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«Die Schweiz wird ihren Beitrag in Kolumbien weiter leisten»

Kolumbien
Ein Land im Umbruch: Der Friedensprozess in Kolumbien ist noch nicht abgeschlossen. Keystone

Kolumbiens neuer Präsident, Iván Duque, will die nationale Versöhnung in seinem Land vorantreiben. Allerdings erwarten viele, dass er vom Kurs seines Vorgängers Santos abweichen wird. Was heisst das für das Schweizer Engagement in dem südamerikanischen Land? Einschätzungen eines Experten.

swissinfo.ch: Unter dem neuen Präsidenten Kolumbiens, Iván Duque, steht das 2016 abgeschlossenen Friedensabkommen zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen vor einer ungewissen Zukunft. Sehen Sie das auch so?

Philipp Lustenberger arbeitet seit Sommer als Co-Leiter des Mediationsprogramms des Schweizer Friedensforschungsinstituts swisspeaceExterner Link in Bern. Zuvor hat er während vier Jahren an der Schweizer Botschaft in Bogotá für den kolumbianischen Friedensprozess gearbeitet. Er äussert hier seine persönliche Meinung.

Philipp Lustenberger: Während der Wahlkampagne hat Duque gesagt, er werde das Friedensabkommen weder zerreissen, noch einfach sämtliche Punkte übernehmen. Mit Blick auf seine rechtskonservative Partei Centro Democrático entspricht das einer eher moderaten Haltung. Denn viele Anhänger der Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe würden das Abkommen am liebsten komplett rückgängig machen. Ich gehe also von einer gewissen Kontinuität aus. Präsident Duque wird verschiedene Punkte des Abkommens umsetzen.

swissinfo.ch: Welche Punkte des Friedensabkommens kritisiert Duque?

P.L.: Es geht vor allem um zwei Punkte, die auch die kolumbianische Gesellschaft polarisieren: die Strafen für die Ex-Guerilleros und deren politische Partizipation. Wenn ehemalige FARC-Kämpfer ihre Verantwortung für schlimme Verbrechen anerkennen und zur Wahrheitsfindung beitragen, müssen sie nicht mit einer Haftstrafe rechnen. Das Abkommen gesteht der neu geschaffenen FARC-Partei zudem für zwei Legislaturperioden zehn Sitze im kolumbianischen Parlament zu. Duques Partei kritisiert das scharf.

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swissinfo.ch: Auch die Schweiz ist in den langjährigen Friedensprozess in Kolumbien involviert. Seit Februar 2017 unterstützt sie die Verhandlungen zwischen der anderen Guerilla ELN und der Regierung.

P.L.: Die Regierung und die ELN hatten die Schweiz zusammen mit anderen Ländern darum gebeten, diese Verhandlungen zu begleiten. Präsident Duque sagte bei seinem Amtsantritt, er wolle sich 30 Tage Zeit geben, um diesen Verhandlungsprozess zu evaluieren. Er will die Akteure treffen, die diese Verhandlungen unterstützen. Dazu gehören die UNO, die katholische Kirche und eben auch die Schweiz sowie weitere Staaten. Die Frist läuft anfangs September ab. Da wird sich zeigen, ob und wenn ja, wie die Verhandlungen mit der ELN weitergeführt werden.

Schweizer Engagement für den Frieden

Seit Ende der 1990er-Jahren spielt die Schweiz eine wichtige Rolle im Friedensprozess in Kolumbien. Bei mehreren Gelegenheiten sorgte sie für eine Erleichterung des Dialogs zwischen der Regierung und der Guerilla.

Heute ist die Schweiz für die Begleitung der Umsetzung der Friedensabkommen mit den FARC zuständig, besonders im Hinblick auf die politische Partizipation. Ausserdem unterstützt sie die Entwicklung der Übergangsjustiz und den Schutz von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten.

Gemeinsam mit Italien, Deutschland, Holland und Schweden ist die Schweiz zudem an den Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der anderen Guerilla ELN beteiligt.

swissinfo.ch: Im Auftrag des Aussendepartements setzten Sie sich selber bis vor kurzem für die Friedensförderung in dem südamerikanischen Land ein. Befürchten Sie nun, dass dieses Engagement umsonst war?

P.L.: Nein, das glaube ich nicht. Als internationale Akteure – Staaten aber auch Nichtregierungsorganisationen – hat man in einem Friedensprozess immer nur eine unterstützende Rolle. Es sind die nationalen Akteure, die den Prozess tragen müssen, sonst bringt alles nichts. Ich sehe Verbesserungen in Kolumbien. Und ich denke, dass auch die Schweiz hier einen wichtigen Beitrag leisten konnte und weiter leisten wird.

Ein grauhaariger Mann im Anzug spricht in ein Mikrofon.
Der neu amtierende Präsident Duque will die nationale Versöhnung nach eigenen Worten vorantreiben. Kein einfaches Unterfangen im tief gespaltenen Kolumbien. Nun wird er zeigen müssen, wie er das zu tun gedenkt. Keystone

swissinfo.ch: Die Schweiz hat sich stark für den Waffenstillstand zwischen der Regierung und den FARC sowie für den Waffenniederlegungsprozess engagiert.

P.L.: Ja. Dabei arbeitete sie nicht nur mit den zwei Verhandlungsparteien, sondern auch mit der kolumbianischen Zivilgesellschaft und mit den Dorfgemeinschaften der Gebiete, in denen die Waffenniederlegung stattfand. Das hat gut funktioniert. Insgesamt ging die Gewalt in Kolumbien stark zurück. Allerdings muss man auch erwähnen, dass sie in verschiedenen Regionen anhält oder gar zunimmt.

swissinfo.ch: Die Schweiz arbeitete auch als Brückenbauerin zwischen den verschiedenen Akteuren des Konflikts. Das ist eine sehr diskrete Arbeit. Können Sie ein Beispiel nennen?

P.L.: Nehmen wir das Beispiel der Sicherheitskräfte und der indigenen Völker des Landes. Deren Verhältnis ist historisch sehr angespannt. Hier gelang es der Schweiz, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen und den Dialog zu fördern. Die Teilnehmenden hörten einander zu und versuchten, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen.

«Die Umsetzungsphase eines Abkommens ist meist um einiges schwieriger als dessen Verhandlungsphase. Das gilt auch für Kolumbien.»

swissinfo.ch: Sie haben es bereits erwähnt, in einigen Regionen des Landes hält die Gewalt an oder nimmt zu. Auch die Zahl der ermordeten Aktivisten steigt, die sich in ihren Dorfgemeinschaften für den Frieden einsetzen. Sind das «normale» Probleme, die zu einem Friedensprozess gehören?

P.L.: Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass Friedensprozesse sehr komplex sind und nicht linear verlaufen. Insbesondere ist die Umsetzungsphase eines Abkommens meist um einiges schwieriger als dessen Verhandlungsphase. Das gilt auch für Kolumbien.

In den Gebieten, in denen die FARC vor der Waffenniederlegung eine gewisse Kontrolle hatten, hat es der Staat noch nicht geschafft, dieses Vakuum zu füllen. Nun versuchen dort andere bewaffnete Gruppen an Einfluss zu gewinnen. Die Gebiete sind geprägt vom Drogenanbau und -schmuggel sowie vom illegalen Goldabbau. Dieses Recycling der Gewalt führt zu einer erhöhten Bedrohung für die Zivilbevölkerung und insbesondere für lokale Menschenrechtsaktivisten.

swissinfo.ch: Duques Regierung hat bereits einen Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. Dieses will den Drogenhandel und Entführungen künftig nicht mehr als Teil von politischen Verbrechen klassifizieren.

P.L.: Genau. Bei diesen Verbrechen soll in Zukunft keine Strafmilderung mehr möglich sein. Dieser Gesetzesvorschlag ändert allerdings rückwirkend nichts am bestehenden Abkommen und der daraus hervorgehenden Übergangsjustiz.

swissinfo.ch: Das Friedensabkommen von 2016 hält die Möglichkeit offen, dass sich auch andere bewaffnete Gruppen dieser Übergangsjustiz stellen können. Sollte Duque mit seinem Gesetzesvorschlag durchkommen, dürften Gruppen wie die ELN weniger Interesse daran haben, ihren bewaffneten Kampf zu beenden.

P.L.: In der Tat. Sollte dieser Gesetzesvorschlag umgesetzt werden, dürfte es für die Kämpfer der ELN schwieriger werden, sich der aktuellen Lösung der Übergangsjustiz anzuschliessen. Für die erwähnten Verbrechen könnten wohl nicht mehr die alternativen Strafen, wie beispielsweise die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, angewendet werden.

Drei Kinder ziehen springend an einer weissen Hausmauer vorbei.
Der jahrzehntelange Konflikt in Kolumbien kostete über 220’000 Menschen das Leben, 6 Millionen wurden vertrieben und mehr als 60’000 gelten als vermisst. Keystone

swissinfo.ch: Der aktuelle Konflikt in Kolumbien dauert bereits mehr als 50 Jahre. Ist das Friedensabkommen von 2016 besser als frühere Versuche?

P.L. Im Verlauf der Zeit hat man sicher dazugelernt und die Lehren auch aus anderen internationalen Friedensprozessen einfliessen lassen. Das Abkommen gilt als sehr innovativ und umfassend: Die kolumbianische Gesellschaft wurde in den Friedensprozess einbezogen.

«Noch in den 1980er-Jahren galten die Sicherheitskräfte als Gegner von Friedensprozessen. Für das Abkommen von 2016 aber wurden sie in die Verhandlungen miteinbezogen.»

Ein Beispiel sind die Sicherheitskräfte: Noch in den 1980er-Jahren galten sie mehrheitlich als Gegner von Friedensprozessen. Für das Friedensabkommen von 2016 aber wurden sie in die Verhandlungen miteinbezogen. Auch die Konfliktopfer konnten ihre Anliegen einbringen und ihre Rechte werden im Abkommen umfassend berücksichtigt.

swissinfo.ch: Wenn Sie ein Orakel wären, welches Zukunftsszenario für das Kolumbien unter Duque würden Sie zeichnen?

In Kolumbien wird in Bezug auf den Friedensprozess viel vom halb vollen oder halb leeren Glas gesprochen. Ich würde sagen, das Glas ist zur Hälfte gefüllt und in vier Jahren noch ein bisschen mehr voll. Viele Probleme wie die Gewalt und die grosse soziale Ungleichheit, insbesondere zwischen Stadt und Land werden Kolumbien über die vier Amtsjahre Duques hinaus beschäftigen.

Schwarzmalen und Duque nur aufgrund der Hardliner in seiner Partei zu verurteilen bringt nichts. Man muss ihn an seinen Handlungen messen. In seiner Amtsantrittsrede machte er die nationale Versöhnung zu seiner Priorität. Nun wird er zeigen müssen, wie er das zu tun gedenkt. Er ist erst seit anfangs August im Amt.

swissinfo.ch: Der abgetretene Präsident Juan Manuel Santos wurde wie Duque dank der Unterstützung von Uribe gewählt. Uribe empfand die Friedensverhandlungen mit den FARC als Verrat. Ist auch Duque zuzutrauen, dass er sich von Uribe abwendet?

P.L.: Kaum. Santos war bereits ein gewiefter Fuchs. Er stammt aus einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Familien Kolumbiens. Duque hingegen war bis vor kurzem ein politischer Nobody. Ich schätze ihn jedoch als ausreichend ehrgeizig und intelligent ein, um einen eigenen politischen Kurs zu fahren. Statt sich von Uribe und dem radikalen Flügel seiner Partei abzuwenden, wird er sich in einem politischen Balance-Akt versuchen.

Ein Mann in Anzug hält in seinen Händen ein Dokument und eine Medaille und zeigt sie den Fotografen.
2016 erhielt Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen im Friedensprozess mit der FARC-Guerilla. Aus allen Teilen der Welt mit Lob überschüttet, sah sich der damalige Präsident zu Hause mit den seit Monaten schlechtesten Umfragewerte konfrontiert. Keystone

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