«Konsumenten werden Unternehmen, die sich falsch verhalten, direkt bestrafen»
Die Initiative "für verantwortungsvolle Unternehmen" ist zwar abgelehnt worden. Dennoch werden sich multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz an neue Regeln halten müssen, die nun mit dem Gegenvorschlag eingeführt werden. Eine Gelegenheit für mehr Einfluss der Konsumenten, sagt der Ökonom Emmanuel Fragnière.
Multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz werden hier nicht für Verletzungen von Umweltstandards und Menschenrechten im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden können: Die Konzernverantwortungs-Initiative wurde in der Eidgenössischen Abstimmung am letzten Sonntag abgelehnt. Die Vorlage wurde zwar mit einem Volksmehr von 50,7% der Stimmen angenommen, die Mehrheit der Kantone sagte aber «Nein».
Das bedeutet allerdings nicht, dass das Thema einfach vom Tisch ist. Nach Ablehnung der Initiative wird nun der vom Parlament erarbeitete indirekte GegenvorschlagExterner Link in Kraft treten.
Obwohl diese Regelung weniger verbindlich ist, erlegt sie den Unternehmen neue Verpflichtungen auf. Firmen mit mehr als 500 Vollzeitarbeitsplätzen oder einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Schweizer Franken werden in Zukunft jährlich über ihren Umgang mit Umwelt-, Sozial-, Personal-, Korruptions- und Menschenrechtsfragen berichten müssen. Diese Berichte müssen öffentlich zugänglich sein.
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Zudem muss jedes Unternehmen mit Sitz oder Hauptniederlassung in der Schweiz in der Lieferkette seiner Produkte die Sorgfaltspflicht walten lassen, unabhängig davon, ob es sich um Mineralien aus Konfliktzonen oder um Waren und Dienstleistungen handelt, bei denen der Verdacht auf Kinderarbeit besteht. Auch dazu muss ein Jahresbericht erstellt und veröffentlicht werden.
Die Befürworterinnen und Befürworter der «Initiative für verantwortungsvolle Unternehmen» sind der Ansicht, der Gegenvorschlag sei zu stark verwässert, da er keine neuen Verantwortlichkeiten für Schweizer Unternehmen im Ausland einführe. Emmanuel Fragnière, Ökonom und Professor für Risikomanagement an der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Valais-WallisExterner Link), sieht in dem Vorschlag jedoch ein «sehr intelligentes» Instrument.
swissinfo.ch: Sind viele Schweizer Unternehmen vom Gegenvorschlag betroffen, speziell mit Blick auf die Sorgfaltspflicht-Regelung beim Erzabbau in Konfliktgebieten und über Kinderarbeit?
Emmanuel Fragnière: Die Schweiz ist das weltweit bedeutendste Zentrum im Bereich Rohstoffhandel. Wir haben zwar kein Meer und keinen Hafen, verwalten aber die gesamte Logistik. Die am Sonntag abgelehnte Initiative hätte sich direkt auf diesen Handel ausgewirkt und ihn in grosse Schwierigkeiten gebracht. Der Gegenvorschlag betrifft diese Unternehmen durch die Einführung neuer Verpflichtungen aber auch.
Was fordert der Gegenvorschlag?
Die Initiative sah die Ausarbeitung eines Gesetzes und die Bestrafung von Unternehmen vor, die dagegen verstossen hätten. Der Gegenvorschlag, der von den Unternehmen verlangt, eine Sozial- und Umweltbilanz zu erstellen, scheint mir ein gutes alternatives Instrument zu sein.
Erinnern Sie sich an den Film «Blood Diamond», der den Diamantenhandel in Sierra Leone anprangerte? Er hatte eine enorme Auswirkung; so gross, dass diese wilden Minen geschlossen wurden. Nicht bekannt ist hingegen, dass dies auch menschliche Tragödien nach sich zog, denn selbst wenn die Menschen dort auf sehr gefährliche Weise unter erbärmlichen Bedingungen arbeiteten, hatten sie zumindest eine Einkommensquelle.
Ja, es gibt Kinder in Minen, ja, die Menschenrechte werden verletzt. Und das ist inakzeptabel. Aber wenn wir mit Gesetzen, Vorschriften und Strafen kommen, sind diejenigen, die am meisten darunter leiden, die Menschen, die dort ausgebeutet werden.
«Solange der Konsument, die Konsumentin nicht bereit ist, einen realen Preis zu zahlen, ist es eine Illusion, auf Primärmärkten wie dem Bergbau oder der Landwirtschaft angemessene Löhne anbieten zu können.»
Wie werden diese Sozial- und Umweltberichte, welche die Unternehmen erstellen müssen, einen Unterschied machen?
Sie werden als Katalysator wirken. Es sind zwar nur Berichte, aber sie sind wichtig, weil die Bevölkerung sie konsultieren und sich selber ein Bild davon machen kann, was ein Unternehmen tatsächlich unternimmt.
Ich sehe in meiner Forschung, dass es eine Bewusstseinsbildung bei den Konsumenten gibt, die Unternehmen zum Umdenken bringen können. Das ist wirklich ein grundlegendes soziologisches Phänomen, ein Unternehmen kann sich nicht mehr einfach auf «Greenwashing» verlassen.
Es ist das erste Mal in der Geschichte des Kapitalismus, dass wir einen solchen Wandel miterleben können. Man sieht es auch beim Ergebnis der Abstimmung für die Initiative.
In diesem Sinne halte ich den Gegenvorschlag für sehr intelligent: Da sich die Gesellschaft verändert, werden Unternehmen, die sich schlecht verhalten, von den Konsumentinnen und Konsumenten direkt bestraft werden.
Man muss aber auch darauf hinweisen, dass wir in der Schweiz diese «Bobo»-Seite [Bourgeois bohémien, N.d.R.] haben, die uns drängt, ein «Ja» in die Urne zu legen für die Menschenrechts-Initiative, während wir den «Black Friday» dazu nutzen, einen Laptop zum halben Preis zu ergattern.
Das Problem ist nicht Glencore, es ist der Konsument, die Konsumentin selbst. Solange diese nicht bereit sind, einen realen Preis zu zahlen, ist es eine Illusion, auf Primärmärkten wie dem Bergbau oder der Landwirtschaft angemessene Löhne anbieten zu können.
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Geht die Schweiz mit dem Gegenvorschlag weiter als geltende internationale Rechtsvorschriften?
Die Schweiz liegt vor anderen Ländern. Das Ergebnis der Abstimmung über die Initiative zeigt, dass die Verantwortung der Unternehmen eine Priorität der Bevölkerung ist. Wir können also den ganzen Weg gehen und uns in diesem Bereich als führende Kraft positionieren.
Ich finde es sehr interessant, dass die Schweiz – weil sie als «gute Demokratie» gilt – zu dem Land wird, in dem Debatten über soziale Innovationen geführt werden. Gemeinsam mit unseren internationalen Organisationen, NGOs und multinationalen Unternehmen bieten wir der Welt einen Diskussionsschwerpunkt zu diesen Themen.
«Ich hoffe, dass wir, wenn wir einst sechs Mal mehr Kupfer benötigen, erkennen werden, dass der Arbeiter, der sich bis zur Erschöpfung in einer Kupfermine abrackert, genauso wichtig ist wie jener, der iPhones entwickelt.»
Wie sehen Sie die Entwicklung der Unternehmensverantwortung auf globaler Ebene?
Ich denke, wir sollten unsere Bemühungen auf die Vereinten Nationen (UNO) konzentrieren, um die Unternehmen zu mehr Verantwortungsbewusstsein zu bringen. Wären die Regeln weltweit gut etabliert, wären die multinationalen Unternehmen die ersten, die Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ergreifen würden, weil sie dadurch viel mehr Profit machen könnten.
Solange es unterschiedliche nationale Regelungen, unterschiedliche souveräne Gesetze und Konsumenten gibt, die niedrigere Preise wollen, wird es auch Kinderarbeit in den Minen geben.
Mit der Digitalisierung und der Entwicklung der Elektronik werden wir mehr und mehr seltene Erden und Kupfer benötigen. Der Druck auf die Bergbauaktivitäten wird sich verstärken, und es wird wahrscheinlich möglich sein, Arbeitsabläufe besser zu standardisieren.
Aber die Frage bleibt die gleiche: Wie können wir sicherstellen, dass die Menschen am untersten Ende der Produktionskette anständig leben können, auch wenn die Produktionskette sehr lang ist?
Es erinnert mich an einen Streik von Elektrikern vor 40 Jahren in einem Spital, weil sie sich im Vergleich zu den Ärzten als zu gering geschätzt fühlten. Dabei würde ohne Elektrizität fast nichts mehr funktionieren.
Ich hoffe, dass wir, wenn wir einst sechs Mal mehr Kupfer benötigen, erkennen werden, dass der Arbeiter, der sich bis zur Erschöpfung in einer Kupfermine abrackert, genauso wichtig ist wie jener, der iPhones entwickelt. Die Rohstoffe müssen unbedingt neu bewertet werden.
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Konzernverantwortung: Schweizer Vorschlag im internationalen Vergleich
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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