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Gekaufte Unterschriften – verkaufte Demokratie?

Unbezahlte Sammlung: Bastien Girod, Nationalrat der Grünen, sammelt Unterschriften für die Anti-Offroader-Initiative. Sie wurde inzwischen zurückgezogen. Keystone

Ist die direkte Demokratie käuflich? Die Antwort darauf fällt je nach ideologischem Standpunkt unterschiedlich aus. Käuflich sind aber Unterschriften, die für das Zustandekommen einer Initiative nötig sind.

«Sie benötigen noch eine bestimmte Anzahl Unterschriften? Nach einem Testlauf können wir einschätzen, ob wir Ihnen diese bis zum gewünschten Zeitpunkt garantieren können. Sie bezahlen nur, wenn uns dies tatsächlich gelingt.»

Diese Garantie gibt das Berner «Büro für Politisches» auf seiner Webseite www.unterschriften-sammeln.ch ab.

Beinahe alle grösseren Parteien haben schon die Dienste von solchen Agenturen in Anspruch genommen (siehe Extra). Dennoch spricht kaum jemand von sich aus darüber.

«Die meisten Kunden befürchten Nachteile für ihre Initiative, wenn bekannt wird, dass auch bezahlte Unterschriftensammler eingesetzt werden», sagt Lukas Harder vom «Büro für Politisches», der auch selbst als Unterschriften-Jäger im Einsatz steht.

Anrüchig 

«Politiker behaupten immer noch, die Schweiz sei die beste Demokratie der Welt. Gäben sie den Einsatz von bezahlten Unterschriftensammlerinnen und -sammlern zu, könnten sie dies nicht mehr sagen», so Harder gegenüber swissinfo.ch.

Die Volksinitiative ist eines der zentralen Elemente der direkten Demokratie. Daher ist das Sammeln der 100’000 Unterschriften, die für das Zustandekommen eines Begehrens benötigt sind, entscheidend.

Ein bis zwei Franken bezahlt das «Büro für Politisches» den ausgeschickten Sammel-Profis für jede Unterschrift, die sie von ihren Einsätzen auf der Strasse heimbringen.

Die Partei, welche die Unterschriften bei Profis einkauft, hat so einigermassen die Gewähr, dass ihr Anliegen innert der gesetzten Frist von 18 Monaten auf die geforderte Zahl kommt.

Haben 100’000 Bürger unterzeichnet, beraten Bundesrat und Parlament über die beantragte Verfassungsänderung und geben zuhanden des Souveräns eine Empfehlung ab. Das letzte Wort hat dann die Schweizer Stimmbevölkerung an der Urne.

Eine der bekanntesten Initiativen der jüngeren Vergangenheit war das Minarett-Verbot. Das Begehren wurde 2009 angenommen.

Wahlkampfvehikel 

In der Geschichte des Bundesstaates kamen Initiativen zwar nur selten durch. In den letzten 40 Jahren schaffte es nur rund die Hälfte der 121 Volksbegehren bis an die Urne, nur gerade 11 wurden vom Volk angenommen.

Dennoch: Die Initiative wird für die Parteien immer wichtiger, als Instrument des politisches Agenda Settings, insbesondere aber als Wahlkampfvehikel.

Die Unterschriftensammlung ist nicht nur zeitlich, sondern auch finanziell ein grosses Unterfangen, das auch die grossen Parteien nicht so leicht stemmen können. 5500 Stunden Zeitaufwand und bis zu 500’000 Franken werden veranschlagt, bis das Volk über eine Initiative abstimmen kann.

Um Geld zu sparen, sammeln die Parteien selber so viele Unterschriften wie möglich. Gegen Ablauf der Sammelfrist kommen aber verbreitet Profi-Agenturen zum Zug (siehe Extra).

«Kein direkter Stimmenkauf» 

Gekaufte Stimmen, verkaufte Demokratie? Nein, sagt Andreas Auer, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Zürich und Direktor des Zentrum für Demokratie in Aarau.

«Ein direkter Kauf von Stimmen ist nicht erlaubt. Biete ich jemandem Geld, um für dies oder gegen jenes zu stimmen, mache ich mich strafbar. Bezahlte Unterschriftensammler aber stellen weder für die direkte noch die repräsentative Demokratie ein Problem dar», gibt Auer Entwarnung.

Normalerweise sei den Bürgern nicht bewusst, dass die Person, welche die Unterschriften sammle, dafür bezahlt würde. «Aber das Wissen darum schränkt die Freiheit der Bürger nicht ein, zu unterschreiben oder nicht», sagt der Demokratie-Experte.

Viele Menschen in der Schweiz sind immer noch überzeugt, dass ihre Demokratie über dem Geld steht. Geld könne auf der Welt zwar viel bewegen, aber sicher nichts in der hehren Demokratie. Sind sie alle naiv?

Geld könne eine wichtige Rolle spielen, sei aber selten entscheidend, relativiert Auer. «Wer kann je beweisen, dass Geld den Ausschlag gab? Unterschätzen Sie nicht das gesunde Empfinden der Bürger. Würden sie gewahr, dass jemand einen Entscheid mit viel Geld erkaufen will, würde hauptsächlich die Gegenseite davon profitieren», ist er überzeugt.

Wirtschaft ging voran 

Aber nicht nur politische Parteien setzen auf Profi-Sammler. Denner, die Nummer drei im Schweizer Detailhandel, machte den Anfang und räumte ein, 1997 Geld für das Unterschriftensammeln für seine Doppel-Initiativen bezahlt zu haben. Damals hatten 300 Helfer innert weniger Wochen 250’000 Unterschriften gesammelt. Beide Begehren scheiterten an der Urne, die Diskussion war initiiert.

Zwei Jahre später kaufte der Schweizerische Gewerkschaftsbund Unterschriften für eine damalige Initiative ein und bezahlte für jede Signatur 1.50 Franken.

Das liess das Parlament hellhörig werden. Beunruhigt über «die Käuflichkeit der direkten Demokratie» forderte eine Ständeratskommission den Bundesrat auf, zu prüfen, ob das bezahlte Sammeln von Unterschriften unter Strafe gestellt werden sollte.

Die Regierung teilte diese Sorge aber nicht. Ein solcher Bann würde eine Einschränkung des Initiativ- und Referendumsrechts und somit der Bürgerrechte bedeuten, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort.

«Ein Verbot liesse sich kaum durchsetzen», sagt auch Verfassungsrechtler Andreas Auer. «Was, wenn ein Gewerkschafter oder Parteisekretär Unterschriften in seiner Arbeitszeit sammelt?», fragt er.

Unpolitische 

Laut Lukas Harder vom «Büro für Politisches» sind die bezahlten Unterschriftensammlerinnen und -sammler meist zwischen 20 und 25 Jahre alt. Ihr Zielpublikum:  Menschen ab 18 Jahren, die politisch eher desinteressiert sind.

«Das mag paradox klingen, aber so funktioniert das Sammeln auf der Strasse am besten. In der Schweiz gibt es immer noch sehr viele Menschen, die nicht an Politik interessiert sind und die einfach unterschreiben. So braucht man keine Zeit, sie von einem Begehren zu überzeugen», sagt der Sammelprofi.

Die «Ausbeute» der Unterschriften-Jäger hängt vom Inhalt der Initiative, dem Ort und dem Wetter ab. «An ungünstigen Standorten, etwa in Menschenmassen oder bei Einkaufszentren, sind zwischen 10 bis 25 Unterschriften pro Stunde möglich. In Parks sieht es besser aus», sagt Harder.

Nimmt er jeden Auftrag an? «Nein. Als Kandidat für einen Sitz im Nationalrat habe ich meine eigenen politischen Überzeugungen. Für eine Initiative, die ich ablehne, tue ich nichts. Ich musste schon einige Male sagen, ‹Sorry, das kann ich nicht machen»‹.

Die Schweiz rühmt sich als eine der ältesten und besten Demokratien.

Punkto Transparenz bei der Parteienfinanzierung liegt sie aber gegenüber anderen Ländern weit zurück.

Dies ist auch der Hauptgrund, weshalb die Schweiz im diesjährigen Demokratie-Barometer lediglich auf Platz 14 liegt.

Der Vergleich wurde u.a. vom Zentrum für Demokratie erstellt, das von Professor Andreas Auer geleitet wird.

Keine Transparenz herrscht auch bei der Finanzierung von Abstimmungs- und Wahlkampagnen.

Im Vergleich zu dieser «Dunkelkammer», die in einer direkten Demokratie als sehr problematisch erachtet wird, muss der Einkauf von Unterschriften für eine Initiative bei professionellen Sammel-Agenturen relativiert werden.

Jeder Schweizer Bürger kann eine Änderung der Verfassung beantragen. Dazu muss er eine Volksinitiative lancieren.

Wird sie von 100’000 Bürgern unterzeichnet, ist sie gültig und kommt zur Abstimmung.

Für eine eidgenössische Volksinitiative braucht es 100’000 gültige Unterschriften, die innert 18 Monaten gesammelt werden müssen.

  

Bundesrat und Parlament beraten über die Initiative und empfehlen sie dem Volk zur Ablehnung oder Annahme.

Wenn die Mehrheit des Volkes und der Kantone («Ständemehr») dem Begehren zustimmt, ist die Verfassungsänderung angenommen.

Gegen Entscheide des Parlaments auf Gesetzesebene können Bürger das Referendum ergreifen. Nötig dafür sind 50’000 Unterschriften innert 100 Tagen. In der Abstimmung an der Urne ist hier das Ständemehr nicht erforderlich.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) hat bei der Cleantech-Initiative, die sie Anfang Monat eingereicht hat, bezahlte Unterschriftensammler eingesetzt. Laut Sprecher Andreas Käsermann sammelte die SP aber den grössten Teil der 106’000 Unterschriften selbst.

Es sei normal, gegen Ende der Sammelfrist bezahlte Sammlerinnen und Sammler einzusetzen, so Käsermann.

Im Kanton Basel-Landschaft setzten auch die Grünen auf Sammel-Profis, als sie vor einigen Wochen Unterschriften für die eidgenössische Volksinitiative «für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft» sammelte. Die Mutterpartei goutierte dies nicht.

Auch die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat «in Ausnahmefällen» schon «einzelne Personen» für das Sammeln von Unterschriften bezahlt, sagt die stellvertretende Generalsekretärin Silvia Bär.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) räumt ebenfalls ein, für ihre Volksinitiative Sammel- Profis zu engagieren.

Bei den Christlichdemokraten (CVP) und den Grünliberalen heisst es auf Anfrage, man habe grundsätzlich kein Geld, um für Unterschriften zu bezahlen.

(Quelle: SDA)

(Übertragen aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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