Umstrittene Kooperationen zwischen Schweizer und brasilianischen Staatsanwälten
2014 starteten brasilianische Ermittler die Operation Lava Jato ("Car Wash"). Ziel war der Kampf gegen die Korruption in den höchsten Spitzen von Politik und Wirtschaft. Im Februar schloss die Task Force ihre Arbeit ab. Doch aufgrund neuer Enthüllungen stehen nun die Ermittler selbst auf dem Prüfstand. Diesmal geht es nicht um Schmiergeldzahlungen in Milliardenhöhe an politische Gruppen, sondern um die Ermittler und Richter, die in die Operation involviert waren. Die Kooperation mit den Schweizer Behörden wirft Fragen auf.
In den vergangenen sechs Jahren war die Schweiz eine wichtige Akteurin in Brasiliens grösstem Anti-Korruptionsdrama, der Operation «Car Wash» oder «Autowasch-Affäre». Diese förderte die zwielichtigen Geschäfte einiger der grössten Unternehmen und politischen Parteien des Landes ans Licht.
Als Teil der Vereinbarung, Brasilien Rechtshilfe zu leisten, fror die Schweizerische Bundesanwaltschaft mehr als tausend Konten auf 40 verschiedenen Schweizer Banken ein. Der Gesamtbetrag der blockierten Gelder belief sich auf über 1,1 Milliarden Dollar (970 Millionen Franken). Insgesamt wurden von den Brasilianern 210 offizielle Ersuchen um Zusammenarbeit bei der Ermittlung von Verdächtigen gestellt.
Ohne die Schweiz wären viele Fälle in Brasilien wahrscheinlich nie zur Anklage gebracht worden. Insgesamt gab die Schweiz Brasilien Gelder in der Höhe von 620 Millionen Schweizer Franken zurück, die auf Konten in Genf, Lugano und Zürich lagerten.
Jüngste Enthüllungen haben jedoch ein neues Licht darauf geworfen, wie Staatsanwälte Brasiliens und der Schweiz zusammenarbeiteten. Laut Dokumenten, die vom Obersten Gerichtshof in Brasilien veröffentlicht wurden, tauschten die Ermittler sensible Informationen über Bankkonten und Namen von Verdächtigen über die öffentliche Instant-Messaging-App Telegram aus und nicht über die offiziellen Kanäle.
Die neuen Enthüllungen werfen Fragen auf: Dürfen Ermittler aus verschiedenen Ländern legal Informationen auf informellem Weg austauschen? Haben sie gegen Kooperationsvereinbarungen verstossen? Haben sie die Rechtsstaatlichkeit untergraben?
Entscheidende Absprachen
Diese Geschichte begann 2019, als sich Hacker Zugang zu den Telefondaten der brasilianischen Staatsanwälte und vor allem zu Hunderten von Nachrichten verschafften, die über Telegram ausgetauscht worden waren. Als in jenem Jahr Einzelheiten darüber an die Medien gelangten, tauchten erste Beweise für Absprachen zwischen dem damaligen brasilianischen Richter Sergio Moro, der für die Verhandlung der Fälle zuständig war, und den Staatsanwälten auf, welche die Korruption untersuchten.
Als die Anti-Korruptions-Operationen 2014 begannen, erlangte Moro in Brasilien rasch den Status eines Nationalhelden. Denn das Land sehnte sich nach Veränderungen im politischen System und wollte der endemischen Korruption ein Ende setzen.
Eine seiner wichtigsten Entscheidungen war die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva wegen Korruption. Der Prozess wird immer noch von Rechtsexperten angefochten, weil er auf schwachen oder inexistenten Beweisen beruht habe.
Die durchgesickerten Chats, die 2019 erstmals in den brasilianischen Medien auftauchten, bestätigten diese Zweifel und lösten eine weltweite Verurteilung der Verhaftung Lulas aus.
«Wir waren schockiert zu sehen, wie die fundamentalen Regeln des brasilianischen Rechtsstaates ohne jede Scham verletzt wurden. In einem Land, in dem die Justiz für alle gleich ist, kann ein Richter nicht gleichzeitig Richter und Verfahrensbeteiligter sein», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung, die unter anderem von Susan Rose-Ackerman (Yale University School of Law), Herta Daubler-Gmelin (ehemalige deutsche Justizministerin) und Baltasar Garzón (spanischer Anwalt, bekannt durch den Pinochet-Prozess) unterzeichnet wurde.
Lula war de facto nicht in der Lage, 2018 am Rennen um die brasilianische Präsidentschaft teilzunehmen, das er angeführt hatte. Stattdessen war der Weg frei für die Wahl des Rechtsaussen-Kandidaten Jair Bolsonaro.
Einmal an der Macht, war es Bolsonaro selbst, der Moro zu seinem Justizminister ernannte. Und in dieser neuen Funktion hat der ehemalige Richter grünes Licht zu einer Polizeiaktion gegeben, bei der die Hacker verhaftet und ihr Material beschlagnahmt wurden. Die Hacker befinden sich immer noch im Gefängnis.
Leaks durch den Obersten Gerichtshof geklärt
Letzte Woche hat der Fall eine neue Wendung genommen: Brasiliens Oberster Gerichtshof ordnete an, dass Daten, die von der brasilianischen Bundespolizei beschlagnahmt wurden, dem Verteidigerteam von Lula zur Verfügung gestellt werden müssen.
In Brasilien hat der Fall den Obersten Gerichtshof des Landes erschüttert. Die Enthüllungen des Telegram-Verkehrs haben bei einigen Richtern Empörung hervorgerufen, insbesondere darüber, wie die Ermittlungen der Operation «Car Wash» zwischen den Richtern und Staatsanwälten gehandhabt und wie die Fälle konstruiert wurden.
Für Lulas Verteidiger enthüllen die gehackten Telegram-Chats «geheime Kanäle» der Zusammenarbeit zwischen den Brasilianern und Schweizern. Die brasilianischen Staatsanwälte behaupten, dass nichts ausserhalb der Rechtsstaatlichkeit erfolgt sei.
Eines der Argumente der Verteidigung des ehemaligen Präsidenten bezieht sich auf die Tatsache, dass die Schweizer und Brasilianer fernab der traditionellen Wege der internationalen Zusammenarbeit über ein Jahr lang informelle Chats nutzten, um Namen von Verdächtigen sowie Informationen über Bankkonten und Korruptionspläne auszutauschen.
Ständig kursierten Namen von Verdächtigen in den Chats
Am 23. März 2016 zum Beispiel schrieb der damalige Schweizer Staatsanwalt Stefan Lenz in der Telegram-Chatgruppe an seine brasilianischen Kollegen: «Einige Informationen über Alvaro Novis: er ist der Begünstigte eines Kontos der Siena Assets International Corp. ebenfalls bei der PKB Bank. Er ist ebenfalls stark in den Betrug verwickelt!» Ergänzt wird die Nachricht durch Tabellen mit Zahlungen von Odebrecht, einem der grössten Wirtschaftskonglomerate Brasiliens.
Am nächsten Tag ging der Austausch von Namen und Konten weiter. Lenz fragte: «Haben Sie irgendwelche Informationen über Jose Americo Vieira Spinola, er ist in das ODE [Odebrecht] Schema mit Erie International LLC, Konto bei der PKB Bank, verwickelt?» Lenz fragte auch nach Informationen über Antonio Claudio Albernaz Cordeiro (Tonico) und nannte auch dessen Konten und Banken.
Diese Kommunikationspraxis setzte sich über Monate hinweg fort und drehte sich auch um viele andere Verdächtige. Am 25. August 2016 erzählte Lenz der Chat-Gruppe von einem Bankenbericht, in dem ein gewisser Luiz Antonio Batagini erwähnt wurde. «Er ist in eure Ermittlungen involviert/interessiert ihr euch für ihn oder sein Bankkonto?»
Solches Verhalten war kein Einzelfall. Im Jahr 2017, nachdem Walter Mäder Lenz bei der Schweizerischen Bundesanwaltschaft abgelöst hatte, ging die Praxis weiter. Am 2. Februar desselben Jahres trat Mäder der Chatgruppe bei und stellte eine erste Anfrage. «Habt ihr etwas über Ronaldo Cezar Coelho [Banker und gewähltes Mitglied des brasilianischen Repräsentantenhauses]? Haben Sie einen Fall offen oder sind Sie interessiert? Ich habe einen Bericht über verdächtige Gelder (sic) erhalten. Da sind noch einige Millionen drin? Wenn Interesse besteht, kontaktieren Sie mich bitte und lassen Sie mich wissen, wer auf Ihrer Seite verantwortlich ist», fragte er.
In Brasilien war die Antwort klar: «Er hat eine Verbindung zu José Serra. Serra ist eigentlich ein brasilianischer Politiker. Es gibt einen Typen von ODE [Odebrecht], der sagt: Ronaldo erhält Bestechungsgelder und gibt [sie] an Serra», sagte der mit dem Fall betraute Staatsanwalt Diogo Castor de Mattos.
Als ehemaliger Gouverneur von São Paulo, ehemaliger Aussenminister, ehemaliger Gesundheitsminister, Senator und mehrfacher Präsidentschaftskandidat ist Serra seit dem Ende des Militärregimes in Brasilien im Jahr 1985 ein politisches Schwergewicht.
Druck während der Treffen
Die Nachrichten zwischen den brasilianischen und schweizerischen Staatsanwälten beschränkten sich aber nicht auf den Austausch von Namen oder persönlichen Angaben. In den Telegram-Austauschen war klar, dass die Daten dazu verwendet werden sollten, um Druck auf Verdächtige bei Treffen in Brasilien auszuüben.
Am 7. April 2016 stellte Staatsanwalt Deltan Dallagnol eine direkte Anfrage an Lenz: «Stefan, hast du eine Liste mit den Odebrecht-Filialen und den Offshore-Konten?» Keine 20 Minuten später bejahte der Schweizer die Frage. «Ja, eine, die wir von FM (Fernando Miggliaccio) beschlagnahmt haben».
Zwei Monate zuvor hatten die Schweizer Behörden in Genf Fernando Miggliaccio verhaftet, einen ehemaligen Mitarbeiter der Abteilung für strukturierte Operationen von Odebrecht. Der Mann war für die Organisation der Zahlung von Schmiergeldern verantwortlich.
Lenz erwähnte die Tatsache, dass ein Attaché der Schweizer Botschaft in Brasilia autorisiert war, die Daten an die Brasilianer weiterzugeben – aber nur für «nachrichtendienstliche Zwecke». Nach Angaben der Schweizer enthielten die Akten nicht nur Offshore-Firmen und andere Konten, sondern auch «alle Zahlungen, die von den Offshore-Firmen von ODE getätigt wurden».
Das Thema tauchte am 11. April wieder im Chat der Gruppe auf. Neben dem Attaché in der Botschaft bot Lenz den Kollegen noch eine andere Möglichkeit an, an die Daten zu gelangen.
«Wenn es für Sie für das morgige Treffen nützlich ist, kann ich Ihnen bis morgen früh Schweizer Zeit die Informationen über alle direkt und indirekt von ODE kontrollierten Aussenstellen geben, soweit FM (Fernando Miggliaccio) betroffen ist», schrieb er.
Ohne zu nennen, worum es bei dem Treffen gehen würde, antwortete einer der Staatsanwälte von «Car Wash», Orlando Martello, wie er die Daten verwenden würde, welche die Schweizer per Chat liefern würden.
«Die Informationen darüber, wie viele Offshore-Konten direkt oder indirekt mit der ODE verbunden sind, wären für das morgige Treffen hilfreich», schrieb er. «Ich werde ihnen nicht die Namen der Firmen geben, aber ich werde ihnen sagen, dass sie alle Transaktionen klären müssen, die von ihren Offshore-Konten (unter ihrer Kontrolle) getätigt wurden. Sie müssen zumindest jene Transaktionen sowie die wirtschaftlichen Eigentümer der Offshore-Konten, die mit ihnen verbunden sind, erklären. Ausserdem werde ich von ihnen die anderen Informationen [sic] verlangen, die Sie bereits angefordert haben», sagte er.
Wie versprochen schickte Lenz am nächsten Tag eine PDF-Datei an die Chatgruppe. «Hier ist die Liste», sagte er. «Die Namen in ‹managed by› sind nicht auf dem Originalblatt. Entweder hat FM uns das gesagt oder wir wissen es aus anderen Beweisen, die wir haben. Viel Glück bei den heutigen Treffen», wünschte der Schweizer.
Die Informationen über das Firmengeflecht wurden als grundlegend angesehen, um den Fall Odebrecht zu entschlüsseln. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen, die in «Car Wash» untersucht wurden, hatte Odebrecht ein ausgeklügeltes System geschaffen, um den Weg für die Zahlung von Bestechungsgeldern zu verschleiern.
Erst Namen, dann offizielle Daten
Die Chats zeigen auch, wie der Schweizer Generalstaatsanwalt dank «Car Wash» in den Besitz der Namen von Personen kam, die verdächtigt wurden, in Korruptionsfälle verwickelt zu sein. Sie wurden Monate später zum Ziel von Deals mit den brasilianischen Staatsanwälten. Die Liste enthielt Top-Führungskräfte von Odebrecht. Wie aus den Protokollen hervorgeht, baten die Vertreter der Schweizer Staatsanwaltschaft um Vertraulichkeit und schlugen vor, den Informationsaustausch geheim zu halten.
Die Mitglieder der Gruppe besprachen hauptsächlich die Bedingungen der Kronzeugenregelung, die Odebrecht im Dezember 2016 mit Staatsanwaltschaften Brasiliens und der Schweiz unterzeichnet hatte.
Am 19. September 2016 schrieb Staatsanwalt Orlando Martello an die anderen Mitglieder der ermittelnden Taskforce: «Leute, ich habe die Liste mit möglichen Namen für einen Vergleich an Stefan (in off) weitergegeben.» Gemeint war Stefan Lenz.
Martello erklärte den anderen Kollegen nicht, warum er den Begriff «in off» verwendete, als er sich auf die Zusammenarbeit mit der Schweiz bezog. Der brasilianische Staatsanwalt setzte seine Botschaft fort, indem er die Antwort, die er von Lenz erhielt, erläuterte und kopierte. Der Schweizer hatte sich beschwert, dass in der von «Car Wash» verschickten Liste einige Namen fehlten.
«OK Orlando. Es fehlen einige Personen auf der Liste», so Lenz. «Ich habe sie nicht alle überprüft. Aber ich habe die folgenden Namen im Kopf: [es folgen zehn vollständige Namen]. Irgendein Kommentar zu diesen Namen?», fragte der Schweizer.
Daraufhin erklärte Martello den anderen Staatsanwälten: «Ich habe noch nicht gefragt, aber sicherlich kennt er diese Leute, weil sie in seine Ermittlungen involviert sind.» Auf Lenz› Liste beziehen sich fast alle Namen auf hochrangige Odebrecht-Funktionäre.
Unterschiedliche Auslegungen des Gesetzes
Angesichts der Menge der ausgetauschten Informationen gibt es zwei unterschiedliche Bewertungen der Nachrichten. Die brasilianische Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass diese Praxis nicht als illegal taxiert werden sollte. Denn der Austausch von Geheimdienstinformationen sollte Teil des Kampfes gegen die internationale Korruption sein, die systematisch die nationalen Grenzen dazu benützen würde, um die Arbeit der Behörden zu behindern.
Die Verteidigung des Ex-Präsidenten Lula sieht die Situation anders und besteht darauf, dass eine solche Haltung gegen internationale Kooperationsabkommen verstosse. Zu diesem Schluss kommt auch der Experte für öffentliches Recht Rafael Valim, Jurist und Gastprofessor an der britischen Universität von Manchester.
«Es ist grundlegend, die Phänomene richtig zu benennen. Es gibt keine ‹informelle› internationale Zusammenarbeit, wie wir manchmal von Staatsanwälten und Journalisten hören. Internationale Zusammenarbeit ausserhalb legaler Verfahren ist illegal und muss dazu führen, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die die Illegalität begangen haben», sagte Valim.
«Die allgemeine und wahllose Suche nach Daten über bestimmte Personen am Rande der Gesetzeskonformität erinnert an einen Polizeistaat, der natürlich nicht mit den Garantien eines demokratischen Strafverfahrens vereinbar ist», sagte er.
Es ist nicht das erste Mal während der Odebrecht/Petrobas-Ermittlungen, dass die Methoden der Schweizerischen Bundesanwaltschaft in Frage gestellt werden. So entschied das Bundesstrafgericht 2015, dass die Schweizer Staatsanwälte Unregelmässigkeiten im Verfahren begingen, indem sie Dokumente und Kontoauszüge zu Odebrecht nach Brasilien schickten, ohne den in den Fall involvierten Verdächtigen die Möglichkeit zum Einspruch zu geben.
Das Urteil verlangte nicht, dass die Zusammenarbeit ausgesetzt wird, sondern forderte, dass der Prozess noch einmal überprüft und durchgeführt werden müsse. Erst dann dürfen laut dem Schweizer Urteil die Dokumente in Brasilien offiziell in einem Prozess, einer Untersuchung und einem Verfahren verwendet werden.
Nach erfolgter neuerlicher Prüfung des Verfahrens erhielt die Schweizer Staatsanwaltschaft die Genehmigung, die Daten offiziell nach Brasilien übersenden zu können. Dadurch aber erfuhren der Prozess in Brasilien und die Verwendung der Informationen eine mehrmonatige Verzögerung.
Das Auftauchen der Transkripte der Telegram-Chats wirft auch Fragen über den Grad der Beteiligung des damaligen Schweizer Generalstaatsanwalts Michael Lauber auf. Lauber war wegen der Verletzung von Verfahrensregeln in anderen hochkarätigen Fällen wie dem FIFA-Korruptionsskandal unter Beschuss geraten.
«Keine illegale Praxis»
Der ehemalige Staatsanwalt Stefan Lenz bestreitet die Illegalität der Methoden. In einer Stellungnahme gegenüber SWI swissinfo.ch sagte er: «Es gab keine illegale Praxis beim Austausch von Beweisen und Informationen zwischen mir und dem Lava-Jato-Team.»
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft ihrerseits erklärte, dass sie «ihre Strafverfahren im Einklang mit den rechtlichen Grundsätzen führt, welche die Grundlage für die Arbeit und die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden sind. (…) In Bezug auf die Fallserie Petrobras – Odebrecht geht die Zusammenarbeit zwischen den Behörden derzeit ununterbrochen weiter. Das BJ (Bundesamt für Justiz, die Red.) hat der Bundesanwaltschaft über 210 Rechtshilfeersuchen aus verschiedenen Ländern, insbesondere aus Brasilien, zur Erledigung übertragen. Die Bundesanwaltschaft hat bisher ca. zwei Drittel dieser Ersuchen erledigt. (Die Zahlen beziehen sich auf den Stand September 2020)»
Die Bundesanwaltschaft fügt in ihrer Erklärung hinzu, dass «eine gute Zusammenarbeit zwischen den Behörden, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, von entscheidender Bedeutung ist, wenn es um eine Reihe von Ermittlungen von einem solchem Ausmass geht. Zum Schluss: Die Bundesanwaltschaft führt in diesem Zusammenhang kein Strafverfahren durch.»
In der Schweiz dürfen Ermittler unaufgefordert Informationen an Behörden im Ausland übermitteln. Dies nennt man «spontane Rechtshilfe». Sie ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Informalität.
Der Passus im schweizerischen Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in StrafsachenExterner Link lautet wie folgt (Art. 67): «Eine Strafverfolgungsbehörde kann Beweismittel, die sie für ihre eigene Strafuntersuchung erhoben hat, unaufgefordert an eine ausländische Strafverfolgungsbehörde übermitteln, wenn diese Übermittlung aus ihrer Sicht geeignet ist: a. ein Strafverfahren einzuleiten; oder b. eine hängige Strafuntersuchung zu erleichtern.»
Das Bundesgesetz besagt auch folgendes: «Informationen, die den Geheimbereich betreffen, können übermittelt werden, wenn sie geeignet sind, dem ausländischen Staat zu ermöglichen, ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz zu stellen (Art. 67.5). Mit anderen Worten: Ausländische Ermittler können die von der Schweiz gelieferten Informationen dazu nutzen, um in Bern um eine Zusammenarbeit zu ersuchen.
Allerdings sind auch die Bedingungen klar formuliert: So ist über jede spontane, also unaufgeforderte Übermittlung ein Protokoll zu erstellen. Beim Austausch via Chats auf der Telegram-App gibt es von beiden Seiten keinen Hinweis auf eine formale Aufzeichnung der Kommunikation.
Es fehlt auch eine Erklärung, ob dieser Austausch genutzt werden kann, um Verdächtige in Brasilien unter Druck zu setzen, wie dies aus den Chats hervorgeht.
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