Kampf gegen Terrorismus – zwischen Schutz und Eingriff
Am 25. September äussert sich das Schweizer Stimmvolk zu einem neuen Gesetz über den Nachrichtendienst (NDG), dessen Ziel es ist, den Terrorismus wirkungsvoller zu bekämpfen. Während die Linke mögliche Auswüchse wie bei der NSA befürchtet, wollen die Befürworter der Vorlage ein schweizerisches "Molenbeek" verhindern.
Das Bundesgesetz über den NachrichtendienstExterner Link wurde letzten Herbst vom Parlament verabschiedet. Es soll die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um besser gegen Terrorismus, Spionage und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorgehen zu können.
Um dieses Ziel zu erreichen, würde der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet: Abgesehen von telefonischer Überwachung wäre es künftig möglich, E-Mails zu kontrollieren, im Ausland Informationssysteme zu errichten oder Mikrofone einzubauen.
Für die Regierung und die Mehrheit der politischen Rechte im Parlament sind diese neuen Instrumente im Kampf gegen terroristische Bedrohungen und Eingriffe auf Computersysteme unverzichtbar. Die jüngsten Attentate von Paris oder Brüssel und die Piraterie, von der im letzten Frühling das Rüstungsunternehmen RUAG und das Verteidigungsdepartement betroffen waren, zeigten, dass die Bedrohungen durchaus reell seien.
«Wir leben in einer Welt, die sich stark verändert hat. Es gibt eine Notwendigkeit, ein entsprechendes Gesetz zu haben, welches der aktuellen Lage Rechnung trägt. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Mittel für diesen Kampf zur Verfügung zu stellen», sagt Hugues HiltpoldExterner Link, Parlamentarier der Freisinnigen Partei (FDP.Die Liberaten). «Heute kann man gewisse Aktionen durchführen, aber nicht alle. Es geht deshalb darum, dem NDB die Mittel zur Verfügung zu stellen, damit er seine Arbeit korrekt ausführen kann.»
Die Gegner der Vorlage befinden sich auf der politischen Skala ausschliesslich auf der linken Seite. Sie sind der Meinung, dass die Mittel, die zur Verfügung stünden, unverhältnismässig wären. «Dieses Gesetz würde die Einführung einer präventiven und einer Massenüberwachung ermöglichen. Beide Massnahmen wären ineffizient und würden die Grundrechte verletzen», sagt Jean-Christophe SchwaabExterner Link, Parlamentarier der Sozialdemokratischen Partei.
Die Gegner, die im Parlament unterlegen sind, konnten genügend Unterschriften für ein Referendum sammeln, zu dem sich das Volk nun äussern muss.
Von der Wichtigkeit einer guten Rasur
Die Gegner befürchten, dass das neue Gesetz die Türen zu einer massiven und generellen Überwachung der Bevölkerung führen werde und solche Massnahmen künftig auch ohne reelle Bedrohung ergriffen werden könnten.
«Die präventive Überwachung bedeutet, dass man jemanden intensiv überwacht, aber nicht, weil ein erhärteter Verdacht auf ein gravierendes Verbrechen besteht, sondern weil man eine Intuition hat», sagt Jean-Christoph Schwaab. «Handelt es sich vielleicht um einen Terroristen, weil sein Bart zu lang ist oder er zu oft eine Moschee aufsucht? Hier wird die Unschuldsvermutung verletzt. Das ist eine schwerwiegende Verletzung eines Grundrechts.»
Huges Hiltpold weist den Vorwurf zurück. «Man wird nicht damit anfangen, Personen zu überwachen, deren Bart zu lang ist. Die Schweiz befindet sich nicht in einer Dynamik, wie man sie in gewissen Ländern beobachten konnte. Es handelt sich um eine zurückhaltende und gezielte Analyse von Personen, die Probleme machen könnten, vielleicht zehn oder zwanzig pro Jahr.»
Leitplanken
Der freisinnige Parlamentarier schätzt, dass das neue Gesetz einem «guten Kompromiss» entspricht – zwischen einerseits der Respektierung der Grundrechte der Bürger und andererseits den Mitteln, die man dem NDB zur Verfügung stellt. «Man baut keine Schweizer NSA auf», betont er, «sondern gibt dem NDB nur die erforderlichen Mittel, um die Aufgaben zu erfüllen.»
Auswüchse sind schon deshalb weniger möglich, weil Leitplanken vorgesehen sind. «Wenn eine Person verdächtigt wird, eine terroristische Handlung zu planen, muss bei drei Instanzen eine Überwachungsbewilligung eingeholt werden: beim Verteidigungsminister, bei der Sicherheitsdelegation des Bundesrats [Regierung] und beim Bundesverwaltungsgericht. Diese drei Instanzen haben eine total unterschiedliche Vision. Ich denke, dass unter dieser Bedingung die Respektierung der Grundrechte garantiert ist.»
Die Gegner des neuen Gesetzes glauben nicht an die Wirksamkeit dieser Leitplanken. «Ein Richter, der jährlich zwanzig Fälle behandelt, ist nicht in einer starken Position, weil er solche Entscheide nicht oft fällt und deshalb nicht die Mittel hat, sich die erforderliche Rechtsprechung aufzubauen. Das gleiche Problem ergibt sich bei der politischen Behörde. Wenn ein Agent des Geheimdienstes eine Überwachung verlangt, weil ein Attentat drohe, wird diese von niemandem – weder rechts noch links – abgewiesen werden, vor allem nicht in diesem allgemeinen paranoiden Klima», sagt Jean-Christophe Schwaab.
Erinnerungen an den Fichenskandal
Die Kritiker des neuen Gesetzes erinnern daran, dass die Nachrichtendienste eine fatale Tendenz hätten, Überwachungsmittel zu missbrauchen. Erwähnt werden etwa die Auswüchse des NSA in den USA, die von Edward Snowden aufgedeckt wurden. In der Schweiz sorgte der sogenannte Fichen-Skandal vor einem Vierteljahrhundert für viel Empörung. Während des Kalten Kriegs überwachte der Nachrichtendienst breite Kreise der Bevölkerung. Manche Bürgerinnen und Bürger wurden bespitzelt einzig und allein, weil sie eine Reise in den Osten unternahmen oder einer Organisation der politischen Linken angehörten.
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Auch Journalisten wurden bespitzelt
«Dieser Skandal darf nicht in Vergessenheit geraten. Er hat die Überwachungsgewohnheiten in der Schweiz ans Licht gebracht – namentlich das präventive Ausspionieren der Leute aufgrund der Annahme, dass politische Aktivitäten, auch legale und legitime, der Anfang einer Beeinträchtigung der Landessicherheit sein könnten. Diese Gewohnheit besteht weiter. Es ist keine gute Idee, den Nachrichtendiensten solche invasiven Instrumente, die schwierig zu kontrollieren sind, in die Hände zu geben», warnt Jean-Christophe Schwaab.
Hugues Hiltpold gibt sich trotz Fichen-Skandal zuversichtlich. Er verstehe, dass die Affäre Schaden angerichtet habe. «Aber das ist überhaupt nicht der gleiche Fall. Wir wollen nur einige Personen identifizieren, die potentiell Probleme verursachen könnten.
Effiziente Überwachung?
Mehr Überwachung bedeute nicht zwingend mehr Sicherheit, argumentieren die Gegner der Vorlage. «Die Attentäter von Paris oder Orlando waren den Sicherheitsbehörden bekannt», sagt Jean-Christophe Schwaab.
«Das Problem bestand darin, dass die Sicherheitsdienste nicht zusammenarbeiteten und ihre Informationen schlecht nutzten. Das neue Gesetz sieht eine Ausforschung kabelgebundener Netze vor, die eine Überwachung des gesamten Internetverkehrs ermöglichen würden. Auch dies ist nicht effizient, denn die Datenmenge ist so umfassend, dass sie unbrauchbar wird.»
Hugues Hiltpold lässt das Argument nicht gelten. «Die Attentate, die rechtzeitig verhindert werden konnten, werden nie alle erwähnt. Natürlich wird man niemals alle Probleme lösen können, aber wenn dieses Gesetz dazu beiträgt, eine gewisse Anzahl Attentate zu verhindern, ist schon viel erreicht.»
Der freisinnige Parlamentarier weist auch auf ein anderes Problem hin, das auftauchen könnte, sollte das neue Gesetz abgelehnt werden. «Alle unsere Nachbarländer haben ihre Gesetzgebung angepasst, um sich so gut wie möglich vor Attentaten zu schützen. Wenn die Schweiz dies nicht auch machen würde, liegt es nahe, dass sich das nächste Molenbeek in der Schweiz ereignet. Versetzen Sie sich in die Lage der Terroristen, dann haben Sie alles Interesse daran, in ein Land zu gehen, wo nichts überwacht wird und Sie in Ruhe ihre Geschäfte erledigen können.»
Politischer Weg
Das vom Parlament im letzten September verabschiedete Bundesgesetz über den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll laut der offiziellen DokumentationExterner Link des Verteidigungsdepartements die Gesamtheit der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten regeln und die für den Sektor geltenden Gesetze ersetzen, die nicht mehr den Risiken und Bedrohungen unseres Landes entsprechen.
Die Vorlage wurde vom Nationalrat (grosse Kammer) mit 145 gegen 41 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen. Der Ständerat (kleine Kammer) hat es mit 35 gegen 5 Stimmen angenommen bei 3 Enthaltungen.
Das Referendum wurde vom «Bündnis gegen den SchnüffelstaatExterner Link» ergriffen, angeführt von den Jungsozialisten und unterstützt von der Sozialdemokratischen Partei, den Grünen, den Jungen Grünen, der Piratenpartei, der Partei der Arbeit, der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), Digitale Gesellschaft, Grundrechte.ch, der Gewerkschaft Medien und Kommunikation (Syndocom) und der Alternative Liste Zürich.
Das Referendum wurde mit 56’055 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht.
Das Stimmvolk nimmt am 25. September 2016 dazu Stellung. Weil es sich um ein Referendum handelt, ist nur das Volks- aber nicht das Ständemehr (Kantone) erforderlich.
Was meinen Sie? Trägt das neue Gesetz dazu bei, das Risiko von Attentaten zu mindern?
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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