Gestörter Fokus auf den Süden
Hiesige Medien fokussieren ihre Berichterstattung über den Süden eher auf Katastrophen, Konflikte und Opfer denn auf Hintergründe und Zusammenhänge. Die 40-jährige entwicklungspolitische Lobbyorganisation Alliance Sud setzt andere Akzente.
Die Wahrnehmung des globalen Südens durch die Medien ist zum Teil tief gestört. Aus diesem Grund widmete Alliance Sud ihren 40. Geburtstag dem Thema Information.
Der Zürcher Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie, Kurt Imhof, belegte die Malaise mit Statistik: Während Afrika, Asien und Lateinamerika zwischen 1960 und 1990 fast die Hälfte der aussenpolitischen Berichterstattung ausmachten, lag ihr Anteil in den letzten 20 Jahren nur noch bei 15 Prozent.
Imhofs Fazit: «Der globale Süden schrumpft im schweizerischen Erfahrungshorizont.» Seinen Befund stützt Imhof auf Kommunikationsereignisse in der Neuen Zürcher Zeitung, im Tages-Anzeiger und Blick.
Kriege, Terrorismus und Konflikte machen mehr als die Hälfte der aussenpolitischen Berichterstattung aus, während Diplomatie, Zivilgesellschaft und Armutsdiskussion immer mehr aus dem Blickfeld verschwinden. Seit «9/11» wird die Welt unter der Islamismus- und Globalisierungsperspektive beleuchtet.
Die Qualitätskiller
Imhof nannte einige Gründe für den Qualitätsverlust in den Medien: Abbau von Ressorts und damit Verlust von Spezialwissen, Ausdünnung von Korrespondentennetzen, gesteigerte Abhängigkeit von Agenturen. Medienpopulismus und politischer Populismus prägten den Kampf um Aufmerksamkeit.
Von den empörungsträchtigen Kampagnen profitieren Medien und Parteien gleichermassen. Laut Imhof ist der Qualitätsmangel bei Gratisblättern und privaten TV-Kanälen besonders ausgeprägt.
Die öffentlich-rechtlichen Medien und die Abonnementszeitungen hingegen weisen den höchsten Anteil an internationalen Nachrichten auf. Doch ausgerechnet die Tageszeitungen leiden unter massiven Umsatzverlusten und mussten Stellen abbauen.
Berichterstattung mit Qualität sei heute nur noch im Verbund möglich, sagte Res Strehle, Co-Chefredaktor Tages-Anzeiger. Der Bund in Bern profitiert von dieser Kooperation.
Nach dem Arabischen Frühling
Medienleute widersprachen Imhofs Kritik, etwa an der Kriegslastigkeit der Auslandberichterstattung. Es sei das legitime Bedürfnis von Hörerinnen und Hörern, über die Hintergründe von Konflikten und Kriegen informiert zu werden, so Markus Mugglin, Leiter «Echo der Zeit» bei Radio DRS.
Doch nicht alle Medien bauen ihre Korrespondentennetze ab – im Gegenteil: Le Temps zum Beispiel schickt zusätzliche Journalisten nach Nordafrika, wie Chefredaktor Pierre Veya versicherte, «weil sich nach dem arabischen Frühling in einigen Ländern eine neue Ausgangslage ergeben hat».
Anwaltschaftliche Kräfte
Politischer Frühling herrschte in den 1968er-Jahren, als auch hierzulande die Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein für die Problematik der Drittweltländer wuchsen.
Entwicklungsorganisationen verstanden sich nicht mehr nur als rein humanitäre, sondern auch als anwaltschaftliche Kräfte. Aufklärung und Information über die Nord-Süd-Problematik wurden ihre Hauptanliegen.
1971 schlug die Geburtsstunde des «Informationsdiensts Dritte Welt i3w», der auf einem Konzept des Schriftstellers und Journalisten Al Imfeld aufbaute.
Alliance Sud, die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks, betreibt heute noch ihre Dokumentationsstellen in Bern und Lausanne.
Umfassende und gezielte Informationsvermittlung und Lobbying sind gemäss eigenen Angaben zentrale Anliegen geblieben.
Die eigenen Dokumentations-Stellen bleiben für Alliance Sud die verlässlichsten Quellen, obwohl auch diese in 40 Jahren viele Veränderungen erlebten.
Das Sammeln und Klassieren von Zeitungsartikeln war noch bis in die 1980er-Jahre die Haupttätigkeit der Dokumentalistinnen und Dokumentalisten bei i3w, Schere, Leim und Mäppchen waren ihre Hilfsmittel.
Die Bestände wuchsen rasch. Ein ausgeklügeltes Lochkartensystem diente zwischenzeitlich der raschen Ortung von Dokumenten.
Die ehemalige Mitarbeiterin Silvia Güntensperger berichtete im Werkstattgespräch von dieser Pionierzeit: «Nach der manuellen Sucharbeit in den Archiven war dieses System ein grosser Fortschritt.»
Computer und Internet machten schliesslich auch den Lochkarten und der Papiersammlerei den Garaus.
Die Dokumentations-Stelle in Bern ist die einzige öffentlich zugängliche Fachstelle in der Deutschschweiz mit einem breiten Spektrum an entwicklungspolitischer Literatur. Sie bietet umfassende Dossiers über 500 Themen von Armut über Hunger bis Zwangsarbeit.
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