Sie bringt Japan und die Schweiz zusammen
In Zürich aufgewachsen, seit 15 Jahren in Japan: Dort hat Christine Haruka als Fernseh-Frau Karriere gemacht – mit einem ganz speziellen Format.
Sie ist eine Reporterin, die in Japan immer wieder für Aufsehen sorgt. Im Mai berichtete sie über das Treffen der G7 in Hiroshima – sie drehte aber fast ausschliesslich hinter den Kulissen.
«Es ist ein für Japan einzigartiger Stil, dass Leute, die nicht Fachpersonen auf diesem Gebiet sind, die Nachrichten kommentieren», sagt die 31-Jährige. Schweizer:innen ihren Beruf zu erklären sei deshalb nicht immer einfach.
>> Christine Haruka berichtete über das Treffen der G7 in Hiroshima:
Reporterin ist allerdings nicht ihre einzige Rolle im japanischen Fernsehen. Mal kommentiert sie Politik in Nachrichten, mal einen Trend in Infoshows – oder sie taucht in Variety-Shows als Gast auf.
Geboren und aufgewachsen ist Christine Haruka in Zürich als Tochter eines japanischen Vaters und einer Schweizer Mutter. Als Mädchen war sie fasziniert von japanischen Kinder- und Comedy-Sendungen, die sie über Satelliten-TV zu sich in ihr Zimmer holte. In den Sommerferien reiste sie mit der Familie manchmal nach Japan.
Aufbruch nach Japan
Dann wechselte die Familie innerhalb der Schweiz den Wohnort. Doch am neuen Ort fiel es der Primarschülerin Haruka schwer, sich an ihre neue Klasse zu gewöhnen. Die japanische Sprachschule, die sie einmal pro Woche besuchte, wurde so für sie zur Art Heimat.
Sie fühlte sich wohl dort, weil sie von anderen Kindern mit denselben Wurzeln umgeben war. Ihre Sehnsucht nach Japan wuchs. Nach vier Jahren Gymnasium überredete sie ihre Familie: Sie wolle nun, nicht einmal 20 Jahre alt, auf eigene Faust nach Japan gehen.
Sie war von der Fernsehbranche fasziniert. Zunächst aber wurde sie von einer weiblichen Theatergruppe aufgenommen. Daneben besuchte sie die höhere Schule.
Sie entwickelte rasch eine einzigartige Art. Sie kopierte die Mimik von berühmten Komikern und mischte grosszügig Deutsch dazu. Damit gelang ihr der Durchbruch. Sie wurde für TV-Shows gebucht.
>> Christine Haruka als Komikerin:
Bald trat Haruka in bis zu zehn Sendungen pro Woche auf. Das war viel. Im März 2018 erklärte sie öffentlich, sie wolle sich eine Auszeit nehmen. Drei Monate lang ging sie darauf nach Kanada, um Business Administration zu studieren. Danach heiratete sie und bekam eine Tochter.
Dann, im Herbst 2022, kam sie zurück auf die japanischen Bildschirme. Heute ist sie vor allem in regionalen Sendungen tätig und reist zwei- bis dreimal pro Woche von Tokio in die Regionen wie Osaka, Nagoya und Shizuoka.
Im Lauf ihrer Karriere wurde ihr Ruf als Politikfreak zu einem wichtigen Alleinstellungsmerkmal. Eine Zeitlang wohnte sie im Tokioter Stadtbezirk Nagata-cho, wo sich das japanische Parlamentsgebäude befindet.
Auch brachte sie ein Buch heraus, in dem sie Jugendlichen die Politik und das Wahlsystem von Japan erklärt. Ihr Interesse an der Politik, so sagt sie, rührt wohl von ihrer Schweizer Herkunft her.
Politik als Teil des Alltags
Das ergab sich fast von alleine. «Ich hatte ursprünglich weder eine grosse Liebe zur Politik, noch war ich politisch aktiv», sagt Haruka im Gespräch mit swissinfo.ch. «Für mich war Politik einfach ein Teil des Alltags.»
Im Schulunterricht der Schweiz werde man immer nach seiner Meinung gefragt, und Politik war stets auch Thema bei Gesprächen unter Freunden. Viermal im Jahr steht in der Schweiz eine Volksabstimmung an. Dann sind Medien und der öffentliche Raum gefüllt mit Politik, und selbst Minderjährige haben täglich die Gelegenheit, mit Politik in Kontakt zu kommen.
Als sie später jedoch in Japan zur Schule ging, war das Umfeld völlig anders. Die Schüler:innen dort äussern ihre Meinung nicht, und wenn doch, dann nur in Schablonen.
Es herrscht eine Atmosphäre, in der es kaum möglich ist, Interesse an der Politik zu entwickeln. Der japanische Unterricht besteht in der Regel aus einseitigem Vortrag der Lehrerperson an die Schülerinnen und Schüler: Frontalunterricht.
«Ich habe mich gefragt, warum das so ist, und bin nach Nagata-cho gegangen, um mir selbst ein Bild zu machen», sagt sie. Mit dem Erkunden der Unterschiede kam die Faszination für die Politik, bis sie schliesslich gar zur Meinungsmacherin in Nachrichtensendungen wurde.
Sprachtalent
Ihre Karriere hat sie aber auch ihrem Sprachtalent zu verdanken. In Japan, wo gegenüber Fremdsprachen eher eine Abneigung herrscht, ist es selten, dass jemand vier Sprachen spricht: Japanisch, Englisch, Deutsch und Französisch.
Sie berichtete 2016 über die Flüchtlingskrise aus Deutschland und 2017 von den französischen Präsidentschaftswahlen. Sie interviewte die Leute in ihrer jeweiligen Landessprache und vermittelte die Stimmung vor Ort aus der Perspektive des Volks. Das sorgte für Aufsehen.
Was sagt sie zur Politik in der Schweiz? Ein Thema, für das sie sich interessiert, ist E-Voting. Dieses wird aktuell erstmals seit 2019 in einzelnen Kantonen wieder testweise ermöglicht.
«E-Voting ist nicht nur für Auslandschweizer:innen vorteilhaft», sagt sie. «Angesichts der Tatsache, dass das Internet unser tägliches Leben durchdringt und wir alle möglichen administrativen Vorgänge online erledigen, halte ich es für sehr praktisch, auch online wählen und abstimmen zu können.» Allerdings sei es noch immer eine Herausforderung, Betrug und Systemfehler zu verhindern.
Die Neutralitätspolitik der Schweiz, die durch den Krieg gegen die Ukraine auf dem Prüfstand steht, interessiert sie ebenfalls. Auch japanische Medien berichteten, dass die Schweiz anderen westlichen Ländern verbietet, ihre Waffen aus Schweizer Produktion ins Kriegsgebiet zu senden.
«Einer der Gründe dafür, dass die kleine Schweiz in der Welt präsent ist, ist die Position, die sie sich bisher als neutrales Land erarbeitet hat», sagt Haruka dazu.
Die Schweiz fungiere als Ort für internationale Treffen und als Anbieterin von Guten Diensten. «Ich frage mich, was mit der Schweiz geschehen würde, wenn dies verschwinden würde.»
Unterdrücktes Heimweh
Haruka wohnt in Japan nun fast schon so lange, wie sie in der Schweiz gelebt hatte. Anfangs kehrte sie nie in die Schweiz zurück, auch wenn sie Heimweh hatte. Sie hatte sich für die Auswanderung entschieden und wollte daran festhalten.
Doch 2017, als ihre TV-Engagements wieder in Schwung kamen, fühlte sie sich «wie von einer Last befreit» und kehrte erstmals nach Zürich zurück. Die Stadt hatte sich in ihren Augen wenig verändert, und in der Luft lag Nostalgie. «Ich hatte nicht das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein, sondern zurück zu Hause.»
Heute, in Japan, vermisst sie nur eines: hartes Brot. In Japan wird weiches Brot bevorzugt, und das in der Ostschweiz typische harte Brot ist nur in Spezialbäckereien erhältlich. «Als meine Tochter anfing zu zahnen, habe ich ihr eine harte Brotrinde zum Knabbern gegeben, wie in der Schweiz.»
Sie will, dass ihre einjährige Tochter mit Schweizerdeutsch vertraut wird. «Ich frage mich, wo man es ausserhalb der Schweiz verwenden kann, aber es ist Teil der Identität. Ich kann es nicht aussterben lassen.»
Die Schweiz sieht sie heute mit anderen Augen. «Damals habe ich den ganzen Tag an Japan gedacht. Nun habe ich das Gefühl, dass ich damit auch eine Gelegenheit verpasst habe, an so einem guten Ort zu leben.»
Das möchte sie nun nachholen, an verschiedene Orte reisen, um mehr über das Land zu erfahren, dass sie einst so mutig verlassen hat.
Editiert von Balz Rigendinger
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