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Heikle Beobachter-Mission für Kirchenbund

Zwangsrückschaffungen werden neu in Begleitung von neutralen Beobachtern durchgeführt. Keystone

Zwangsausschaffungen abgewiesener Asylbewerber werden ab Juli von Beobachtern des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) begleitet. Auf Verlangen des Bundes müssen die Begleiter über ihre Monitoring-Einsätze Stillschweigen bewahren.

Die Mitarbeit des Kirchenbundes am halbjährigen Monitoring-Versuch gab das Bundesamt für Migration (BFM) am Mittwoch bekannt. Die Modalitäten der Kooperation zwischen Bund und der Partnerorganisation sind in einer Vereinbarung geregelt.

Die neutrale Begleitung abgewiesener Asylsuchender bei deren zwangsweiser Rückschaffung ist in einer Norm der Europäischen Union festgeschrieben, die ab diesem Jahr gilt. Da die Schweiz zum Schengenraum gehört, ist die Vorschrift auch für sie bindend.

Das Monitoring wird vorerst aber nicht von Mitarbeitern des Kirchenbundes selber ausgeführt. Vielmehr will die Organisation ehemalige Justiz- und Polizeidirektoren der Kantone sowie Rechtsprofessoren als Begleitpersonen bei Sonderflügen entsenden.

Politikum

Das Thema der zwangsweisen Rückschaffungen hatte nach dem März letzten Jahres an innen- wie aussenpolitischer Brisanz gewonnen, nachdem ein Nigerianer bei einer solchen Aktion am Flughafen Zürich gestorben war. Sonderflüge für Ausschaffungen wurden darauf für drei Monate ausgesetzt.

In der Pilotphase sei es wichtig, dass Beobachter bei den Ausschaffungsflügen eingesetzt würden, die von allen Seiten anerkannt und akzeptiert seien, sagte Simon Röthlisberger vom SEK. Bekannte Persönlichkeiten sollten Vertrauen schaffen. Namen wollte Röthlisberger jedoch noch keine nennen.

Der Bund hatte das Beobachter-Mandat im vergangenen Dezember öffentlich ausgeschrieben, nachdem das Schweizerische Rote Kreuz im letzten Oktober eine Zusammenarbeit mit den Behörden abgelehnt hatte. Auch Amnesty International Schweiz hatte abgelehnt.

Auf die Ausschreibung hatten sich rund 200 Einzelpersonen, Personengruppen und juristische Personen gemeldet.

Aufgabe der Begleiter ist es, ihre Monitoring-Begleiteinsätze in Berichten festzuhalten und diese bis Ende Jahr dem Justizdepartement zu übergeben.

Die Berichte unterlägen aber der alleinigen Hohheit des Justizdepartementes, betonte Marie Avet vom Bundesamt für Migration (BFM). Das bedeutet, dass die Behörden entscheiden, was daraus veröffentlicht wird und was unter Verschluss bleibt.

Alle Entscheidgewalt beim Bund 

«Um in der Pilotphase Vertrauen aufbauen zu können, ist es richtig, dass die mit dem Monitoring betraute Organisation nicht mit jedem Bericht an die Öffentlichkeit geht», verteidigte Simon Röthlisberger gegenüber swissinfo.ch die Einwilligung des SEK in die Schweigepflicht.

Die Berichte werden von einem Expertengremium ausgewertet, dem Behördenvertreter und Mitglieder von Nichtregierungs-Organisationen angehören. Die Federführung liegt beim Bund.

Sowohl Avet als auch Röthlisberger betonen, dass es in der Pilotphase darum gehe, das Monitoring zu optimieren. Deshalb können die Begleiter in ihren Berichten auch Empfehlungen abgeben.

Nicht alle Flüge begleitet

Das Bundesamt für Migration rechnet in der zweiten Jahreshälfte mit rund 25 Sonderflügen zur zwangsweisen Rückschaffung. Laut Vereinbarung ist ein Monitoring aber nur bei 10 bis 15 dieser Flüge vorgesehen.

Laut BFM-Sprecherin Marie Avet findet in Deutschland die Begleitung nur während des Transports des Häftlings vom Ausschaffungsgefängnis bis zum Flughafen statt. In der Schweiz könne die Begleitperson entscheiden, ob sie den Ausschaffungshäftling allenfalls bis in dessen Heimatland begleiten wolle.

Der Kirchenbund habe das Mandat zum Monitoring übernommen, um die «Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen», heisst es beim SEK. Es gehe nicht darum, die Frage nach den Gründen für eine Ausschaffung zu stellen.

Imageschaden befürchtet

Das Risiko eines Image-Schadens sei zu gross gewesen, begründet Sprecher Beat Wagner vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) die letztjährige Absage. Da das SRK Teil der internationalen Rotkreuz-Bewegung sei, könne ein allfälliger Imageschaden die Tätigkeit der gesamten Organisation behindern oder gar gefährden.

Dies wäre dann der Fall, wenn das Rote Kreuz nicht mehr als neutrale Organisation betrachtet würde. Besonders verhängnisvoll wäre dies für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Dabei geht es laut Weber nicht nur um Mandate, sondern auch um die Sicherheit der Rotkreuz-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Schweiz als Gründungs- und Gastland stehe deshalb gegenüber der Gesamtorganisation im allgemeinen und gegenüber dem IKRK im Besonderen in der Verantwortung.

Präventiver Charakter

Simon Röthlisberger ist aber überzeugt, dass der Schweizerische Evangelische Kirchenbund mit seiner Teilnahme richtig entschieden habe.

«Es wäre ein Erfolg, wenn wir zur Deeskalation von Konfliktsituationen beitragen können.» Auch geht er davon aus, dass das SEK-Mandat präventive Wirkung haben werde. «Wir glauben, dass Rückschaffungen anders ausgeführt werden, wenn unabhängige Begleiter dabei sind», sagt Röthlisberger.

In der Schweiz leben rund 25’000 Menschen als offiziell anerkannte Flüchtlinge.

23’000 sind als Flüchtlinge mit beschränkter Aufenthaltsdauer verzeichnet.

2010 haben 15’567 Personen um politisches Asyl nachgesucht, 2,7% mehr als im Jahr davor. Die meisten Anträge stellten Personen aus Nigeria, Eritrea, Sri Lanka und Serbien.

Im letzten Jahr wurden von den Behörden über 20’000 hängige Dossiers abgeschlossen, der Pendenzenberg beträgt immer noch rund 9000 Fälle.

Nur knapp ein Fünftel aller Gesuche wurde bewilligt, ein Viertel erhielt temporären Flüchtlingsstatus. Fast die Hälfte wurde abgelehnt.

Im März 2010 starb ein 29-jähriger Nigerianer am Zürcher Flughafen. Er hätte zwangsweise in die Heimat ausgeschafft werden sollen.

Die Schweiz stoppte darauf alle Sonderflüge.

Nachdem eine Autopsie ergeben hatte, dass der Mann einen Herzfehler aufwies, wurden die Ausschaffungen wieder aufgenommen.

Nigerianer wurden aber erst auf Beginn 2011 wieder ausgeschafft, nachdem die Schweiz und Nigeria im letzten November ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet hatten.

Laut Bund stellten 2010 knapp 2000 Nigerianer ein Asylgesuch. Über 700 wurden an EU-Staaten überstellt, weil sie dort einen ersten Asylantrag gestellt hatten.

165 kehrten freiwillig in ihre Heimat zurück, 121 zwangsweise.

Nigerianer, die sich in der Schweiz nichts zu Schulden kommen lassen und die nie in Ausschaffungshaft waren, können mit bis zu 6000 Franken des Bundes rechnen. Dies als Starthilfe zum Aufbau einer Existenz in ihrer Heimat.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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