Gefährdet Agrarschutz Arbeitsplätze der Industrie?
Der Lebensmittelindustrie steht eine weitere Restrukturierungsphase bevor. Nicht nur der harte Franken, sondern auch die zögernde Haltung der Politik gegenüber einem Agrarfreihandel hemmen die Exporte. Betroffen sind vor allem KMU.
Die Schweizer Lebensmittelproduzenten erzielen einen Umsatz von rund 30 Milliarden Franken pro Jahr. Einen beachtlichen Teil davon steuern Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) bei. Die Branche kämpft derzeit mit Rahmenbedingungen, die ihre Exporte hemmen.
Sorgen bereiten den Schweizer Lebensmittel-Industriellen nicht nur die starke Landeswährung, sondern auch die zögernde Haltung der Politik zugunsten eines Agrarfreihandels. Aber auch strukturelle Veränderungen auf dem Weltmarkt und die zunehmende Macht der sogenannten «Global Brands» setzen ihnen zu.
Mehr Freihandel, weniger Protektionismus
Deutlich wurde dies an einem Anlass des staatlichen Exportförderers Osec. Branchen-Exponenten machten dabei deutlich, wo der Schuh drückt. Für Unternehmen, die mit inländischen Rohstoffen arbeiten, sprach Remo Manz, Leiter Marketing und Verkauf der Bischofszell Nahrungsmittel AG.
Das der Migros gehörende Unternehmen stellt Eigenmarken auch für Dritte her, vor allem mit Kartoffeln, Getränken, Fertiggerichten und Früchten. Die Bischofszell AG beschäftigt rund 600 Mitarbeitende, setzt 600 Mio. Franken um. 30% des Umsatzes erzielt das Unternehmen im Ausland.
Manz macht sich Sorgen um die Exportfähigkeit seines Unternehmens, nicht nur wegen des hohen Frankenkurses, sondern auch wegen der zögerlichen Agrarpolitik im Inland als auch wegen der zunehmenden Risiken auf den Rohwaren-, sprich Beschaffungsmärkten im Ausland.
Die Politik im Inland kritisiert er, weil sie die Lebensmittelproduktion vor allem mit den Augen der mächtigen Bauernlobby sehe. Auf der einen Seite sei es erlaubt, beispielsweise Kaffee und Kakao tonnenweise ohne protektionistische Auflagen zu importieren, hier zu veredeln und wieder auszuführen, weil dies den Schweizer Bauern nicht wehtue. Auf der andern Seite dürfe die Bischofszell AG keinen einzigen Apfel importieren, sondern müsse teure Inlandäpfel verarbeiten.
«Diese Politik hat dazu geführt, dass alle Apfelmus-Produzenten in der Schweiz ihre Herstellung eingestellt haben», so Manz. Ähnliche Situationen ergäben sich auch in anderen Bereichen, zum Beispiel beim teuren Inlandfleisch.
Vor lauter Bauernschutz setze man in der Schweiz deshalb die Zukunft der Lebensmittelindustrie als Branche – mit immerhin 30 Milliarden Franken Umsatz, und Arbeitsplätzen für 60’000 Mitarbeitende – aufs Spiel.
«Bestimmt ist der Schutz der Landwirte ein wichtiges Anliegen – ohne Bauern keine Nahrungsmittelindustrie», so Manz, «aber mit anderen Lösungsansätzen als den jetzt angewendeten.»
Manz befürchtet, dass dieses Zögern der Politik in Sachen Agrarfreihandel zu vermehrter Auslagerung der Lebensmittelproduktion und entsprechenden Arbeitsplatzverlusten führen werde.
Langfristig teurere Rohwaren
Ungemach droht der Lebensmittelindustrie laut Manz aber auch auf dem Weltmarkt für Rohwaren. Man müsse langfristig mit deutlich höheren Preisen rechnen, weil die Nachfrage der Biotreibstoff-Industrie für Getreide, Kartoffeln, Öle und Fette rasant wachse.
Ebenfalls preistreibend seien Monopolisierungstendenzen in vorgelagerten Bereichen, zum Beispiel beim Einkauf von Verpackungsmaterial, oder der Konzentration der Anbieter von Fruchtsäften.
Bewegte Nische für einen Klassiker
Die Bewegungen auf den Rohwarenmärkten können aber auch für Neuerungen sorgen. Wie kreativ die Lebensmittelindustrie darauf reagieren kann, wenn die Rohwaren knapp werden, zeigte Daniel Bloch, CEO des Familienunternehmens Camille Bloch. Blochs Klassiker, der «Ragusa»-Riegel, sei während des Zweiten Weltkriegs aus der Not entstanden. Weil der Kakao knapper wurde, ersetzte Camille Bloch einen Teil davon durch inländische Haselnüsse. Der Riegel mache heute 40% des Firmen-Umsatzes aus.
Bereits in den 50er-Jahren wurde «Ragusa» exportiert, so Bloch. Doch in den letzten Jahren begegnete dem Schweizer Riegel im Ausland die wachsende Konkurrenz der Global Brands (Mars, Snickers). Diese Global Players verfügen über ganze andere Vertriebs- und Produktionsmöglichkeiten als ein Familienunternehmen. Dennoch exportiere Camille Bloch heute in zwanzig Länder.Die Ausfuhren machen insgesamt einen Viertel des Gesamtumsatzes aus.
Schwellenländer als Chance
Am Food-Anlass der Osec wurden aber nicht nur die aktuellen Widrigkeiten beklagt, sondern auch vielversprechende Perspektiven aufgezeigt. Exportchancen sehen die Exponenten der Schweizer Lebensmittelbranche weniger in Europa oder Nordamerika, wo die Märkte weitgehend gesättigt seien, sondern vor allem in den Schwellenländern. Diese Emerging Markets seien nicht nur als Anbieter von Rohwaren für die Schweizer Hersteller oder als Konkurrenten auf den Exportmärkten anzugehen, sondern als potenziell schnell wachsende Nachfrager schlechthin.
Für die Schweizer Lebensmittelbranche hätten sie eine grosse Wachstumsbedeutung, sagt Olivier P. Müller, Leiter Aktienanalyse Konsumgüter bei Credit Suisse. «Dort ist ein hohes Wirtschaftswachstum im Gang, eine Mittelklasse kommt auf und die Urbanisierung nimmt zu, was die Nachfrage nach abgepackten Nahrungsmitteln fördert.»
Am besten positioniert seien jene Schweizer Lebensmittelhersteller, deren Produkte den Bedürfnissen dieser Länder am ehesten entsprächen.
Osec ist der offizielle, vom Bund mandatierte Aussenwirtschafts-Förderer der Schweiz, 1927 vom Parlament als Büro zur Förderung des Handels gegründet.
Er betreibt mit den heute 22 Swiss Business Hubs seit 2001 weltweit das Netzwerk «Business Network Switzerland», das auf kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) fokussiert.
Osec erhält seinen Auftrag vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das seine Arbeit auch überwacht.
Die Nahrungsmittelindustrie in der Schweiz ist trotz den grossen Namen wie Nestlé KMU-strukturiert.
Sie erreicht laut Osec-CEO Daniel Küng einen Jahresumsatz von rund 30 Mrd. Franken.
Käse und Schokolade gehören weiterhin zu den Klassikern, doch neue Kaffee-Produkte wie Nespresso oder Red Bull gehören zu den Exportartikeln, die unabhängig vom Preisdruck der inländischen Bauern produziert und deshalb besser ausgeführt werden können.
Die Lebensmittelbranche beschäftigt rund 60’000 Personen in der Schweiz, deren Arbeitsplätze nicht nur wegen dem harten Franken, sondern auch wegen der Bauernlobby durch Auslagerungen gefährdet seien.
Der Grenzschutz für Nahrungsmittel-Einfuhren zugunsten der heimischen Landwirtschaft sei in der Schweiz immer noch sehr hoch. Das verteuere der inländischen Lebensmittelindustrie die Herstellung bedeutend.
David Bosshart CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts, sprach am Osec-Anlass zu den kommenden Food Trends.
Der Konsument habe heute ein anderes Essverhalten und halte sich gegenüber früher viel mehr als sogenannten Transit-Stellen auf (Tankstellen, Läden mit längeren Öffnungszeiten, etc.).
«on the move», «on the run», der Konsument pendelt heute länger. Restaurants werden so zu «sozialen Hubs».
Es wird immer weniger am Tisch gegessen. In den USA werden bereits über 20% der Nahrungsmittel im Fahrzeug eingenommen.
Inder beginnen, dank guter Vermarktung Käse zu essen.
Die klassische TV-Werbung ist out – Facebook und Social Media sagen heute dem Produzenten, was Konsumenten essen wollen.
Wein ist das geeignetste Produkt für die aufstrebende Mittelschicht (in den Emerging Markets); Kaffee ist Lifestyle-Produkt Nr 1, Brot ist das industriellste Nahrungsmittel überhaupt , weil es in jeden neuen Trend integriert werden kann.
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