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Fremde, die in der Schweiz unerwünscht sind

pixsil/Dominic Büttner

Jedes Jahr endet der Aufenthalt Tausender, die in unklaren Verhältnissen in der Schweiz lebten, am Gate eines Flughafens. Ein Flugzeug bringt sie zurück in ihren Heimatstaat oder in ein europäisches Land. Ihre Anwesenheit ist nicht mehr erwünscht.

Die Schweizer Migrationspolitik und die Ausschaffung von unerwünschten Personen sind ein immer wiederkehrendes Thema – in einem Land, in dem jede fünfte Person aus dem Ausland stammt.

2010, vier Jahre nach der Revision des Asyl- und Ausländergesetzes, hat das Schweizer Stimmvolk die umstrittene Ausschaffungs-Initiative gutgeheissen.

Das in rechtskonservativen Kreisen lancierte Volksbegehren verlangt den automatischen Landesverweis von Ausländern, die wegen gewissen Straftaten verurteilt wurden. Darunter finden sich Vergewaltigung, Raub, Drogenhandel oder Missbrauch von Sozialleistungen.

Die Umsetzung der Volksinitiative in ein Gesetz gestaltet sich aber schwierig. Nicht nur, weil der Initiativtext gegen Verfassungsprinzipien und von der Schweiz ratifizierte internationale Verträge verstossen könnte. Für Meinungsverschiedenheiten sorgt auch die von der Initiative vorgeschlagene, eher zufällige Auflistung von Verbrechen. Theoretisch könnte sie auch weniger gravierende Straftaten wie etwa Einbruch einschliessen.

Während einerseits die Kriminalstatistik die Vertreter einer harten Linie bestärkt (siehe Grafik), werden Stimmen laut, die ausländerfeindliche Kreise daran hindern wollen, auch Ausländer zu kriminalisieren – und auszuschaffen – die nicht kriminell sind.

Doch wer sind diese Ausländer, die aus der Schweiz ausgeschafft werden? «Es gibt zwei verschiedene Gruppen: Jene aus dem Asylbereich und jene, deren Fall über das Bundesgesetz über die Ausländer geregelt wird», sagt Hendrick Krauskopf, Experte für Ausschaffungs-Massnahmen beim Bundesamt für Migration (BFM).

Das BFM sei für die Asylsuchenden zuständig, erklärt Krauskopf. Für die Ausweisung von Ausländern, welche die Bestimmungen über die Einreise und den Aufenthalt in der Schweiz verletzt haben, seien die Kantone zuständig.

Freiwillige Ausreise

Im letzten Jahr haben 9461 Personen die Schweiz auf dem Luftweg verlassen. Mehr als zwei Drittel (6669 Personen) betrafen den Asylbereich.

«Es handelt sich um Asylsuchende, die einen negativen oder einen Nichteintretens-Entscheid auf ihr Gesuch erhalten haben», betont Krauskopf.

Einen Nichteintretens-Entscheid erhalten jene Gesuche, die unvollständig oder widerrechtlich sind. Oder wenn der Gesuchsteller bereits ein Asylgesuch in einem anderen Land des Dublin-Abkommens eingereicht hat.

Auf Grund dieses im Dezember 2008 in Kraft getretenen Verfahrens kann die Schweiz eine solche Person in das entsprechende EU-Land zurückschicken. «Die Hälfte aller ausgeschafften Asylbewerber waren vom Dubliner Abkommen betroffen», so der BFM-Experte.

Rund 40% aller Abgewiesenen würden das Land freiwillig verlassen, sagt Krauskopf. «Das heisst, sie sind ohne Polizeieskorte zum Flughafen gefahren. In den anderen Fällen wurde die Person von Beamten begleitet, mindestens bis zum Einsteigen ins Flugzeug.

Um abgewiesene Asylsuchende zu einer freiwilligen Rückkehr zu ermutigen, bietet die Schweiz eine so genannte Rückkehrhilfe an (meist Leistungen finanzieller Art). Um die Rückschaffungen zu beschleunigen, hat die Landesregierung im April vorgeschlagen, den Beitrag auf bis zu 2000 Franken zu erhöhen. Ein neues Subventions-System, das dem «Maghreb-Plan» des Kantons Genf gegenüber Asylbewerbern und Kriminellen aus Nordafrika gleicht.

Denn nicht alle Abgewiesenen verlassen die Schweiz auch wirklich. Einige verschwinden im Untergrund (Statistiken gibt es dazu keine). Weil ihnen eine gültige Aufenthaltserlaubnis fehlt, vergrössern sie die Gruppe der Papierlosen.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Nicht nur Illegale

Die Gründe, warum Ausländerinnen und Ausländer, die nicht in den Asylbereich fallen, ausgeschafft werden, seien vielfältig, erklärt Guy Burnens, Verantwortlicher für die Abteilung Ausländer in der Einwohnerkontrolle des Kantons Waadt.

«Es kann sich um einen illegalen Aufenthalt handeln. Das betrifft nicht nur Papierlose, sondern auch für eine gewisse Zeit zugelassene Studierende, die nach Abschluss ihrer Studien in der Schweiz bleiben. Oder Ausländer, die nach einer Familienzusammenführung rasch ihre Ehe auflösen.»

Das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer sehe auch die Entziehung gewisser Bewilligungen für Personen vor, die Sozialhilfe bezögen, so Burnens. Zu diesen Personen, deren Straftaten nicht als kriminelle Handlungen eingeschätzt werden, kommen die wahren Straftäter hinzu. Dies sind Ausländer, die wegen schwerwiegender Straftaten abgeschoben werden, oder weil sie eine Gefahr für öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen.

Dazu gebe es keine genauen Zahlen, sagt Burnens. «Uns fehlen noch die Informatikmittel für solche Statistiken. Ich glaube aber, dass jene Ausländer, die schwere Straftaten begangen haben, unter den Ausgeschafften nicht in der Mehrheit sind.»

Dies bestätigen Zahlen des BFM, nach denen ausgeschaffte kriminelle Ausländer eine Minderheit sind. Es seien zwischen 350 und 400 Personen pro Jahr, erklärte 2010 der damalige Amtsdirektor Alard du Bois-Reymond.

Bereit für Verhandlungen

Wie rasch eine Person die Schweiz verlassen muss, ist von Fall zu Fall verschieden, wie Guy Burnens erklärt: «Wenn die betroffene Person keine Gefahr darstellt, erhält sie bis zu drei Monate Zeit. Handelt es sich aber um schwere Fälle wie etwa einen Drogenhändler, kann die Ausschaffung auch sofort erfolgen.»

Im Kanton Waadt, der mit einem Anteil von 30% Ausländerinnen und Ausländern einer der höchsten der Schweiz aufweist, bevorzuge man die freiwillige Ausreise, so Burnens. Falls eine Person auf Mahnungen nicht reagiere, werde sie auf das Amt zitiert, um die Modalitäten der Rückführung zu diskutieren.

«Wir sind bereit, über den Ausschaffungstermin zu verhandeln, zum Beispiel bei Familien. Manchmal bieten wir auch eine Rückkehrhilfe an, wie das bei den abgewiesenen Asylsuchenden der Fall ist.» Ziel der Hilfe, die bis zu 6000 Franken betragen kann, sei eine erleichterte Wiedereingliederung im Heimatland der Betroffenen.

Wenn jemand nicht freiwillig die Schweiz verlassen wolle, würden Zwangsmassnahmen angewendet, sagt Marc Aurel Schmid, Pressesprecher des Migrationsbüros des Kantons Zürich. «Sie können in Administrativhaft genommen oder zwangsweise ausgeschafft werden.»

In extremeren Fällen führen das BFM und die Polizeikräfte so genannte «Spezialflüge» durch (2011 mit 165 Personen). Diese Flüge sind umstritten, weil dabei zum Teil auch körperliche Gewalt, Handschellen oder andere Massnahmen zur Immobilisierung angewendet werden.

Eintritt verboten

Theoretisch kann ein ausgewiesener Ausländer ein paar Tage nach der Ausschaffung wieder in die Schweiz einreisen. Es reicht, dafür auf einer Schweizer Botschaft ein Visum zu beantragen oder – für EU-Bürgerinnen und -Bürger – die im Abkommen über den freien Personenverkehr vorgesehenen Möglichkeiten zu nutzen.

Immer häufiger werde ein Ausweisungsentscheid aber von einem Einreiseverbot begleitet, beobachtet Schmid. «Die Maximaldauer beträgt fünf Jahre. Für Personen, die eine Gefahr darstellen, kann sie verlängert werden.»

Solche Verbote können aber nicht garantieren, dass unterwünschte Ausländer der Schweiz wirklich fernbleiben. Wie die Kantonspolizei Zürich letztes Jahr festgestellt hat, zögern die Frechsten nicht lange, in ihrem Heimatland einen neuen Pass zu beantragen – und mit einer neuen Identität zurück in die Schweiz zu kommen.

Statistik der Personen, welche die Schweiz auf dem Luftweg verlassen haben.

2011: 9461 (6669 im Rahmen des Asylgesetzes; 2792 im Rahmen des Ausländergesetzes)

2010: 8059 (5345; 2714)

2009 (Dublin seit Dez. 2008 in Kraft): 7214 (4449, 2765)

2008: 4928 (2239; 2689)

2007: 5561 (2901; 2760)

2011 verliessen 3022 Personen die Schweiz freiwillig, 6141 wurden zum Flugzeug begleitet, reisten aber alleine aus. 298 Personen wurden auf zivilen oder Sonderflügen von der Polizei begleitet.

(Quelle: BFM)

Im November 2010 hat das Schweizer Stimmvolk die Initiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer» mit 52,9% Ja angenommen.

Der Initiativtext der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht die automatische Ausschaffung in folgenden Fällen vor: vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung oder andere schwere Sexualdelikte, Gewaltdelikte wie etwa Raub; Menschenhandel, Drogenhandel oder Einbruchdelikte; Sozialhilfe- oder Sozialversicherungs-Missbrauch.

Der Gesetzgeber kann laut Initiativtext weitere Tatbestände in den Katalog aufnehmen.

Die Dauer eines Einreiseverbotes soll laut Initiative zwischen 5 und 15 Jahre (im Wiederholungsfall 20 Jahre) betragen.

Mitte April kündete die SVP an, eine «Durchsetzungs-Initiative» zu lancieren. Die Partei bezeichnet den Umstand, dass fast eineinhalb Jahre nach Annahme der Ausschaffungs-Initiative noch immer kein Gesetzesprojekt existiert, als «inakzeptabel».

Für Verzögerungen sorgten vor allem Fragen der Definition der Straftaten und der Vereinbarkeit mit internationalen Verträgen und Abkommen.

Der Bundesrat hat zwei Varianten der Umsetzung geprüft, beide aber verworfen.

Nun soll das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) bis im Sommer ein Umsetzungsmodell ausarbeiten, das den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die internationalen Verpflichtungen der Schweiz einhält.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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