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Freie Presse zeigt Weg der Versöhnung in Ruanda

Schlechte Noten von Reporter ohne Grenzen betreffend Pressefreiheit: Ruandas Präsident Paul Kagamé. AFP

In Ruanda wie in der gesamten Region der Grossen Seen Afrikas haben die Medien nur allzu oft der Verbreitung von hasserfüllten Ideologien Hand geboten. Eine mit Schweizer Hilfe gegründete Presseagentur will mithelfen, das schlechte Image zu überwinden.

Albert-Baudouin Twizeyimana ist ein Mann, der sich in seinem Land dezidiert für mehr Pressefreiheit und Transparenz von Regierung und Behörden einsetzt.

Der Chefredaktor der Syfia Grands-Lacs, einer unabhängigen ruandischen Presseagentur, die von der Schweiz und anderen Ländern unterstützt wird, berichtet im Gespräch von zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen die Medien in seinem Land zu kämpfen haben.

Gleichzeitig ist er von der wichtigen Rolle überzeugt, welche die Medien im langen Prozess der nationalen Versöhnung spielen können und müssen.

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Kriegsverbrecher und Überlebende nebeneinander

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Auf einem der zahlreichen Hügel im Südwesten Ruandas wird das kleine Dorf Cyendajuru nach und nach von Hektik erfasst. In einigen Stunden geht hier das Lokalfest zum 25. Gründungstag der Ruandischen Patriotischen Front (Front patriotique rwandais FPR) über die Bühne. Die FPR ist seit dem Ende des Völkermordes an der Macht. Während ein paar Männer…

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swissinfo.ch: «Bessere Information für eine bessere Versöhnung», lautet die Devise von «Syfia Grands-Lacs». Wie können die Medien zum Frieden in der Region beitragen, die von zahlreichen Konflikten geprägt ist?

Albert-Baudouin Twizeyimana: Wir sind zutiefst überzeugt, dass qualitativ gute Informationen zu einer vertieften Versöhnung von Völkern beitragen, die von zahlreichen Kriegen zerrissen sind. Wer einander nicht kennt, betrachtet sich als Feinde.

Ob betreffend Landwirtschaft, Bildung oder Menschenrechte: Kongolesen, Ruander und Burundier stellen beim Lesen unserer Artikel fest, dass sie oft dasselbe Schicksal teilen und gar nicht so sehr von einander verschieden sind.

Die 80 Journalisten, die dem Netzwerk Syfia Grands-Lacs angehören, sind bemüht, die Realität abzubilden, in der die Bewohner der drei Länder leben.

swissinfo.ch: Was verstehen Sie unter guter Information?

A-B.T.: Gute Information heisst ganz schlicht, das tägliche Leben unserer Mitbürger zu reflektieren. Dafür müssen unsere Mitarbeiter ständig vor Ort sein und in Kontakt mit den Menschen stehen.

Wir wollen ein Gegengewicht zu all jenen Medien darstellen, die sich der Propaganda und Desinformation verschrieben haben. Die fürchterliche Rolle, die Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) während des Genozids 1994 spielte, ist noch in allzu schlechter Erinnerung.

Heute noch sind viele Medien immer noch Propagandakanäle für oder gegen die Regierung. Sie töten die Information und somit das Recht der Bürger auf glaubwürdige Informationen. Damit die Völker sich in der Region annähern können, ist es wichtig, dass der Journalismus neutral bleibt und nicht Partei ergreift.

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Ruanda – das afrikanische Singapur

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die sauberen und gut unterhaltenen Strassen im Zentrum der Hauptstadt Kigali unterscheiden sich kaum von jenen in den meisten westlichen Metropolen. Der Wirtschaftsboom, den Ruanda erlebt, ist für den Besucher unübersehbar. Auf dem Land dagegen verursachen die von Präsident Paul Kagamé mit eiserner Hand aufgezwungenen Reformen oft Frustration und Unzufriedenheit. (Samuel Jaberg, swissinfo.ch / Agenturen)

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swissinfo.ch: Ist es in der Region tatsächlich möglich, einen neutralen und unabhängigen Journalismus zu betreiben?

A-B.T.: Ja. Unsere Artikel werden von zahlreichen lokalen Medien übernommen, aber auch von anderen Ländern Afrikas und selbst Europas. Die vielen Anfragen von Journalisten, die für uns arbeiten wollen, zeugen vom guten Ruf von Syfia Grands-Lacs.

Mangelnde finanzielle Mittel sind jedoch für die Unabhängigkeit der Presse ein grosses Hindernis. Ohne politische Unterstützung haben private Medien kaum eine Chance auf Erfolg. Wir haben das Glück, dass uns internationale Geldgeber wie die EU und die Schweiz unterstützen.

swissinfo.ch: Gibt es Themen, die Sie ablehnen und nicht behandeln?

A-B.T.: Wir mischen uns nicht in Themen ein, die politisch «zu heiss» oder einseitig sind. Aber wir haben keine Tabus. Ungerechtigkeit, Gleichheit, Bildung, Umwelt: Alle gesellschaftlichen Themen haben in unserer Agenda ihren Platz.

Es ist nicht immer leicht, darüber zu berichten, ohne wichtige Personen zu verärgern, denn die Politik interveniert praktisch in alle Domänen des täglichen Lebens. Viele Journalisten zensieren sich selbst, um sich Ärger zu ersparen.

Wir sind stets auf der Hut und respektieren rigoros sowohl die journalistische Ethik als auch die nationalen Gesetze. Ich tausche mich dazu regelmässig mit Kollegen über Gesetzesänderungen aus, welche die Presse Ruandas betreffen.

Gemäss der Rangliste 2011/12 der Organisation Reporter ohne Grenzen rangiert Ruanda bezüglich Pressefreiheit auf Platz 159 von 179 Ländern.

Als Folge des Genozids werde jegliche Kritik an der Regierung und jede abweichende Meinung automatisch als «Leugnung» taxiert und bestraft, schreibt die Organisation.

Die Regierung beruft sich auf die Gesetze über die «Ideologie des Genozids» sowie das «Sektenwesen», um die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken.

Die unabhängigen Medien sind starkem Druck ausgesetzt, welche die Staatsspitze ausübt. Präsident Paul Kagamé liegt in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen der Gegner der Pressefreiheit seit Jahren ganz oben.

2010 fand die Wiederwahl Kagamés als Präsident Ruandas, in der er 93% der Stimmen machte, in einem völlig vergifteten Klima statt. Betroffen waren namentlich die Medien: Die beiden grössten Zeitungen, Umuseso und Umuvugizi, die auf der Abschussliste der Regierung standen, wurden geschlossen.

Mehrere Journalisten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Behörden werden zudem verdächtigt, an der Ermordung des Journalisten Jean-Léonard Rugambage beteiligt gewesen zu sein. Rugambage war stellvertretender Chefredaktor von Umuvugizi.

swissinfo.ch: Was sind die Hauptschwierigkeiten für Ihre Journalisten bei ihrer Arbeit?

A-B.T.: Der Zugang zu Information ist auch heute noch die grosse Herausforderung für die Medienleute, insbesondere in Ruanda. Verweigert ein Politiker einem Journalisten die Antwort, macht es ihm der Bauer nach.

Das Geld ist wie angetönt ein weiteres Problem. Viele Medien können es sich schlicht nicht leisten, ihre Leute ins Feld zu schicken, um Informationen zu überprüfen. Oft aber mangelt es Journalisten auch ganz grundlegend an Ausbildung. Im Vergleich zu Kenia, Tansania und Uganda ist der Journalismus in Ruanda höchst mittelmässig. In jenen Ländern haben Medienleute viel grössere Freiheiten.

swissinfo.ch: Muss man als Journalist in Ruanda vielleicht sogar etwas ahnungslos sein?

A-B.T.: Ruanda ist für Journalisten nicht gefährlicher als viele andere Orte auf der Welt. Wenn man von dem überzeugt ist, was man tut, hat man keine Angst. Das wichtigste ist, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und auch die Quellen nicht preiszugeben.

Für mich ist die Freiheit der Presse ein persönlicher Kampf, denn damit ein Journalist die Welt verändern kann, muss er frei sein.

(Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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