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Verhandeln mit dem Teufel: Wie Mediation im Krieg funktioniert

Nelson Mandela bei den Friedensgesprächen in Burundi
Der ehemalige südafrikanische Präsident Nelson Mandela brachte die Kriegsparteien in Burundi 2002 zu einem Friedensabkommen. Eine Schlüsselrolle hinter den Kulissen spielten dabei ein Schweizer und ein südafrikanischer Vermittler. Auch Schweizer NGOs arbeiten hinter den Kulissen für den Frieden. Keystone / Jean-marc Bouju

Friedensvermittlung ist ein diskreter Job. Vor allem NGOs sprechen selten darüber, was hinter den Kulissen passiert. Dabei sind sie ein wichtiger Teil der Schweizer Diplomatie und dürften letztlich eine Rolle bei der Befriedung der Ukraine spielen.

«Wenn man einen Konflikt hat, gibt es sofort eine Tendenz, die andere Seite zu entmenschlichen», sagt Pierre Hazan, nach dem Titel seines im September veröffentlichten Buchs «Verhandeln mit dem Teufel» gefragt.

«Wir sprechen über Leute, die Kriegsverbrechen begangen haben. Die Frage ist, ob man das Ausmass der regionalen und internationalen Unsicherheit begrenzen, die Situation stabilisieren und zu einer Lösung beitragen kann? Wenn ja, dann muss man verhandeln, und das tut man nicht mit den Guten.»

Diese Leute hätten ihre eigenen Interessen und meinten es vielleicht nicht ernst mit dem Frieden. «Möglicherweise wollen sie dich manipulieren», sagt Hazan. Der leitende Berater des Genfer Zentrums für humanitären Dialog (HD Center) spricht aus langjähriger Erfahrung.

Ethische Dilemmas 

Moralische Dilemmas gehören zum Tageschäft in der Friedensvermittlung. Hilft man beispielsweise in Syrien bei der sicheren Evakuierung von Zivilist:innen, um sie vor Schaden zu bewahren, trägt man unter Umständen zu den ethnischen Säuberungszielen der Kriegsparteien bei.

Und wenn das Angebot lautet, ein Drittel der Gefangenen auszuwählen, die aus einem schrecklichen Lager der kroatischen Miliz in Bosnien entlassen werden sollen – wie entscheidet man sich dann?

Hazan gehörte zu einem Team von humanitären Helfern, die 1993 in der Nähe von Mostar genau das tun mussten. Er beschreibt die entsetzlichen Bedingungen, den Gewichtsverlust der Gefangenen und das Wissen, dass die Zurückgebliebenen sterben könnten, sowie den Zynismus des Lagerleiters, der nur diejenigen freilassen wollte, die «keinen Wert» hatten, sprich keine Verwandten in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, die ein Lösegeld bezahlen könnten.

Es kam zu keiner Einigung, doch der Offizier verweigerte plötzlich jede Freilassung. Die Busse, welche die freigelassenen Häftlinge abholen sollten, blieben leer.

Hazan sagt, das sei ein moralischer Wendepunkt für ihn gewesen. «In diesen Tagen«, schreibt er in seinem Buch, «wurde mir bewusst, wie schwer diese ethische Verantwortung sein kann, die darauf abzielt, die Mittel dem Ziel anzupassen, mit all den potenziell fatalen Folgen, die sich daraus ergeben können.«

Die Definition von Friedensmediation ist weit gefasst. «Im Grunde genommen geht es darum, dass eine dritte Partei eingreift, um eine Art von Konfliktlösung herbeizuführen oder die Folgen eines Konflikts für die Bevölkerung abzumildern», sagt Hazan.

So halfen Norwegen und Kuba beispielsweise 2016 bei der Vermittlung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen.

In der Zentralafrikanischen Republik half das HD Center während der Pandemie dabei, Zugänge zu Zivilisten in von bewaffneten Gruppen kontrollierten Regionen zu vermitteln, damit die Menschen dort geimpft werden konnten.

Spezifisch Schweizerisch

Simon Mason, Leiter des Mediation Support Teams am Center for Security Studies der ETH ZürichExterner Link, sagt, Friedensmediation sei eine Schweizer Spezialität, obwohl auch andere Länder wie Norwegen und Finnland die Friedensförderung als Teil ihrer Aussenpolitik betreiben.

Er weist darauf hin, dass die Schweiz in ihrer Verfassung Externer Linkdas Ziel verankert hat, «zum friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» beizutragen (Artikel 54).

Dafür gebe es verschiedene Gründe, etwa ihre humanitäre Tradition. Oder den Aspekt der «globalen Lastenteilung, wo die Schweiz bei der militärischen Friedenssicherung schwach ist und sich deshalb mehr für die zivile Friedensförderung engagiert».

Zu den Schweizer Nichtregierungsorganisatonen, die in der Friedensmediation tätig sind, gehören das HD Center und Interpeace, die ihren Sitz in Genf haben. Wie auch das IKRK, das ebenfalls mit allen Parteien in Konfliktgebieten spricht und mit dem Ziel der Linderung der Leiden der Zivilbevölkerung über Zugänge verhandelt.

Geneva Call, das mit bewaffneten Gruppen zusammenarbeitet, um die Achtung der humanitären Normen und Grundsätze zu fördern, ist kein klassischer Vermittler, aber, wie Direktor Alain Délétroz in einem Interview mit SWI im Jahr 2020Externer Link sagte, können bewaffnete Gruppen manchmal bereit sein, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

«Wenn wir dieses Stadium erreichen, hat Geneva Call die Pflicht, demütig aus dem Weg zu gehen und diese Gruppen mit der offiziellen Diplomatie oder anderen Partnern wie dem HD Center in Kontakt zu bringen, das die Kapazitäten hat, eine Agenda für politische Verhandlungen aufzustellen.»

Auf die Frage nach einem Überblick über die Schweizer Konfliktmediatoren antwortet Mason, dass es darauf ankomme, ob man eine weite oder enge Definition zugrunde lege.

Wenn man die Mediationsunterstützung und die Friedensförderung mit einbezieht, gibt es auch eher forschungsorientierte Organisationen wie CSS und Swisspeace Externer Linkzu nennen.

CSS bietet unter anderem Schulungen für Mediatoren an, Swisspeace unterstützte zum Beispiel eine Friedensinitiative der syrischen Zivilgesellschaft in Genf.

Das Genfer Zentrum für SicherheitspolitikExterner Link (GCSP) bietet einen Raum für den Dialog über Fragen der Friedenskonsolidierung, während die Stiftung Peacenexus Externer Linkund das Cordoba Peace InstituteExterner Link die Friedensförderung in verschiedenen Teilen der Welt unterstützen. Die meisten dieser Organisationen haben ihren Sitz in Genf, CSS ist in Zürich und Swisspeace in Basel zu Hause.

Die Spezialisierungen und Schwerpunktbereiche unterscheiden sich. Govinda Clayton, ein leitender Forscher für Friedensprozesse, der ebenfalls beim CSS arbeitet, spricht gerne von einem «Ökosystem». 

Es gibt verschiedene Stufen der Mediation. Bei «Track One«-Prozessen treten die Spitzen der Konfliktparteien miteinander in Kontakt. Daran sind oft Regierungsbeamt:innen und Vertreter:innen zwischenstaatlicher Organisationen beteiligt, erklärt Govinda Clayton, ein leitender Forscher für Friedensprozesse beim CSS.

«Ein Beispiel wäre, wenn ein Beamter der Vereinigten Staaten oder der Vereinten Nationen einen Prozess zwischen den Führungen der Konfliktparteien leitet.» Der US-Botschafter Richard Holbrooke gilt beispielsweise als Vermittler des Dayton-Abkommens, das in den 1990er-Jahren den Bosnienkrieg beendete. Jimmy Carter vermittelte 1978 das Camp-David-Abkommen für den Frieden im Nahen Osten zwischen den Führern von Ägypten und Israel.

«Track Two» ist ein weniger formeller Prozess zwischen Mitgliedern von Konfliktgruppen, der darauf abzielt, offizielle Führungspersonen bei der Lösung oder Bewältigung von Konflikten zu unterstützen, indem mögliche Lösungen in einem weniger offiziellen oder öffentlichen Rahmen erkundet werden.

«Der Prozess  bezieht oft nicht die Konfliktparteien oder zumindest nicht deren Führungspersonal ein, sondern beispielsweise einflussreiche Wirtschaftsführer:innen, die Zivilgesellschaft, religiöses Personal und Akademiker:innen», so Clayton.

«Track Three» ist ein Prozess auf lokaler Ebene, der oft von Nichtregierungsorganisationen an der Basis geleitet wird. Interpeace ist ein gutes Beispiel für eine Schweizer NRO, die hauptsächlich auf dieser Ebene der Mediation tätig ist. Die aus der UNO hervorgegangene Organisation wurde vor etwa 20 Jahren unabhängig und arbeitet heute vor allem in Afrika und im Nahen Osten mit lokalen NGOs zusammen.

Track-One-Prozesse sind zwar wichtig, aber nur ein Teil des Ganzen, und viele Friedensabkommen scheitern, sagt Renée Larivière, Senior Director of Programmes bei Interpeace. «Wenn Menschen seit vielen Jahren zerstritten sind, sich gegenseitig bekämpfen, Gewalt und Traumata erlebt haben, haben wir festgestellt, dass die Unterzeichnung eines Friedensabkommens, ein Stück Papier, nicht unbedingt über Nacht Frieden bringt», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

So will sich Interpeace beispielsweise an den lokalen Kontext anpassen und «in einen langfristigen und begleitenden Prozess investieren, um herauszufinden, wie Gesellschaften oder Einzelpersonen dazu gebracht werden können, wieder zusammenzuleben», sagt Renée Larivière von Interpeace.

Sie nennt das Beispiel eines Programms in Kenia, wo Interpeace mit der Nationalen Kommission für Zusammenhalt und Integration zusammenarbeitet, um ein Waffenstillstandsabkommen im Mandera-Dreieck, das an Äthiopien und Somalia grenzt, zu monitoren. In dieser Region gibt es seit langem gewaltsame Konflikte zwischen Clans und verschiedenen Gemeinschaften.

Durch die Einrichtung lokaler Komitees zur Überwachung des Waffenstillstands und durch lokale Vermittler:innen habe der Frieden aufrechterhalten werden können und die Beziehungen zwischen den Clans hätten sich verbessert, sagt Larivière.

NGOs können auf die eine oder andere Weise in allen Phasen eines Friedensprozesses eine Rolle spielen. «Sie sind schnell und flexibel, haben aber oft nicht die nötige Durchsetzungskraft oder demokratische Legitimität, die für nachhaltige Vermittlungsbemühungen in schwierigen politischen Konflikten erforderlich sind», heisst es in einem von Mason mitverfassten Bericht von CSS Mapping MediatorsExterner Link aus dem Jahr 2011.

«Ihr Hauptvorteil scheint in der Vorverhandlungsphase oder bei der Unterstützung von Verhandlungen und deren Umsetzung zu liegen.»

Friedensvermittlung in der Ukraine

Meistbeachteter Konflikt derzeit ist der Krieg in der Ukraine, und es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass Moskau oder Kiew bereit sind, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Dennoch haben Vermittler:innen hinter den Kulissen bereits versucht, die humanitären Folgen zu mildern.

Die Türkei und Saudi-Arabien haben einen Gefangenenaustausch mit ausländischen Staatsangehörigen ermöglicht. Das HD Centre spielte Berichten zufolge eine Rolle beim Schwarzmeer-GetreideabkommenExterner Link, das Lieferungen ukrainischen Korns in bedürftige Länder, vor allem in Afrika, ermöglichte.

Clayton von CSS hat einen kürzlich erschienenen Bericht darüber mitverfasst, warum Konfliktparteien ihre Kämpfe aufgebenExterner Link. Er basiert auf einer Analyse von mehr als 2000 Waffenstillstandvereinbarungen in der ganzen Welt zwischen 1989 und 2020.

Der Schwerpunkt liegt auf innerstaatlichen Konflikten aus dieser Zeit, aber Clayton ist der Meinung, dass der Bericht auch Lehren für den Krieg zwischen der Ukraine und Russland enthalten könnte.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung ist seiner Meinung nach, dass Waffenstillstände von Natur aus politische Vereinbarungen sind. Das bedeutet, dass Vereinbarungen zur Beendigung von Gewalt von Fortschritten bei den Verhandlungen über die wichtigsten Fragen abhängen.

Auch liess sich feststellen, dass es in den Fällen, in denen sich die Parteien nicht in der Anfangsphase eines Konflikts auf einen Waffenstillstand einigen konnten, oft Jahre dauerte, bis eine Vereinbarung zustande kam.

In der Ukraine gab es bereits vor dem Ausbruch des Krieges am 24. Februar dieses Jahres ein Netzwerk ausgebildeter lokaler Mediatoren, die sich speziell um die Integration von – auch russischsprachigen – Binnenvertriebenen in die Gemeinden bemühten, wie Larivière von Interpeace erzählt.

«Die Arbeit, die sie vor Ort leisten, ist von entscheidender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt und die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften», sagt Larivière.

«Wir haben oft erlebt, dass es nach dem Ende des Krieges zu einem Wiederaufflammen kommt, wenn es vor Ort kein Netzwerk von Menschen gibt, die bei der Vermittlung helfen können.»

Obwohl ein Ende des Krieges in der Ukraine noch in weiter Ferne scheint, laufen hinter den Kulissen bereits Bemühungen, dem Frieden den Boden zu bereiten.

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