Freier Arbeitsmarktzugang oder Arbeitsverbot?
Die Frage, ob Asylsuchende einer Arbeit nachgehen dürfen, spaltet die Kantone: Für die einen sind sie als Arbeitskräfte unabdingbar, andere sehen in ihnen eine Bedrohung für die Inländer.
Wird ein Asylsuchender für die Zeit seines Verfahrens, das je nach Fall über ein Jahr dauern kann, dem Kanton Graubünden zugeteilt, hat er Glück. Wohnt er jedoch in Zukunft in Bern, Basel-Landschaft oder dem Kanton Jura, hat er – zumindest von der Arbeitsmöglichkeit her gesehen – eher Pech.
Ein Blick in die Asylstatistik vom vergangenen Jahr zeigt, dass es kantonal frappante Unterschiede gibt, was die Zulassungspolitik von Asylsuchenden zum Arbeitsmarkt betrifft: Während im Kanton Graubünden jeder dritte erwerbsfähige Asylsuchende arbeitet, sind es in Bern und Basel Land gut einer von fünfzig, im Kanton Jura gar null Prozent.
Gleiche Rechtsmittel, verschiedene Praxen
Für Asylsuchende gilt in den ersten drei Monaten nach der Einreichung des Asylgesuchs ein generelles Arbeitsverbot. Wenn bis dahin kein Asylentscheid gefällt wurde, lässt der Bund den Kantonen in Ausgestaltung des Arbeitsmarktzugangs Spielraum. Je nachdem, wie die Kantone diesen Spielraum nutzen, erhalten die Asylsuchenden nahezu freien Arbeitsmarktzugang oder unterliegen einem faktischen Arbeitsverbot.
Die Kantone haben zwei rechtliche Mittel, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende zu erleichtern oder erschweren: Nach der dreimonatigen Sperrfrist gilt der Inländervorrang, welcher besagt, dass Personen aus der Schweiz oder dem EU/EFTA-Raum bei der Vergabe einer Arbeitsstelle bevorzugt werden müssen. Wird diese Vorrangregelung strikte angewendet, wird es für Asylsuchende nahezu unmöglich, einen Job zu finden.
Zweitens kann der Kanton unter gewissen Voraussetzungen das Arbeitsverbot nach den obligatorischen drei Sperrmonaten auf sechs Monate verlängern. Indirekte Hindernisse wie lange Bewilligungsfristen, Arbeitserlaubnisse nur in bestimmten Branchen oder vertragliche Lohnabtretungen sind ebenfalls Mittel, um Asylsuchenden den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erschweren.
Die unterschiedlichen Erwerbsquoten der Asylsuchenden kommen davon, dass die Kantone diese Rechtsmittel in der Praxis uneinheitlich anwenden. Die Migrationsbehörde des Kantons Graubünden beispielsweise überprüfe selten, ob der Inländervorrang eingehalten wurde, so Marcel Suter, Chef des Kantonalen Migrationsamts. «Wir machen gute Erfahrungen mit den arbeitenden Asylsuchenden. Für den Arbeitsmarkt eines Tourismuskantons wie Graubünden sind sie zudem zwischenzeitlich nicht mehr wegzudenken.» Da der Kanton Graubünden eine relativ tiefe Arbeitslosenquote habe, könne er Asylsuchende gut ins Erwerbsleben einbinden.
Unter die Einwanderungs-Beschränkung soll auch das Asylwesen fallen – so sieht es die Zuwanderungsinitiative vor. Wie genau dies umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Aufgrund von völkerrechtlichen Verpflichtungen wird es kaum möglich sein, Einwanderungs-Höchstzahlen für diejenigen Personen festzulegen, welche die Schweiz um Schutz ersuchen.
Die Zuwanderungsinitiative wird hingegen Einfluss auf den Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende haben. Laut Martin Baltisser, Generalsekretär der SVP, soll ein eigenes Kontingent für den Asylbereich regeln, wie viele Asylsuchende oder Personen mit vorläufiger Aufnahme in Zukunft noch einer Arbeit nachgehen dürfen.
Auch der politische Wille spielt eine Rolle
Doch die Arbeitsmarktlage alleine kann nicht ausschlaggebend sein für die Zulassungspraxis der jeweiligen Kantone. Der politische Wille sei genau so entscheidend, so Stefan Frei, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.
Ein Blick in die Statistiken bestätigt dies: Sechs Kantone weisen eine am gesamtschweizerischen Mittel gemessene unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote auf, gleichzeitig ist die Quote auch bei den erwerbstätigen Asylsuchenden tief. Dies bedeutet, dass kaum Asylsuchende arbeiten, obwohl die Arbeitsmarktlage in diesen Kantonen eher entspannt ist.
Im Kanton Bern beispielsweise arbeiten trotz einer tiefen Arbeitslosenzahl gut zwölf Mal weniger Asylsuchende als in Graubünden. Der bernische Migrationsdienst erklärt diese tiefe Quote damit, dass er den Inländervorrang strikt umsetze. Bei einer allfälligen Aufnahme der Erwerbstätigkeit eines Asylsuchenden fordere er «in jedem Fall ein vollständiges Stellenantrittsgesuch des Arbeitgebers» ein.
Mit einer Bewilligungsfrist von zwei bis drei Wochen liegt der Kanton Bern zudem deutlich über dem Schweizerischen Durchschnitt für Stellenantrittsgesuche. «Möglicherweise halten die Voraussetzungen potenzielle Arbeitgeber davon ab, ein Verfahren um Stellenantritt für eine asylsuchende Person einzuleiten», so Iris Rivas, Leiterin des kantonalen Migrationsdienstes.
Arbeit als Integrationsmittel?
Adrian Amstutz, Berner SVP-Nationalrat und Mitglied des Abstimmungskomitees der Zuwanderungsinitiative, steht unter der heute gültigen Gesetzgebung hinter der Praxis des Berner Migrationsdienstes. Wäre der Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende grosszügiger geregelt, rechnet Amstutz damit, dass die Schweiz als Zielland für Wirtschaftsflüchtlinge an Attraktivität gewinnt. Das Vorgehen des Kantons Bern habe sich deshalb bewährt.
«Würden wir die Asylsuchenden schneller arbeiten lassen, würde sich dies auf der Welt via die kriminellen Schlepperbanden rasch herumsprechen. Dies dürfen wir im Interesse echter, an Leib und Leben bedrohter Menschen nicht zulassen.»
Anders sieht dies Raphael Strauss, Integrationsfachmann von der Kirchlichen Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen. Verwehre man den Asylsuchenden die Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen, drohe die anfängliche Motivation der Betroffenen zu verpuffen. Auch würden die Fähigkeiten und Ressourcen der Asylsuchenden nach mehrmonatigem oder gar jahrelangem Warten irgendwann brachliegen, so Strauss.
«Erhalten diese Leute dann einen positiven Asylentscheid oder eine vorläufige Aufnahme, muss man alles wieder aufbauen.» Knapp jeder dritte Asylbewerber bleibt auch nach dem Verfahren zumindest vorläufig in der Schweiz, deshalb mache es Sinn, sie von Beginn an in die Gesellschaftsstrukturen einzubinden.
In Europa wird der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende je nach Land unterschiedlich gehandhabt. Alle Mitgliedsstaaten des EU/EFTA-Raums, ausser Irland und Litauen, gestehen den Asylsuchenden ab einem bestimmten Punkt ihres Asylprozesses ein Arbeitsrecht zu.
Während einige Länder den Asylsuchenden nach einem Jahr erlauben, einer Arbeit nachzugehen (England, Frankreich, Deutschland), öffnen andere ihren Arbeitsmarkt für Asylsuchende nach sechs Monaten (u.a. Belgien, Dänemark, Italien, Polen, Spanien).
Je nach Arbeitsmarktsituation in den jeweiligen Ländern unterliegen die Asylsuchenden gewissen Einschränkungen oder werden bei Arbeitskräftemangel auch schon früher zu einer Arbeit zugelassen.
Einen relativ leichten Arbeitsmarktzugang geniessen Asylsuchende in Schweden, Österreich, Malta und Griechenland. In Schweden gelten für die Asylsuchenden keinerlei Einschränkungen; in Österreich können sie nur in bestimmten Branchen arbeiten. In Malta und Griechenland wird vorerst die Prüfung des Inländervorrangs vorgenommen, zudem sind Jobs in diesen Ländern aufgrund ihrer exponierten Lage ohnehin rar.
Neuenburg braucht die Asylsuchenden
Eine andere Praxis verfolgt der Kanton Neuenburg: Dieser gewährt Asylsuchenden einen relativ freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Neuenburg setzt den Inländervorrang trotz einer hohen Arbeitslosenquote von 5,2 Prozent nicht konsequent um. Mit dem Resultat, dass gut jeder achte erwerbsfähige Asylsuchende einer Arbeit nachgeht.
Serge Gamma vom Migrationsdienst Neuenburg rechtfertigt dieses Vorgehen: «Wir sind trotz hoher Arbeitslosigkeit auf die Asylsuchenden angewiesen.» Denn für viele Jobs liessen sich keine inländischen Arbeitsnehmer finden, auch wenn diese arbeitslos seien.
Für Stefan Frei von der Flüchtlingshilfe sind der eingeschränkte Arbeitsmarktzugang und die Ungleichbehandlung der Asylsuchenden in den Kantonen bedenklich. Generell erwarte er von der Schweizer Wirtschaft, dass sie die Asylsuchenden besser in den Arbeitsprozess integriere. Denn integrierte Asylsuchende kosteten den Staat weniger: «Man kann nicht erwarten, dass jemand nicht arbeiten darf und dann später nicht von selber in der Sozialhilfe landet.»
Dass es einigen Kantonen aufgrund der Arbeitsmarktlage schlecht möglich ist, Asylsuchende eine Arbeitserlaubnis zu erteilen, ist für ihn kein Argument: «Klar hat eine Arbeitsmarktsituation wie jene im Graubünden Potenzial für die Beschäftigung von Asylsuchenden. Die Arbeitsmarktsituation ist aber keine Entschuldigung für all jene, die wenig oder gar nichts machen.»
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