Milliarden-Poker an den Schweizer Urnen
Es ist ein ungewöhnlicher und äusserst heftiger Abstimmungskampf. Am 10. Juni entscheidet das Schweizer Stimmvolk über das neue Geldspielgesetz. Für die Befürworter fördert es das Gemeinwohl und schützt die Spieler vor Gefahren. Für die Gegner zensiert es das Internet und zementiert die Monopole der einheimischen Casinos. Auf dem Spiel stehen riesige Summen.
Roulette, Black Jack, Poker: Diese und andere Geldspiele könnten die Schweizer Casinos auch online anbieten, falls das Bundesgesetz über GeldspieleExterner Link (BGS) in Kraft treten würde. Es wurde vom Schweizer Parlament im vergangenen September verabschiedet.
Wie bereits die realen Spieltische wären auch virtuelle Tische unter bestimmten Bedingungen bewilligungspflichtig. Der Zugang zu allen webbasierten Glücksspielangeboten ohne eine Konzession des Bundes würde gesperrt.
Andererseits könnten Vereine, die zur Organisation grosser Lotterien und Sportwetten berechtigt sind, mit dem BGS neue Formen von Lotterien und Sportwetten vorschlagen. Zum Beispiel Wetten mit Wettbüros und solche in Echtzeit, also während einer Sportveranstaltung.
Eine weitere Neuheit: Gewinne aus Lotterien und Sportwetten wären bis zu einer Million Franken steuerfrei. Heute gilt diese Regelung nur für Gewinne bis tausend Franken. Zu den Neuerungen des BGS gehört auch die Freigabe von Bewilligungen für kleinere Pokerturniere ausserhalb von Casinos.
Gewinne für das Gemeinwohl
Die Grundidee hinter der Gesetzgebung ist, dass der Staat den Geldspielmarkt reguliert und kontrolliert, und dass er gleichzeitig garantiert, dass der Markt sein Angebot auf dem neuesten Stand halten kann.
Mit der Umsetzung des von Volk und Kantonen 2012 angenommenen Verfassungsartikels über Geldspiele soll das BGS sicherstellen, dass die Erlöse aus Geldspielen für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und die Invalidenversicherung (IV) sowie für kulturelle, soziale und sportliche gemeinnützige Einrichtungen verwendet werden.
Im Parlament wurde das neue Gesetz von einer grossen Mehrheit gutgeheissen. Bekämpft wurde es nur von der Grünliberalen Partei (GLP), von einer Mehrheit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Grünen sowie von einer kleinen Minderheit der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen).
Jugendrevolte
Ironischerweise wird nun aber jenes Gesetz, das die Schweizer Regierung und das Parlament als «Anpassung an das digitale Zeitalter» präsentieren, von den sogenannten «Digital Natives» bekämpft.
Die Jungparteien von vier im Parlament vertretenen grossen Parteien nämlich – SVP, FDP, GLP und Grüne – haben gegen das Gesetz das Referendum ergriffen. Die vier Jungparteien haben ihre erste Wette bereits gewonnen: Es gelang ihnen, die notwendigen 50’000 Unterschriften zu sammeln, um das BGS an die Urne zu bringen.
Mehr
Referendum: Volksabstimmung als Vetorecht
Und nicht nur das: Es scheint fast sicher, dass sich die Jungparteien des gesamten politischen Spektrums im Schweizer Parlament gegen das Geldspielgesetz zusammenschliessen werden. So haben sich unterdessen die Jungparteien der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) dem «Nein»-Lager angeschlossen.
Und den Jungfreisinnigen gelang in der Vorbereitung der Abstimmungskampagne ein cleverer Schachzug: Sie konnten die FDP-Delegiertenversammlung überzeugen, sodass sich die Mutterpartei schliesslich gegen das Gesetz aussprach und damit die Parlamentsfraktion der Partei brüskierte, die dem Gesetz mit sehr grosser Mehrheit grünes Licht gegeben hatte.
Gegen «Zensur» und Protektionismus
Nicht der einzige, aber der Hauptgrund für die Opposition von verschiedenen Seiten gegen das BGS ist die Sperrung ausländischer Anbieter. Würden seriöse Anbieter ausgeschlossen, wanderten Online-Glückspieler in den Schwarzmarkt ab, betonen sie. Sie verurteilen die «staatliche Internet-Zensur» und eine «digitale Isolierung».
Für die Gegner verstösst diese Blockierung gegen die Wirtschafts- und Informationsfreiheit. Eine solche Netzsperre wäre ein «gefährlicher Präzedenzfall». «Was mit Online-Poker beginnt, kann schnell zu weiterer Zensur im Bereich der Musik, Filme oder sogar Informationswebsites führen», befürchten sie.
Eine weitverbreitete Praxis
Geldspiele sind nicht irgendein Konsumgut, das frei verkäuflich ist: Bereits heute brauche es Bewilligungen, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga bei der Lancierung der Abstimmungskampagne für das BGS.
Eine Blockierung wäre darüber hinaus auch keine Schweizer Besonderheit: Es sei eine Praxis, die bereits in vielen Ländern gelte. Allein in Europa werde sie bereits von 17 Ländern umgesetzt, von denen zwei – Italien und Frankreich – an die Schweiz angrenzen, betonte Sommaruga.
Betreiber von Geldspielplattformen, die keine Bundeslizenz hätten, würden auch nicht einen Teil ihres Erlöses an die AHV/IV und gemeinnützige Einrichtungen entrichten, betonte die Ministerin. Zudem müssten sie auch keine Massnahmen ergreifen, um die mit dem Glücksspiel verbundenen Risiken wie Sucht, Betrug und Geldwäscherei zu verhindern.
Ungenügender Spielerschutz
Das BGS hingegen verstärke die Massnahmen zum Schutz gegen krankhafte Spielsucht. Die Verpflichtung, diese Bestimmungen zu übernehmen, die bereits für Casinos gelten, würde auch auf die Kantone und deren Lotteriegesellschaften ausgedehnt. Das neue Gesetz sieht ausserdem vor, dass unter den Leitern der Aufsichtsbehörden mindestens ein Spezialist für Suchtprävention ist.
Aber auch in dieser Frage sind die Gegner des BGS der Meinung, die gesetzlichen Bestimmungen seien unzureichend, und es sollte eine nationale Expertenkommission eingerichtet werden. Zudem sollten die Kantone eine spezifische Steuer erheben, um die Kosten für die Folgen übertriebener Geldspiele zu finanzieren. Im Visier haben sie besonders die Tatsache, dass Lotteriegewinne bis zu einer Million Franken von der Steuer befreit werden sollen.
Lobbys verkomplizieren das Spiel
Doch im Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern des Geldspielgesetzes geht es nicht nur um Argumente, die direkt mit dem Gesetzestext zu tun haben. So beschuldigen die Befürworter die Gegner, sie liessen sich von ausländischen Online-Geldspielfirmen bezahlen.
Tatsächlich hat das GegnerkomiteeExterner Link von zwei jener internationalen Firmen finanzielle Unterstützung erhalten. Aus diesem Grund haben die jungen Grünen ein separates KomiteeExterner Link gegründet, um finanziell unabhängig zu sein.
Die Gegner wiederum beschuldigen die Befürworter, sie liessen sich von Casinos und interkantonalen Vereinen manipulieren, die Lotterien und Sportwetten organisieren und von denen sie finanzielle Mittel für die Abstimmungskampagne erhalten hätten.
Der Druck ist hoch, und die «Ja»-Seite – zu der die Regierung und die Mehrheit des Parlaments und der Kantonsregierungen gehören – findet breite und vielfältige Unterstützung. Zu ihren Verbündeten zählen besonders sportliche, kulturelle und soziale Organisationen und Verbände.
Sie wird auch von einem grossen Befürworter-KomiteeExterner Link unterstützt, dem Politikerinnen und Politiker von Parteien aus praktisch dem gesamten politischen Spektrum der Bundes- und Kantonspolitik angehören. Der Kampf bleibt aber intensiv, und die Würfel sind noch lange nicht gefallen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch