Genf bekommt internationale Umwälzungen zu spüren
Der Grüne Klimafonds der UNO wird in der südkoreanischen Stadt Songdo eingerichtet. Genf, das sich auch beworben hatte, ging leer aus. Die Schweiz müsse das in Genf entwickelte internationale Know-how besser verkaufen, meint der Berater Yves Lador.
Songdo hat letzten Samstag Genf, Bonn, Warschau, Mexiko-Stadt und Windhoek ausgestochen. In dieser Stadt im Aufbau in der Nähe Seouls soll das Sekretariat des Grünen Klimafonds der UNO seinen Standort haben.
Der Klimafonds soll die Entwicklungsländer bei deren Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels unterstützen.
Die Einrichtung des Fonds war an der Klimakonferenz von 2010 in Cancun, Mexiko, beschlossen worden. Die Industriestaaten versprachen, die Entwicklungsländer, die am stärksten vom Klimawandel bedroht sind, ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar zu unterstützen.
Yves Lador, Berater im internationalen Genf, zieht Lehren aus der gescheiterten Schweizer Kandidatur um den Sitz des Fonds-Sekretariats.
swissinfo.ch: War dieser Entscheid absehbar?
Yves Lador: Er war absehbar. Als der Exekutivrat des Fonds diesen Sommer in Genf über den Abstimmungsmodus debattierte, war bereits zu spüren, dass die Chancen der Schweiz sehr schwach waren. Noch stärker wurde diese Einschätzung, nachdem Paris entschieden hatte, die Kandidatur Bonns zu unterstützen.
Die grossen Umwälzungen auf dem internationalen Parkett wirken sich nicht zu Gunsten von Genf aus. Das ist nicht der Fehler der Schweiz. Das Anliegen, dass internationale Organisationen auch in Asien Sitze haben sollen, ist gross. So betrachtet ist es nur logisch, dass Südkorea den Zuschlag erhielt.
swissinfo.ch: Ist der Entscheid ein strategischer Verlust für das internationale Genf?
Y.L.: Es ist zu früh, das zu sagen. Man wird sehen müssen, ob der Fonds auch wirklich funktionieren wird. Seit etwa 20 Jahren und in allen Bereichen werden an Gipfelkonferenzen grosse finanzielle Versprechen für die eine oder andere Initiative gemacht. Doch letzten Endes wird nur wenig Geld wirklich ausgegeben.
Wenn der Fonds nur einige Milliarden verteilt, wird der Entscheid nicht zu einem strategischen Verlust für Genf. Doch wenn der Fonds tatsächlich mit den versprochenen 100 Milliarden gespiesen wird, erhält diese Institution eine strategische Dimension.
swissinfo.ch: Ist der Entscheid ein Zeichen, dass Genf nicht mehr in der Lage ist, neue internationale Organisationen anzuziehen?
Y.L.: Das hängt von den Institutionen ab. Genf kann weiter neue Institutionen anziehen, wenn diese aus politischer Sicht strategisch nicht bedeutend sind. Aber bei den wichtigsten kommt die Logik der Staaten zum Zuge. Und das ist für Genf heute von Nachteil.
swissinfo.ch: Die Schweiz befindet sich mit ihren wichtigsten Partnern, mit der EU und den USA, im Konflikt um Steuerfragen. Hat das eine Rolle gespielt?
Y.L.: Ja. Bei grossen diplomatischen und geopolitischen Schlachten hat die Steuerfrage Gewicht. Die Schweiz hat Punkte verloren, was Image und Attraktivität angeht.
So wurde etwa der Rückzug von Merck Serono aus Genf in Singapur oder Hongkong kommentiert. Die Tatsache, dass ein Unternehmen einer Schlüsselindustrie Genf den Rücken kehrt, hatte ein ziemlich starke mediale Wirkung.
Wenn es darum geht, eine technische Einheit zu schaffen, die mit anderen technischen Institutionen zusammenarbeitet, hat dieser Kontext keinen Einfluss. Doch bei Entscheiden mit einer starken geopolitischen Dimension schlägt dieser Kontext auf der Passivseite Genfs zu Buche.
swissinfo.ch: Hat der Entscheid Auswirkungen auf Genf als Zentrum für Umweltfragen?
Y.L.: Ja und Nein. Wie man in Rio gesehen hat, hat die Staatengemeinschaft kein Interesse an der Konzentration von Kompetenzen. Alle Staaten sind sich bewusst, dass sie nicht besonders gut aussehen, wenn es um Umweltfragen geht. Es gibt daher einen ziemlich klaren Willen, diese Realität zu verstecken.
Was das Klima angeht, befinden sich unter anderem Institutionen wie die Welt-Organisation für Meteorologie oder das Sekretariat des UNO-Klimarats (IPCC) in Genf. Die politischen Verhandlungen finden in Bonn statt, die Finanzierung soll nun via Südkorea laufen.
Wir sehen also eine Aufsplitterung von Institutionen, die sich mit einem Themenkreis befassen, den Wunsch, Dinge zu trennen – so wird verhindert, dass die Organisationen mit maximaler Effizienz funktionieren.
Davon abgesehen, was reine Umweltfragen angeht, kann Genf in gewissen Bereichen Trümpfe vorweisen, zum Beispiel in der Frage von chemischen Produkten.
swissinfo.ch: Stecken die internationalen Organisationen insgesamt heute in einer Krise?
Y.L.: Sicher. Die internationalen Organisationen haben weiterhin ein sehr negatives Bild, da praktisch kein einziger internationaler Mechanismus der Zusammenarbeit greifbare oder starke Resultate hervorbringt.
Das gilt auch für die regionale Ebene, wie es die Schwierigkeiten in der Europäischen Union zeigen, aber auch die Probleme mit Projekten für einen gemeinsamen Markt in Lateinamerika oder der Afrikanischen Union oder im Rahmen der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN), die von Spannungen zwischen China und Japan erschüttert wird.
Gleichzeitig erfordert eine steigende Zahl von Problemen regionale oder internationale Zusammenarbeit. Es ist zum Beispiel unmöglich, gegen eine Epidemie vorzugehen ohne ein internationales Instrument wie wir es mit der Weltgesundheits-Organisation (WHO) hier in Genf haben.
In Genf gibt es technische Kompetenzen, ohne die der Rest der Welt nicht mehr auskommen kann. Genf muss sich nicht länger fragen, was das internationale System ihm bringen kann, sondern was Genf zum guten Funktionieren des Planeten beitragen kann. Und zwar, indem es aufzeigt, was es mit den anderen teilen kann.
Der Genfer Staatsrat (Regierung) gratulierte Songdo, auch wenn man natürlich etwas enttäuscht sei, dass das Sekretariat des Fonds nicht nach Genf kommen werde. Die Niederlage werde das Engagement des Staatsrats zur Stärkung des internationalen Genfs nicht beeinträchtigen, erklärte Staatsrats-Präsident Pierre-François Unger in einer Medienmitteilung.
Für Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf lässt sich der Entscheid für Songdo unter anderem mit dem Drang erklären, den Sitz einer bedeutenden Organisation auf einem anderen Kontinent als in Europa einrichten zu wollen.
Der Entscheid des Exekutivrats muss von den Vertragsstaaten der UNO-Klimakonvention bei deren nächster Versammlung noch formell bestätigt werden. Diese findet vom 26. November bis 7. Dezember 2012 in Doha statt.
Der Ausgang der Wahl ändere nichts an den Schweizer Prioritäten in der Umwelt- und Klimapolitik, hiess es in einer Medienmitteilung des Schweizer Aussenministeriums. Die Schweiz werde sich «wie bisher aktiv an der Arbeit des Green Climate Fund beteiligen».
Die Schweiz wolle sich im Exekutivrat namentlich dafür einsetzen, dass der Fonds möglichst rasch seine Tätigkeit aufnehmen könne.
Die Schweiz und die Republik Korea verbinde eine langjährige Kooperation bei den internationalen Klimaverhandlungen, wo sie im Rahmen der informellen Verhandlungsgruppe «Environmental Integrity Group» regelmässig zusammenarbeiteten.
(Quelle: SDA)
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch