Auslandschweizerin engagiert sich in britischer Frauen-Partei
Die Auslandschweizerin Leandra Bias engagiert sich in der vor vier Jahren gegründeten britischen Women's Equality Party. Was denkt sie über den Frauenstreik in der Schweiz? Und: Ist Grossbritannien bei der Geschlechter-Gleichstellung schon weiter?
Die Zürcherin Leandra BiasExterner Link mit griechischen Wurzeln lebt seit 2013 in Grossbritannien. Die Politikwissenschafts-Doktorandin engagiert sich als lokale Wahl- und Kampagnenleiterin in der vor vier Jahren gegründeten Women’s Equality PartyExterner Link (siehe Box). Diese wurde in Grossbritannien aus Protest gegen die Geschlechterungleichheit gegründet.
Die Women’s Equality Party
Die Autorin Catherine Mayer und die Moderatorin Sandi Toksvig gründeten 2015 aus Protest eine Partei, damit Politiker die Anliegen von Frauen nicht länger ignorieren können. Sie ärgerten sich, dass Frauen als Minderheit behandelt werden, obwohl sie zahlenmässig die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.
Die Partei setzt sich unter anderem für gleichen Lohn, gleiche Familienarbeit und gleiche Repräsentierung von Frauen und Männern in Wirtschaft und Politik ein; oder auch dafür, dass die medizinische Forschung nicht nur auf männliche Patienten fokussiert. Die Partei will auch Frauen* aus ethnischen Minderheiten, ärmlichen Verhältnissen und mit Behinderungen repräsentieren.
Die Partei gewann innert kürzester Zeit über 45’000 Mitglieder. Im Mai 2016 stellte die Partei erstmals KandidatinnenExterner Link für Bürgermeisterwahlen in verschiedenen Städten. 2019 konnte die Partei erstmals einen Sitz im Gemeinderat einer Stadt (Congleton) erringen.
Als Kampagnenleiterin koordiniert Leandra Bias Sensibilisierungskampagnen, wirbt bei Wahlkämpfen für Stimmen, schult Freiwillige und kontrolliert die Stimmenauszählung. Kürzlich hielt sie einen Vortrag bei der österreichischen «Plattform 20000frauenExterner Link«. In ihrer Forschungsarbeit befasst sie sich schwergewichtig mit Feminismus in Russland und Serbien.
swissinfo.ch: Sie engagieren sich als Auslandschweizerin aktiv in der britischen Women’s Equality Party. War es schwierig, in der Partei als Ausländerin Fuss zu fassen?
Leandra Bias: In der Women’s Equality Party war es nie ein Thema, dass ich Ausländerin bin. Ich bin sehr warm willkommen geheissen worden. Man schätzt die anderen Gesichtspunkte, die ich einbringen kann. Ich bin aber klar in der Minderheit.
swissinfo.ch: Warum eine Partei einzig für die Gleichstellung der Frauen? Wäre so etwas auch in der Schweiz denkbar?
L.B.: Das hat es schon gegeben: Anfangs der 1990er-Jahren, als der erste Frauenstreik stattfand, gab es die FraP – «Frauen macht Politik!». Sie stellten sogar eine Nationalrätin. Wie in den meisten Ländern ist es dann allerdings versandet. Viele Frauen in der Schweiz wollen nicht aufbegehren, das gilt als unhelvetisch, weil ein Aufbegehren mit einer Spaltung der Gesellschaft gleichgesetzt wird. Immerhin findet im Juni in der Schweiz ein zweiter Frauenstreik statt. Das ist ein wichtiges Zeichen.
swissinfo.ch: Wie steht es um die Gleichstellung in Grossbritannien – gerade im Vergleich zur Schweiz?
L.B.: Ich habe eine sehr beschränkte Sicht, weil ich in London wohne. London ist europaweit ein liberaler Hub. Mir scheint aber im Allgemeinen, dass die Briten weiter sind bei Fragen der gleichberechtigten Sexualität. Dass Einvernehmlichkeit wichtig ist, wird hier im Unterschied zur Schweiz offen thematisiert. Und das ermöglicht Lust zwischen gleichberechtigten Personen: Dass Frauen nicht nur Nein zu Sex sagen können, sondern eben auch ein enthusiastisches Ja!
swissinfo.ch: Welche Geschichte oder welches Erlebnis hat Sie in Grossbritannien am meisten schockiert?
L.B.: Ein britischer Politiker sagte über eine Politikerin «Die würde ich nicht mal vergewaltigen.» Als er dafür Kritik erntete, präzisierte er: «Mit viel Bier würde ich es eventuell über mich bringen.»
swissinfo.ch: Wäre ein solche Aussage eines Politikers auch in der Schweiz denkbar?
L.B. (überlegt lange): Grundsätzlich könnte etwas Ähnliches auch in der Schweiz passieren, aber in einer dezenteren Verpackung.
swissinfo.ch: Was ist Ihre grösste Angst als Frau, sollten Sie in die Schweiz zurückkehren?
L.B.: Ich habe Bedenken, aber ich versuche, diesen mit Optimismus entgegenzutreten. Denn Angst ist lähmend. Die Schweiz als Ganzes kann erstickend sein, aber ich werde mir Inselchen von Gleichgesinnten suchen. Also beispielsweise ein urbanes Milieu, wo man nicht scheel angeschaut wird, wenn man sein Kind zur Kita bringt, und wo es Tagesschulen gibt.
swissinfo.ch: Ich frage etwas provokativer: Haben Sie nicht Bedenken, als Mutter – Sie planen ja Kinder – in der Schweiz plötzlich auf einem Abstellgleis zu landen und beruflich keine Perspektiven mehr zu haben?
L.B.: Ja, absolut. Diese Bedenken habe ich. Ich habe eine Studie der Uni Lausanne von letztem Jahr gelesen, wonach sogar egalitär eingestellte Paare nach der Geburt eines Kindes in die traditionelle Rollenteilung zurückgedrängt werden. Die Schweiz ist einmal mehr um Jahrzehnte hintendrein.
swissinfo.ch: Wie war die Situation Ihrer Mutter als Frau in der Schweiz?
L.B.: Meine Mutter ist 1954 geboren, hatte also nicht einmal das Stimmrecht. Insofern haben wir natürlich etwas erreicht. Aber es gibt noch so viele Bereiche mit Ungleichheiten. Zum Beispiel muss ich mich in der Schweiz dafür rechtfertigen, dass ich meinen Nachnamen den Kindern weitergeben will. In Grossbritannien ist das kein Thema.
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swissinfo.ch: Sie haben einen klaren Lebensplan und wollen in zehn Jahren einen eigenen Think-Tank gründen sowie Kinder haben. In der Schweiz würde man Sie fragen, wie Sie das alles unter einen Hut bringen wollen und ob die Kinder dabei nicht zu kurz kommen. Hören Sie solche Sachen auch in Grossbritannien?
L.B.: Nein.
swissinfo.ch: Was denken Briten über die Schweiz, wenn es um Geschlechtergleichstellung geht? Wissen sie beispielsweise, dass Frauen erst seit 1971 wählen können?
L.B.: Nein, das ist witzig, denn die meisten verwechseln die Schweiz mit Schweden. Vom Hinterwäldlertum der Schweiz haben die Briten keine Ahnung.
swissinfo.ch: Hat irgendjemand in Grossbritannien je davon gehört, dass Schweizer Frauen am 14. Juni streiken?
L.B.: Nein. Ausser die Women’s Equality Party – die haben es von mir erfahren (lacht).
swissinfo.ch: Welche Konzepte haben Sie in Grossbritannien kennengelernt, welche die Schweiz Ihrer Meinung nach kopieren sollte?
L.B.: Der Tür-zu-Tür-Wahlkampf, der in der Schweiz gerade erst wiederentdeckt wird, finde ich eine grossartige Sache. Man kritisiert Politikerinnen und Politiker ja häufig dafür, zu weit weg von den Menschen zu sein. Zweitens schätze ich an der britischen Women’s Equality Party, dass wir positiv und kreativ vorgehen, statt den politischen Gegner fertigzumachen. Beispielsweise hatten wir ein Plakat mit der Aufschrift: «Thank you Mr. Trump for making Feminism cool again.» Das ist viel konstruktiver als Hasskommentare über Trump zu tweeten.
Leandra Bias wurde 1988 in Zürich geboren. Sie studierte Internationale Beziehungen an der Universität Genf sowie Russland- und Europastudien an der Universität Oxford. Für ihre Masterarbeit über russischen Feministinnen erhielt sie eine Auszeichnung des Lincoln College der Universität Oxford. Sie arbeitet als freie Journalistin sowie Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Mitarbeiterin und doktoriert in Politikwissenschaften an der Universität Oxford zum Thema «Die Rolle des grenzüberschreitenden Feminismus im autoritären Russland und Serbien».
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