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Für eine bessere Welt – und parteipolitische Ziele

Aktivisten bringen die Schachteln mit den Unterschriften für die Volksinitiative "1 :12" zum Bundeshaus in Bern. Keystone

Am 15. Februar wird eine Initiative zur Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer eingereicht. Es ist der jüngste einer Serie von Vorstössen, mit denen die politische Linke und die Zivilgesellschaft den wachsenden Graben zwischen Arm und Reich eindämmen wollen.

Im Verlauf der nächsten Monate werden mindestens fünf ähnlich gelagerte Initiativen für Schlagzeilen sorgen. Ein politischer Trend oder einfach eine zufällige Häufung auf der politischen Agenda?

Zwei Wochen nach dem Einreichen der Unterschriften für die Initiative durch Gewerkschaften und Mitte-Links-Parteien (Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, SP Schweiz, Die Grünen, Evangelische Volkspartei EVP), die fordert, dass Erbschaften von Anlagen und Vermögen im Wert von über zwei Millionen Franken besteuert werden, kommt eine Initiative an die Urne, mit der die Löhne von Topverdienern in der Wirtschaft eingedämmt werden sollen.

Das Stimmvolk wird am 3. März über diese äusserst umstrittene Initiative (Abzocker-Initiative) des Geschäftsmanns Thomas Minder abstimmen, der sich selbst als Kämpfer gegen das Wirtschafts-Establishment sieht.

Ein weiterer hängiger Vorstoss ist die von den Jungsozialisten (Juso) lancierte 1:12-Initiative. Diese fordert, dass der höchste Lohn in einem Unternehmen maximal zwölfmal höher sein darf als der tiefste.

Daneben stehen zwei weitere Initiativen im Raum: Eine will die Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer in der Schweiz abschaffen, die als ungerechtes Steuerprivileg betrachtet wird, die andere zielt auf die Einführung eines nationalen Mindestlohnes ab.

Die Termine für die Abstimmungen über die Initiativen werden festgelegt, wenn Regierung und Parlament darüber beraten haben.

Im vergangenen Jahr wurde eine Rekordzahl an Initiativen eingereicht. Für 13 Vorschläge konnten die notwendigen Unterschriften gesammelt werden, die es braucht, damit eine Initiative dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden kann.

Das waren mehr als zweimal so viele Initiativen wie im Durchschnitt der letzten zwanzig Jahre.

2012 war aber auch ein Rekordjahr, was Initiativen angeht, die scheiterten, weil die notwendigen 100’000 Unterschriften im Verlauf der vorgeschriebenen 18 Monate nicht zusammenkamen.

Im Moment laufen Kampagnen für mindestens 16 weitere Initiativen.

In der Geschichte der Schweiz wurden seit 1892 insgesamt 412 Volksinitiativen lanciert, 182 davon wurden dem Volk bis Februar 2013 zur Abstimmung unterbreitet. Nur gerade 19 davon kamen auf eine Mehrheit der Stimmen, wie aus Zahlen der Bundeskanzlei hervorgeht.

Soziale Spannungen

Ueli Mäder, Professor für Soziologie an der Universität Basel, ist überzeugt, dass die Ballung dieser ähnlichen politischen Vorstösse kein Zufall ist.

«Sie dokumentiert, wie sich soziale Ungleichheiten verschärfen. Zum Beispiel bei den Vermögen und den verfügbaren Einkommen», sagt Mäder.

Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern niedrig sei – zur Zeit nur etwas über drei Prozent – erklärt Mäder, «die wirtschaftlichen Einbrüche verunsichern jedenfalls viele Menschen».

Die Arbeitslosigkeit war auch die grösste Angst der Schweizer und Schweizerinnen im Sorgenbarometer der Credit Suisse von Dezember 2012. Das Sorgenbarometer der CS ist eine regelmässige Befragung von 1000 Stimmberechtigten, durchgeführt durch das Forschungsinstitut gfs.bern.

Laut Mäder lassen die wirtschaftlichen Einbrüche auch auf ein «Umdenken hoffen, dass sich weithin als Illusion erweist. Das frustriert.»

Viele sozial Benachteiligte seien wütend über die hohen Managerlöhne. Das könne dazu führen, sich mehr für eigene Interessen einzusetzen, könne aber auch zu problematischen sozialen Spannungen führen. «Die Wut erhöht auch die Anfälligkeit für populistische Haltungen. Da besteht wohl eine grosse Gefahr.»

Weiter erklärt Mäder, dass einzelne Wohlhabende die sozialen Spannungen durchaus ernst nähmen. «Sie fürchten sogar, dass der Arbeitsfriede und der gesellschaftliche Zusammenhalt aufbrechen könnten.»

Hohe Gehälter hätten zudem oft wenig mit Leistung zu tun, sagt der Soziologe. «Das demotiviert gerade Jugendliche. Vor allem, wenn sie sehen, wie einzelne Privilegierte ohne grosse Anstrengungen wichtige Positionen erlangen.»

Ökonomische Gerechtigkeit habe für ihn viel mit sozialem Ausgleich zu tun. «Einer Gesellschaft geht es gut, wenn es möglichst allen gut geht», unterstreicht Mäder.

Die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Volkseinkommen» ist wohl eine der ungewöhnlicheren Initiativen der letzten Jahre, für die Aktivsten zurzeit in der Öffentlichkeit Unterstützung suchen.

Ein konfessionell und parteipolitisch unabhängiges Komitee will mit der Initiative eine Abstimmung für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 2500 Franken für die Schweizer Bevölkerung erreichen: «Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen», heisst es im Initiativ-Text.

Das Anliegen wird von vielen als utopisch zurückgewiesen. Es wird nicht damit gerechnet, dass es an der Urne eine Mehrheit der Stimmen erhalten wird.

Nach Ablauf der Hälfte der 18 Monate, in denen die notwendigen 100’000 Unterschriften gesammelt sein müssen, damit die Initiative eingereicht werden kann, erklärte das Komitee Ende Januar 2013, bisher seien 70’000 Unterschriften zusammen gekommen.

Das Thema Einführung eines Grundeinkommens war schon früher verschiedentlich aufgegriffen worden. Erst 2011 war eine Volksinitiative gescheitert, weil nicht genügend Unterschriften zusammen gekommen waren.

Gegenreaktion

Für Georg Lutz, Politologe an der Universität Lausanne, sind die Initiativen nicht nur eine logische Gegenreaktion auf die Jahre des Neo-Liberalismus und des wachsenden sozialen Gefälles. Er sieht auch bekannte politische Mechanismen am Werk.

«Mit den Initiativen wird versucht, Gegensteuer zu geben, um die Kluft zwischen oben und unten zu vermindern. Es ist aber auch der Versuch der politischen Linken, Kapital aus dem Unmut in der Bevölkerung zu schlagen», erklärt Lutz.

Da der Vorstoss zur Einschränkung der Managerlöhne über eine Stärkung der Rechte der Aktionäre von ausserhalb des traditionellen linken politischen Spektrums lanciert wurde, ist er nicht nur der ungewöhnlichste Vorschlag, sondern hat nach Ansicht von Lutz gute Chancen, vom Stimmvolk angenommen zu werden.

Eine im Auftrag der SRG SSR durchgeführte Umfrage des Instituts gfs.bern ergab jüngst eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die so genannte Abzocker-Initiative.

Was die Mehrheit der Volksinitiativen angeht, die an der Urne scheitern, unterstreicht Lutz zwei scheinbar komplementäre Elemente.

«Initiativen haben verschiedene Motive. Sie lancieren eine öffentliche Debatte über ein Thema, und gleichzeitig rücken sie die Aktivität einer Gruppe ins Licht.»

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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