Gegen Lohndumping: «Dort ansetzen, wo es weh tut»
Strengere Ausweispflicht und Androhung von Bussen: Im Kampf gegen Scheinselbständige und Lohndumping will der Bundesrat die Baustellen-Kontrollen stärken. Gewerkschaften und Gewerbeverband sehen ihre Forderungen erfüllt, vermissen aber eine Wegweisungs-Befugnis.
Hier der zum Dumpinglohn arbeitende Plattenleger, der seine Selbständigkeit auch bei der Nachkontrolle nicht belegen kann. Dort der Baustellenkontrolleur, der dem Handwerker aus dem Ausland Scheinselbständigkeit erst dann nachweisen kann, wenn dieser seine Arbeit bereits beendet und anderswo schon den nächsten Auftrag angenommen hat.
Mit diesem Beispiel zeigt Albert Germann von der Gewerkschaft Unia auf, wie einfach Arbeitende aus dem Ausland die flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr unterlaufen können – als vorgetäuschte Ich-AG.
Zähne zu wenig scharf
Die Gesetzeslücken, die scheinselbständige Ausländer ausnützen können: Arbeitsrechtliche Standards haben für selbstständig Erwerbende weder Geltung, noch ist für sie irgendwo eine genaue Ausweispflicht festgeschrieben. Ganz zu schweigen von direkten Sanktionsmöglichkeiten durch die Arbeitskontrolleure.
Die Folge davon: Bei jedem fünften kontrollierten Selbständigen hegen die Kontrolleure Verdacht auf Scheinselbständigkeit, wie die aktuelle Statistik des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigt.
Dies soll sich bald ändern: Künftig werden die zugewanderten Selbständigen den Baustellen-Kontrolleuren ihren Sozialversicherungsausweis, eine schriftliche Auftragsbestätigung sowie die korrekte Anmeldung beim Kanton vorlegen müssen. Fehlen Dokumente, können die Mitglieder der paritätischen Kontrollkommissionen Bussen gegen die Betreffenden aussprechen.
Die Regierung hat das Departement von Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann beauftragt, bis Ende Jahr strengere Gesetze für Arbeitende aus dem Ausland vorzulegen.
Spiesse nicht gleich lang
«Mit den verschärften Massnahmen mit Fokus auf die Scheinselbständigen können die paritätischen Kontrollkommissionen ihren Auftrag besser ausführen, im Kampf gegen Lohndumping gleich lange Spiesse herzustellen», sagt Germann.
Im Kampf für schärfere Zähne bei den arbeitsrechtlichen Kontrollen der flankierenden Massnahmen zogen die Unia und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), die sonst das Heu nicht immer auf derselben Bühne haben, für einmal am selben Strick.
«Du hörst hier jetzt auf!»
Sowohl der Gewerkschafter Germann wie auch SGV-Vertreter Peter Baeriswyl möchten sogar noch einen Schritt weiter gehen, denn Bussen allein erachten sie als ungenügend.
«Kontrolleure müssen sofort intervenieren können, mit der Weisung ‹Jetzt stellst du die Arbeit auf der Baustelle ein!'». Dies hätte abschreckende Wirkung. «Mit den Massnahmen wollen wir dort ansetzen, wo es weh tut. Eine Einstellung der Arbeit birgt für die Bauherrschaft das Risiko, dass die Fertigstellung des Projekts verzögert wird», sagt Germann. Er bedauert, dass der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) diese Forderung nicht unterstützt.
Die Massnahme würde sich also nicht gegen einzelne Personen richten, sondern gegen Auftraggeber, die sich nicht korrekt verhalten. Laut Germann sind dies nicht nur ausländische Unternehmer, sondern oft auch Generalunternehmer oder Bauherren aus der Schweiz.
Bund skeptisch
Setzten sich Kontrolleure bei einer Wegweisung nicht dem erhöhten Risiko aus, dass die Situation auf der Baustelle eskalieren könnte, etwa, wenn sie von einer grösseren Gruppe von Arbeitern umringt würden? Germann glaubt nicht an solche Szenarien. «Die Kontrolleure verfügen über die nötige Sensibilität im Umgang mit Bauarbeitern», ist er überzeugt.
Ob auch die Wegweisungs-Kompetenz Eingang ins neue Gesetz findet, ist allerdings fraglich. «Eine Wegweisung wäre ein drastischer Eingriff. Eine solche Massnahme müsste auch mit dem Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU konform sein», sagt Serge Gaillard, Direktor der Sektion Arbeit im Seco.
Tatsächlich stellt sich Brüssel auf den Standpunkt, die verschärften Kontrollmechanismen der flankierenden Massnahmen stellten eine Verletzung des freien Personenverkehrs durch die Schweiz dar.
Österreicher nach Schweizer Vorbild
Die Gewerkschaft Unia wie der Gewerbeverband gehen ihrerseits davon aus, dass die Kontrollmechanismen Teil der flankierenden Massnahmen sind. «Personenfreizügigkeit bedeutet ja nicht unkontrollierte Grenzöffnung für Dienstleistungen», hält Albert Germann fest und weist darauf hin, dass andere EU-Länder wie Österreich auf den 1. Mai 2011 nach Schweizer Vorbild ähnliche Kontrollmechanismen eingeführt hätten.
In einem anderen Punkt der flankierenden Massnahmen hat Volkswirtschaftsminister Schneider-Amman dagegen Entgegenkommen signalisiert: So sollen auch Schweizer Arbeitgeber sanktioniert werden können, die sich nicht an Mindestlohnvereinbarungen in Normalarbeitsverträgen halten. Die bisherige Praxis zeigte nämlich, dass geprellte Arbeitnehmer davor zurück schrecken, gegen fehlbare Arbeitgeber vor Gericht zu ziehen.
In der Schweiz gelten arbeitsrechtliche Standards nicht für selbstständig Erwerbende.
Arbeitgeber aus dem Ausland, aber auch solche in der Schweiz, machen sich dies zunutze und lassen ausländische Mitarbeiter in der Schweiz als Ich-AG auftreten.
Kontrollen im Rahmen der flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr haben gezeigt, dass bei jedem fünften Selbstständigen der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit besteht.
Den falschen Selbständigen nützen dabei Lücken in der Gesetzgebung aus. Diese will der Bundesrat nun schliessen.
Die Zustimmung des Schweizer Volkes zum freien Personenverkehr aus den Jahren 2005 und 2009 scheint zu schwinden.
Heute wollen 65% der Schweizer die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte begrenzen, wie das jüngste Wahlbarometer der SRG/SSR zeigt.
Dies obwohl gut 60% angeben, dass Einwanderer aus der EU nötig seien, damit die Schweizer Wirtschaft wächst.
Die Schweizer Wirtschaft zeigt sich über diese Signale besorgt.
Mit der verstärkten Kontrolle der flankierenden Massnahmen wollen Bund und Wirtschaft die Zustimmung der Gewerkschaften zu kommende Abstimmungen über die Personenfreizügigkeit gewinnen.
Mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der Organisation Ecopop und den Schweizer Demokraten sammeln gleich drei Organisationen Untschriften für Initiativen zur Begrenzung der Zuwanderung.
Über eine Beschränkung der Zuwanderung wird das Volk schon bald abstimmen: Aktuell sammeln mit SVP, Ecopop und Schweizer Demokraten gleich drei Gruppierungen Stimmen für Initiativen, die weniger Immigration fordern.
Die Zuwanderungsdiskussion wurde durch eine Publikation zweier Ökonomen verstärkt. Sie gehen davon aus, dass die Schweiz 2030 zehn Mio. Einwohner zählen wird.
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