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IOC scheitert an inneren Widersprüchen

Fünf Männer in Anzügen geben sich die Hand und schauen in die Kamera.
Handschlag über den Sport hinaus? IOC-Präsident Bach mit Vertretern Südkoreas und dem nordkoreanischen Sportminister (2.v.l.) in Lausanne. Keystone

Auch auf Vermittlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ziehen in Pyeongchang nord- und südkoreanische Sportler gemeinsam ins Stadion. Das IOC mit Sitz in der Schweiz als Mediator in politischen Konflikten? Diese Frage gibt hierzulande vor Olympischen Spielen immer wieder zu reden.

«Die Olympischen Spiele zeigen uns, wie die Welt aussehen könnte, wenn wir uns alle vom olympischen Geist des Respekts und der Verständigung leiten liessen», sagte IOC-Präsident Thomas Bach vor knapp drei Wochen in Lausanne. Hier hatten sich die Delegationen der beiden verfeindeten Staaten zuvor darauf geeinigt, dass Sportler aus dem Norden bei den Winterspielen im Süden antreten werden.

Berset in Pyeongchang

Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset weilt zurzeit in Südkorea. Nach bilateralen Gesprächen mit dem Präsidenten Moon Jae-in wird er an der Eröffnungsfeier teilnehmen. Geplant sind zudem bilaterale Gespräche mit anderen anwesenden Staats- und Regierungschefs sowie Vertretern von internationalen Organisationen.

Ganz im Sinne der Olympischen ChartaExterner Link also, wonach die Spiele Athleten über alle Grenzen hinweg an einem Ort zusammenführen sollen «für eine friedlichere und bessere Welt». Allerdings widerspricht diese Idee sowohl den Spielen als Wettkampf der Nationen als auch realpolitischen Gegebenheiten.

Sportliche Schmerzgrenze überschritten

Ersteres musste der südkoreanische Präsident Moon Jae-in am eigenen Leibe erfahren: Seine Popularität sank nach der historischen Ankündigung, dass in Pyeongchang auch ein gemeinsames koreanisches Frauen-Eishockeyteam antreten werde. Ausgerechnet unter denen, die Moon im Mai 2017 auch wegen seines Versprechens gewählt hatten, die Beziehungen zum Norden zu verbessern, stiess die Aussicht auf schlechtere Medaillenchancen auf wenig Begeisterung.

«Die Grenzen solcher Aktionen werden hier bereits sichtbar», sagt Korea-Kenner Samuel Guex vom Departement für ostasiatische Studien an der Universität in Genf. «In unseren Augen mag eine solche gemischte Mannschaft toll sein. Doch für viele Südkoreaner ist das sportliche Opfer in diesem Fall zu gross.»

Einmarsch von Athleten vor grossem Publikum in ein Stadion.
Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Tokyo, 1964: West- und Ostdeutschland marschieren unter gemeinsamer Flagge ins Stadion. AP

Amerikaner im Süden, Atomprogramm im Norden

Auch die realpolitischen Umstände stehen im Widerspruch zum olympischen Ideal: So dürfte die Hoffnung Bachs, «dass die Olympischen Winterspiele den Weg in eine bessere Zukunft für die koreanische Halbinsel öffnen» spätestens dann platzen, wenn die Vertreter des geteilten Landes am Verhandlungstisch auf das Atomprogramm des Nordens und die amerikanische Militärpräsenz im Süden zu sprechen kommen.

Um wirkliche Fortschritte zu erreichen, müssen nach den Spielen also auch die heissen Eisen angefasst werden. «Und da können Olympische Spiele und das IOC nicht viel ausrichten», sagt Guex. Er rechnet «im besten Fall» damit, dass es mittelfristig zu einer Wiederaufnahme der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen dem Norden und dem Süden kommt.

Dass scheinbar geglückte Vermittlungsversuche spätestens mit den letzten Lichtern der Abschlussfeier der Olympischen Spiele ebenfalls erlöschen, musste das IOC schon oftmals in seiner 122-jährigen Geschichte erfahren. «Sport hat noch nie einen politischen Konflikt gelöst», sagt Grégory Quin. Der Sporthistoriker lehrt und forscht an der Universität in Lausanne. Olympische Spiele seien für verfeindete Staaten aber eine Möglichkeit, sich am Rande der Spiele zu treffen, ohne dass dies innenpolitisch viel Lärm verursache.

Schwarz-weiss-Aufnahme eines Sportstadions.
1936 verfügt Berlin über eine ausgezeichnete Infrastruktur und bietet sich als idealer Austragungsort für die Spiele an. Die ideologische Ansichten der Hitler-Regierung sind für das IOC zweitrangig. Comitè International Olympique (CIO)

«Das IOC ist ein Opportunist»

«Der Sport ist in diplomatischer Hinsicht sehr flexibel, und das will sich das IOC zunutze machen», sagt Quin. Anfangs der 2000er-Jahre begannen das IOC und die UNO ihre Beziehungen zu intensivieren (siehe Kasten). Einerseits wolle sich das IOC so als Friedensförderer durch Sport positionieren, so Quin. Andererseits stecke aber auch die Absicht dahinter, als diplomatische Akteurin auf zwischenstaatlicher Ebene aktiv zu werden.

Diese Institutionalisierung als «Sportdiplomat» hindert das IOC allerdings nicht daran, immer wieder zu betonen, Sport habe nichts mit Politik zu tun. «Dabei macht das IOC den ganzen Tag nichts anderes als Politik», so Quin. Diese «Sandwich-Position» sei gewollt. Gebe es wie im Fall von Nord- und Südkorea einen Erfolg zu verkünden, betone das IOC gerne seine Vermittlerrolle. Zeige sich nach Pyeongchang, dass die Annäherung nicht über die Spiele hinausgehe, könne das IOC daran erinnern, dass die Politik nicht sein Aufgabenbereich sei. «Das IOC handelt oft opportunistisch», sagt der Sporthistoriker.

Das Bild der nord- und südkoreanischen Athleten, die morgen Freitag an der Eröffnungsfeier von Pyeongchang unter gemeinsamer Flagge ins Stadion einmarschieren, wird über die anwesenden Zuschauer hinaus in die ganze Welt übertragen und Millionen Menschen erreichen. Das ist unbestritten. Und vielleicht mag die symbolische Tragweite dieses Moments politische oder gar sportliche Gegensätze für einen Moment in den Hintergrund zu rücken.

Eine vermummte Person steht auf einem Balkon.
Ein geopolitischer Konflikt erreicht das Olympische Dorf im Sommer 1972 in München: Palästinenser verüben einen Anschlag auf die israelische Mannschaft mit tödlichem Ausgang. Keystone

Notiz: Das IOC hat nicht auf die Fragen von swissinfo.ch zu seiner Rolle als Vermittlerin in politischen Konflikten geantwortet.

Die UNO und das IOC

Seit anfangs der 2000er-Jahre werden die Beziehungen zwischen dem IOC und der UNO immer enger. 2001 gründet der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan das UNO-Büro für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden (UNOSDP) mit Sitz in Genf. Er ernennt den Schweizer Alt-Bundesrat Adolf Ogi zum ersten UNO-Sonderbotschafter für Sport, Entwicklung und Friedensförderung.

2009 erhält das IOC den UNO-Beobachterstatus. Im selben Jahr organisieren die UNO und das IOC in Lausanne gemeinsam das erste internationale Forum für Sport, Frieden und Entwicklung.

2014 einigen sich die UNO und das IOC auf eine Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit. «Sport kann dabei helfen, kulturelle, religiöse, ethnische und soziale Barrieren zu überwinden», sagt der damalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon.

2017 beschliesst UNO-Generalsekretär António Guterres das UNOSDP zu schliessen und stattdessen eine «direkte Partnerschaft» mit dem IOC einzugehen.

Quellen: UNOSDPExterner Link und IOCExterner Link

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