Italien: mehr Zeit für reumütige Steuerflüchtlinge
Die italienische Regierung will die Frist für die Legalisierung von im Ausland verstecktem Kapital bis Ende Jahr verlängern. Das Selbstanzeige-Programm, bei dem die Teilnehmer straffrei ausgehen sollen, dürfte einige Milliarden Euro in die italienische Staatskasse schwemmen. Davon relativ viel aus der Schweiz.
Viele hatten lauthals nach einer Fristverlängerung verlangt. Eine solche «reagiert auf die Notwendigkeit, mehr Zeit einzuräumen, um die erforderlichen Formalitäten zu erledigen, in Anbetracht der Schwierigkeiten, die nötigen Dokumente zu besorgen, auch weil dies den Einbezug ausländischer Personen bedingt», schrieb der Italienische Ministerrat kürzlich in einer Erklärung.
Statt wie ursprünglich geplant bis zum 30. September erhalten Steuerpflichtige, die ihre Steuersituation nicht bereinigt haben, nun bis zum 30. November Zeit. Bis dann müssen sie ihr Gesuch um freiwillige Offenlegung (voluntary disclosure) einreichen, das heisst, ihre Gelder im Ausland ans Licht bringen. Und bis am 31. Dezember müssen sie die entsprechenden Dokumente nachreichen.
Kompliziertes Prozedere
Zufrieden zeigten sich die italienischen Steuerberater. Sie können mit der dreimonatigen Fristverlängerung die Fälligkeit einhalten und ihre Arbeit gründlicher machen, ohne dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht.
Freiwillige Offenlegung – so geht es
Inhaber von nicht deklarierten Vermögen im Ausland müssen bei ihrem Finanzinstitut eine entsprechende Dokumentation ihres Vermögens verlangen (Kontoauszüge, Wertpapiere, etc.).
Dann müssen sie über einen Steuerberater oder Steueranwalt beim italienischen Fiskus online einen Antrag auf Regularisierung stellen.
«Der komplexeste Teil ist die Überprüfung der Zahlen, um den Gesamtbetrag zu bestimmen», sagt Roberto Salin, Partner in der Kanzlei Legalitax, der in den letzten Monaten eine beträchtliche Anzahl Gesuche ausgearbeitet hat.
«Ist die Berechnung abgeschlossen, reichen wir die Anfrage ein und melden den Steuerpflichtigen beim Fiskus. Innerhalb von 30 Tagen bereiten wir einen Bericht mit allen Details vor», so Salin weiter.
«Schliesslich kann die Höhe der Strafzahlung ausgehandelt werden, die zwischen mindestens 2,5 und maximal 9% (besonders in Fällen von nicht deklarierten Einkommen) beträgt.»
Wer eine freiwillige Offenlegung gemacht hat, kann das Konto gemäss der so genannten Rechtsrückführung nach Italien transferieren. Oder dieses kann im Ausland bleiben, aber unter einem Namen und nicht mehr anonym.
Verboten hingegen ist, das Kapital in Länder zu transferieren, die auf einer schwarzen Liste figurieren, oder auf Konten von Gesellschaften mit Sitz in solchen Ländern.
«Die ‹voluntary disclosure› ist ein recht komplexes Prozedere, das erst in den letzten drei Monaten durch Rundschreiben des Steueramts teilweise technisch geklärt werden konnte. Sei es, was die strafrechtlichen Aspekte angeht, seien es die steuerlichen Konsequenzen», sagt Francesco Paganuzzi von der Anwaltskanzlei Paganuzzi & Associati di Milano. Er begrüsst die von der italienischen Regierung gewährte Verlängerung.
Wie auch Roberto Salin von der Kanzlei Legalitax. Er glaubt, durch die Fristverlängerung werde sich die Anzahl der Selbstanzeigen auf jeden Fall erhöhen: «Es hatte keine angemessene Information gegeben, und die Frist lag zu nah an den Sommerferien. Das Ganze war nicht klug geplant.»
Staat macht Kasse
Laut Berechnungen der italienischen Regierung sollten rund 100’000 Personen ihre Auslandanlagen freiwillig offenlegen. Entsprechend den Daten der Banca d’Italia betragen die italienischen Auslandguthaben insgesamt 230 Milliarden Euro. Über die Hälfte davon soll sich auf Bankkonten in der Schweiz befinden.
Bis jetzt habe der italienische Fiskus bereits 45’000 Gesuche um freiwillige Offenlegung ausgewertet, gab letzte Woche Rossella Orlandi bekannt. Gemäss der Direktorin der Steuerbehörden «könnten es mit der Fristverlängerung bis zum 30. November zwischen 70’000 und 80’000 werden». Die Aktion sollte laut Orlandi etwa drei Milliarden Euro in die italienische Staatskasse schwemmen.
Dies sei eine glaubhafte Annahme, sagt der Tessiner Anwalt Paolo Bernasconi. Ohne umfassende amtliche Daten sei hingegen jeglicher Kommentar verfrüht. «Sicherlich wird eine Verlängerung der Frist um einige Monate die Anzahl der Fälle stark erhöhen. Trotzdem bleiben etwa 80 Prozent der Vermögen, die freiwillig offengelegt werden, in der Schweiz, und die Schweizer Banken werden diese weiterhin verwalten.»
Gesichert ist für Bernasconi, dass es ausserhalb Italiens noch viele italienische Gelder gibt: «Ja, weil sehr viele keine freiwillige Offenlegung gemacht haben und in diesen zwei Jahren ihre Gelder nach Dubai, Rumänien, Zypern oder Malta transferiert haben. Unzählige haben das Geld abgehoben und in den Tresor gesteckt, oder sie haben damit Gold oder Diamanten gekauft. Das geschah 2013 und 2014, weil die Schweizer Banken seither alles blockiert haben, um Risiken auf ihre Kosten zu vermeiden.»
Schwierige Identifizierung
Im Hinblick auf den automatischen Austausch von Steuerinformationen (AIA), dem sich die Schweiz voraussichtlich ab 2018 anschliessen wird, ist die freiwillige Offenlegung die letzte Möglichkeit für tausende Steuerzahler, die ihre Angelegenheiten bereinigen und strafrechtliche Sanktionen verhindern wollen.
Laut Salin ist es nicht einfach, ein Phantombild dieser Personen zu zeichnen. «Unter ihnen finden sich Pensionierte, Unternehmer, Personen, die im Ausland arbeiteten, Familien, die eine Stiftung gegründet haben.» Ebenso unterschiedlich seien deshalb auch die Beträge, die legalisiert werden sollen: «Es beginnt vermutlich bei einigen hunderttausend Euro und geht bis zu vielen Millionen in Form von Anlagen, Wertpapieren, Lebensversicherungen, verwalteten Vermögen, Gold und Edelmetallen.»
Die freiwillige Offenlegung umfasst aber nicht nur Geldwerte oder Edelmetalle. Angesprochen sind auch italienische Steuerzahlende, die über Kunstwerke im Ausland verfügen und diese melden können. «Ich empfehle Interessierten, ihre Lage zu bereinigen und die in der Schweiz gehaltenen Werke zu deklarieren, wozu Italienerinnen und Italiener bereits seit 2009 gesetzlich verpflichtet sind», sagt der Anwalt Dario Jucker von der auf Kunst und Recht spezialisierten Luganeser Kanzlei BMA Brunoni Mottis & Associati.
Zwar kann man Kunstwerke und -gegenstände immer verstecken. Etwa daheim, ohne dafür eine Bank in Anspruch nehmen zu müssen. Doch das Problem dabei bleibt, dass man über diese Gegenstände nicht auf legale Art und Weise verfügen kann. «Wenn ich ein Kunstwerk in der Schweiz verkaufe, das Geld aber in Italien erhalten und weiter verwenden möchte, kann ich das nicht tun. Eine freiwillige Offenlegung macht dies möglich», ergänzt Jucker.
Die Kosten dafür seien relativ tief. «Wenn die Ausfuhr rechtmässig erfolgte, summieren sich die administrativen und finanziellen Sanktionen auf fünf Prozent des Werts. Im Fall eines illegalen Exports hingegen wird diese Frage schwieriger, weil das Kunstwerk zuerst eingeschätzt werden muss. Und das treibt die Kosten in die Höhe.»
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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