Wie soll die Schweiz mit Islamisten umgehen?
Darf man Muslime, die den Handschlag verweigern oder andere Schweizer Höflichkeitsformen aus religiösen Gründen missachten, entlassen oder von der Schule weisen? Ein Buch wirft heikle Fragen auf.
Autorin Saïda Keller-Messahli wirft den Schweizer Behörden Naivität und Ignoranz im Umgang mit Islamisten vor. In ihrem Buch «Islamistische Drehscheibe Schweiz» schildert sie, wie Schweizer Moscheen vom Ausland finanziert und von Extremisten unterwandert werden.
Sie fordert eine Politik der Nulltoleranz. Ihre Vorschläge gehen weit. Nicht alle lassen sich umsetzen, ohne den Rechtsstaat in Frage zu stellen, wie eine Analyse zeigt. Rechtsprofessorin Astrid EpineyExterner Link, die in Freiburg Europarecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht lehrt, zeigt Grenzen auf.
Es braucht eine ernsthafte und nachhaltige Integration der muslimischen Bevölkerung.
Rechtslage: Integration ein sehr weiter Begriff. Zwischen Integration und Religionsfreiheit besteht zudem ein Spannungsverhältnis – je nachdem, was man darunter versteht. Wenn Integration etwa heissen würde, dass Muslime zum Christentum konvertieren, Alkohol trinken oder Rösti mit Schweinespeck essen müssten, dann würde dies gegen die Religionsfreiheit verstossen.
Fazit:Bis zu einem gewissen Grad möglich
Der Rechtsstaat soll eine klare rote Linie ziehen, die den islamistischen Gruppierungen unmissverständlich aufzeigt, an welche Werte und Regeln sie sich in unserer Gesellschaft zu halten haben – sonst müssen sie mit drakonischen Strafen rechnen.
Rechtslage: Zunächst ist klar: «Wer sich in der Schweiz niederlässt oder aufhält, muss die Rechtsordnung einhalten», sagt Epiney. Keller-Messahli fordert aber nicht nur die Einhaltung von Rechtsregeln, sondern auch von «Werten». Kann der Rechtsstaat die Einhaltung von Werten verlangen und durchsetzen? Epiney verneint: «In einem Rechtsstaat können Strafen nur bei einer genauen Umschreibung der Voraussetzungen verhängt werden, und Verpflichtungen Einzelner müssen genau umschrieben werden. An die Nichtbeachtung von ‹Werten› können keine Rechtsfolgen geknüpft werden.»
Fazit: Schwierig bis unmöglich
Zu Gewalt aufrufende, den Terrorismus verherrlichende ausländische Imame sind unverzüglich auszuweisen und mit einem Einreiseverbot zu belegen.
Rechtslage: Das Recht sieht diese Möglichkeiten bereits heute vor. Das Problem liegt laut Epiney eher im Vollzug: «Wenn die Behörden zum Beispiel nicht wissen oder merken, dass ein Imam zu Gewalt aufruft, dann können auch keine Sanktionen verhängt werden.»
Fazit: Möglich
Wer sich den Schweizer Gepflogenheiten, etwa den üblichen Umgangsformen, verweigert, muss spürbar bestraft werden – bis hin zur Drohung, die Arbeitsstelle zu verlieren und die Kinder definitiv von der Schule nehmen zu müssen. Ausländern muss im äussersten Fall auch die Niederlassungsbewilligung aberkannt werden.
Rechtslage: Dass das Nichteinhalten von gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu Strafen führen soll, ist ähnlich unrealistisch wie das Nichteinhalten von «Werten» (siehe oben). Laut Epiney muss man hier auch zwischen Staat und Privaten unterscheiden. Ein privater Arbeitgeber habe mehr Spielraum als der Staat. Der Staat brauche hingegen eine gesetzliche Grundlage und ein öffentliches Interesse, um eine «Gepflogenheit» einfordern zu können. Beim Schwimmunterricht ist das beispielsweise gegeben: Laut BundesgerichtExterner Link müssen auch muslimische Schülerinnen am Schwimmunterricht teilnehmen, weil das öffentliche Interesse an der Integration es erlaube, die Glaubensfreiheit einzuschränken.
Fazit: Teilweise möglich
Potenziell staatsgefährdende Organisationen und Verbände wie der Islamische Zentralrat Schweiz sollen entweder ganz verboten oder zumindest durch Verbindungsleute des Nachrichtendienstes per gesetzliche Verordnung kontrolliert werden.
Rechtslage: Der Islamische Zentralrat Schweiz steht bereits unter Beobachtung des Schweizer Nachrichtendienstes. Verboten ist der Verein aber noch nicht, ebenso wenig die Koranverteilaktion «Lies!», die in Deutschland 2016 verboten wurde. Anders als Deutschland ist die Schweiz seit jeher sehr zurückhaltend im Verbieten von Organisationen. Mit dem seit Anfang Monat in Kraft getretenen Nachrichtendienstgesetz kann der Bundesrat eine Organisation oder Gruppierung verbieten, wenn diese terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert und damit die Sicherheit bedroht. Die Schweiz verbietet es sich aber, eine Organisation selbst so einzustufen. Sie geht nur gegen Organisationen vor, die von der UNO oder der OSZE als terroristisch oder gewalttätig-extremistisch gelistet werden. Ein parlamentarischer VorstossExterner Link, der eine solche Überprüfung des Islamischen Zentralrats und «Lies!» durch UNO und OSZE fordert, ist zurzeit hängig. Zudem will der BundesratExterner Link diese Hürde im Nachrichtendienstgesetz sowieso schnell ändern lassen, um Organisationen leichter verbieten zu können.
Fazit: Könnte möglich werden
Das Buch «Islamistische Drehscheibe Schweiz»
In ihrem neuen Buch stellt Saïda Keller-Messahli die These auf, die Schweizer Behörden seien naiv im Umgang mit Islamisten. Salafistische Wanderprediger und radikale Imame versuchten in Moscheen, mittels «Lies!»-Ständen und sogenannter Seelsorge in Gefängnissen, Flüchtlingsunterkünften und an Schulen Einfluss zu nehmen. Nur eine konsequente Politik der Nulltoleranz könne dem Treiben der Islamisten Einhalt gebieten.
Das Buch von Saïda Keller-Messahli mit dem vollständigen Titel «Islamistische Drehscheibe Schweiz. Ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen» ist im Verlag NZZ Libro erschienen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch