr Mitglieder als jene Frankreichs», sagt Son-Forget nicht ohne Stolz.
Der Frankreich-Schweizer mit asiatischen Wurzeln lebt seit zehn Jahren in Genf und gehört zu Macrons Anhängern der ersten Stunde. «Macron spricht Klartext, und sein pragmatisches Vorgehen gefiel mir bereits, als er zur Regierung gehörte. Vor einem Jahr hatte ich die Gelegenheit, ihn bei einem Essen in Paris zu treffen, als er ‹En Marche!› gerade gegründet hatte. Ich habe ihm meine Hilfe zur Entwicklung der Bewegung angeboten und Komitees an verschiedenen Orten in der Schweiz auf die Beine gestellt», erzählt Son-Forget.
Überläufer der Rechten
Genf, Lausanne, Zürich, Bern, Biel und Neuenburg: Die «Marcheurs» – Beiname der Anhänger von Emmanuel Macron – sind inzwischen gut verwurzelt auf helvetischem Boden.
Unter den Basismitgliedern scheint Son-Forget eine Ausnahmeerscheinung zu sein, weil er der einzige mit sozialdemokratischer Vergangenheit ist. «Unsere Sympathisanten sind vor allem Personen, die gewöhnlich rechts wählen, die ‹Waisen› von Alain Juppé, ehemalige Wähler von Nicolas Sarkozy und französische Auswanderer, die von François Fillon enttäuscht wurden [gegen Fillon wurde eine Untersuchung wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder eröffnet, N.d.R.]. Unter den Doppelbürgern unterstützen uns vor allem jene, die normalerweise in der Schweiz für die Christlichdemokratische Volkspartei oder die Freisinnig-Demokratische Partei [Mitte-rechts-Parteien] stimmen. Die Sozialdemokraten mögen uns nicht sehr», bestätigt Son-Forget.
Die französische Rechte kann in der Schweiz schon seit langem auf eine komfortable Mehrheit zählen, obwohl sie seit 1981 schrumpft. Im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl von 2012 erhielt Sarkozy hier 62,29% der Stimmen, während François Hollande nur 37,71% machte.
Von Robert Hue bis Alain Madelin
Ist die Sympathie der Franzosen in der Schweiz für den ehemaligen Investmentbanker ein Beweis mehr dafür, dass Macron «der Kandidat der Rechtsliberalen» ist, wie Bruno Amable, Wirtschaftsprofessor an der Universität Genf, in einem Gastkommentar schreibt, der im Februar in der französischen Tageszeitung Libération erschien?
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«Macrons Programm ist nicht sehr klar. Sein Trumpf ist, dass er sowohl den von Fillon enttäuschten Wählern wie den Sozialdemokraten, denen Benoît Hamon zu links ist, ein Alternative anbieten kann», sagt der französisch-schweizerische Doppelbürger Pascal Sciarini, Politologe an der Universität Genf.
In Frankreich hat Emmanuel Macron eine breite Wählerschaft. Von Robert Hue (Kommunist) über Manuel Valls (Sozialdemokrat) bis Alain Madelin (Liberale) haben ihm Politiker aller Couleur ihre Unterstützung zugesichert. Laut Umfragen liegt der ehemalige Wirtschaftsminister an der Spitze der Kandidatenliste und würde im zweiten Wahlgang im Fall eines Duells mit der Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, als deutlicher Sieger hervorgehen.
Verkörperung der Erneuerung
Laut Sciarini lässt sich das «Phänomen Macron» mit dem schädlichen Klima dieser Wahlen und der Ratlosigkeit erklären, die bei vielen Franzosen herrscht. «Der Argwohn und das Misstrauen gegenüber der traditionellen Politik haben ein Niveau erreicht, das Raum für eine Person wie Emmanuel Macron (39 Jahre alt) lässt, dem es in sehr kurzer Zeit gelungen ist – zu Recht oder Unrecht – eine gewisse Erneuerung zu verkörpern», sagt Sciarini.
«Emmanuel Macron ist es in sehr kurzer Zeit gelungen, eine gewisse Erneuerung zu verkörpern.» Pascal Sciarini, Politologe
Obwohl in dieser Kampagne, die in der Geschichte der Fünften Republik noch nie so unberechenbar war wie jetzt, bis zum Schluss mit Überraschungen gerechnet werden muss, stellt Sciarini fest, dass es Macron gelungen sei, «diese dritte Kraft in der politischen Mitte zu schaffen, die immer Mühe hatte, sich im französischen bipolaren System durchzusetzen».
Schweizer Werte
Die einvernehmliche und friedfertige Seite Macrons stösst unter Franzosen in der Schweiz, die hier in einem Konkordanz-System leben, dessen Vorteile sie gegenüber ihren Landsleuten zuhause bei jeder Gelegenheit loben, auf ein besonderes Echo. «Sobald in Frankreich jemand aus dem entgegengesetzten Lager etwas vorschlägt, ist dies zwangsläufig schlecht. In der Schweiz setzt man sich auf allen Ebenen zusammen, um konstruktive Lösungen zu finden. Genau diesen Geist versucht man der neuen Bewegung einzuhauchen», sagt Son-Forget.
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, der Unternehmergeist, die Aufwertung der Berufslehre oder die partizipative Demokratie auf lokaler Ebene gehören ebenfalls zu Macrons Themen, die den Franzosen in der Schweiz entsprechen. Vor allem jenen, die eine höhere Ausbildung absolvierten und zur gehobenen Mittelklasse gehören.
Viele Franzosen in der Schweiz haben auch die harten Worte Sarkozys in Bezug auf die Schweiz und die Steuerflüchtlinge nicht vergessen. «Emmanuel Macron hat von der Schweiz nicht das gleiche verzerrte Bild. Im Gegenteil: Er ist sich der Trümpfe dieses Landes auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ebene sehr bewusst. Deshalb ist es kein Zufall, dass zahlreiche französische Einwanderer, die traditionellerweise rechts wählten, zu uns gestossen sind», sagt Son-Forget.
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