Hinschauen, wo lieber weggeschaut wird
Die Situation im Nahen Osten ist verfahren: Keine Friedensaussichten, von Siedlungsstopp keine Rede, Kritik in Israel gilt als Landesverrat. Dennoch geben kritische Stimmen wie der New Israel Fund, der auch in der Schweiz aktiv ist, nicht auf.
Die israelisch-amerikanische Kontroverse um die Erteilung einer Baubewilligung für eine Siedlung mit 1600 Wohnungen in Ostjerusalem, das die Palästinenser als Hauptstadt eines künftigen Staates beanspruchen, hat in den letzten Tagen zu einem Anstieg der Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen in den besetzten Gebieten geführt.
Doch der israelische Regierungschef Netanyahu lässt sich dadurch nicht beirren: In den vergangenen 40 Jahren habe sich keine israelische Regierung Beschränkungen beim Bau von Wohnungen in Jerusalem auferlegt, sagte er vor der Knesset, dem israelischen Parlament.
Für ein anderes Bild Israels
Echte Friedensverhandlungen haben so kaum Chancen, und Experten warnen gar vor einer neuen Intifada (Palästinenseraufstand). Gleichzeitig sind kritische Stimmen in Israel wie der New Israel Fund (NIF) einer rechtsextremen Hetzkampagne ausgesetzt. «Das alles macht unsere Arbeit nur noch dringender und wichtiger», sagt Pierre Loeb, Präsident des Schweizer Zweigs des NIF, gegenüber swissinfo.ch.
«Es geht uns darum, in der Schweiz, sowohl bei der jüdischen wie nicht-jüdischen Bevölkerung, ein anderes Bild von Israel aufzuzeigen», erklärt der Basler Arzt. «Ein demokratisches, religiös-pluralistisches Israel, wie wir es uns schon früher vorgestellt haben. Und es ist uns ganz wichtig, in Israel jene jüdischen und arabischen Kräfte zu unterstützen, die einen derartigen Staat wollen.»
Goldstone-Bericht erschüttert Israel
Die innerisraelische Auseinandersetzung um den im Auftrag der UNO verfassten Goldstone-Bericht zum Gaza-Krieg wird immer schärfer geführt. In dem Bericht des südafrikanischen Richters werden Israel, aber auch der Hamas Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Der NIF ist Ziel rechtsextremer Attacken, weil er in Israel unter anderem Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) unterstützt, die sich für Frieden und Demokratie einsetzen und mit Goldstone zusammengearbeitet haben. Staat und Armee hingegen haben die Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Richter jüdischer Herkunft verweigert.
Kritik an israelischer Politik und eine öffentliche Untersuchung des umstrittenen Vorgehens im Gaza-Krieg werde von rechten Regierungs- und Armeekreisen immer häufiger als ein Versuch denunziert, den Staat Israel überhaupt in Frage zu stellen, moniert der NIF. Deshalb geht inzwischen das Wort vom McCarthyismus um, das an die antikommunistische Hexenjagd in den USA unter Senator McCarthy Anfang der 50er-Jahre erinnert.
Zionismus-Begriff neu in Frage stellen
Für Pierre Loeb ist in Israel eine Polarisierung in Gang, die schon länger andauert. «Der zentrale Begriff des Zionismus wird neu in Frage gestellt. Das macht das Ganze so kompliziert. 1967, vor dem Sechs-Tage-Krieg, sammelte hier in der Schweiz die ganze Bevölkerung Geld für das ‹kleine Israel›. Heute kommen sogar viele der Demokratie verpflichtete Zionisten in Schwierigkeiten, weil sie nicht mehr wissen, was man unterstützen kann.»
Die Leute, die den Goldstone-Bericht ablehnen und dem NIF Landesverrat vorwerfen, hätten Angst, dass man ihnen ihr eigenes Verteidigungsrecht absprechen könnte. «Ich habe Briefe erhalten, in denen man mir sagt, ich soll den Mund halten, ich hätte nichts zu sagen, solange ich nicht in Israel lebe. Meine Kinder seien nicht in Gefahr, in die Luft gejagt zu werden.»
Loeb ist aber überzeugt, dass der NIF «das Recht hat, Nichtregierungs-Organisationen zu unterstützen, die helfen, Ungerechtigkeiten an den Pranger zu stellen». Umso mehr freuen ihn denn auch Solidaritäts-Bezeugungen von religiösen Personen, «die mir ihre Unterstützung geben und im Respekt für ihren Nachbarn eine Mizwa (religiöses Gebot) sehen».
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«Aus Liebe zu Israel»
«Was wir tun, ist in erster Linie Aufklärung. Und wir tun es aus Liebe zu Israel. Es geht um die Bewahrung der Demokratie. Israel brüstet sich ja auch immer, der einzige demokratische Staat im Nahen Osten zu sein. Die NGOs, die wir mit unserem Geld unterstützen, sind ein wichtiger Teil, weil sie unsere Ziele verfolgen.»
Sie zeigten auf, was wirklich geschehe an jenen Orten, «wo der Israeli lieber nicht hinschaut», sagt Loeb. «Natürlich verstehe ich gut, wenn Israelis das Leben im weltoffenen Tel Aviv geniessen wollen und genug vom Krieg haben.»
Aber wenn man am Strand von Tel Aviv sitze, sehe man eben auch die Kampfhelikopter und Flugzeuge, die nach Gaza fliegen, ins besetzte Gebiet. «Und dort geschehen Sachen, die gezeigt werden müssen, weil der Israeli ja eben nicht dorthin geht, um zu schauen, was wirklich geschieht.»
Vertrauen in die internationalen Organisationen
Weltweit hat man den Eindruck, Israel mache, was es wolle. Es brüskiert sogar seine besten Freunde, die USA. Ausser verbaler Kritik geschieht aber nichts, auch von Seiten Europas. Was müsste passieren, damit die Regierung zur Vernunft kommt?
«Ich weiss nicht, was passieren muss», sagt Loeb. In Israel selber müsse aber etwas geschehen, «trotz all der historischen Traumatisierungen und bei Erhaltung des legitimen Verteidigungsrechts».
Man müsse wieder Vertrauen bekommen in internationale Organisationen. Israel habe keine andere Möglichkeit in einer modernen Welt, auch wenn es sich im UNO-Sicherheitsrat und im Menschenrechtsrat in Genf gegenüber der Macht der arabischen Staaten allein gelassen und nicht verstanden fühle.
Zweistaatenlösung im Interesse Israels
Israel besiedelt munter weiter, dadurch wird eine Zweistaaten-Lösung immer mehr verunmöglicht. Gibt es schlussendlich nicht nur die Alternative eines demokratisch laizistischen Staates für Juden, Christen und Muslime, was natürlich auch das Ende eines exklusiv jüdischen Staates bedeuten würde?
Dazu Pierre Loeb: «Ich glaube immer noch, dass die Zweistaaten-Lösung im Interesse von Israel ist. Die Einstaaten-Lösung wäre demografisch äusserst schwierig und wäre absolut nur das Ziel der arabischen Fundamentalisten, und nicht der jüdisch-israelischen Seite.»
Zuversicht gibt Loeb «die trotz allem immer wieder erlebte Zusammenarbeit zwischen jüdischen und arabischen Nachbarn, die wir in regionalen Bürgerkomitees antreffen, wo es um Wasserversorgung, Schutz der Umwelt, medizinische Versorgung und andere Dinge des täglichen Lebens geht».
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Der New Israel Fund (NIF) ist eine 1979 in den USA gegründete und inzwischen internationale Organisation, die sich per Geldsammeln und Spenden für Bürger- und Menschenrechte, für soziale und ökonomische Gerechtigkeit, für Toleranz und religiösen Pluralismus in Israel einsetzt.
Auch in der Schweiz gibt es einen Zweig, der im Jahr bis zu 150 000 Franken sammelt von rund 500 jüdischen wie nicht jüdischen Sympathisanten. Insgesamt kommen im Jahr etwa 15 Millionen Dollar zusammen.
Unterstützt werden Menschenrechtsorganisationen wie die Association of Civil Rights in Israel oder die Reservistenorganisation Breaking the Silence, die auch von der EU unterstützt werden. Doch 90 Prozent der Mittel gehen an Neueinwanderer, Behinderte, Frauengruppen und viele andere, die mit Israels politischen Konflikten direkt nichts zu tun haben.
Zionismus ist eine politische Ideologie, ein politisches Programm und eine globale Bewegung, die auf Errichtung, Rechtfertigung und Bewahrung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina abzielen. Der Zionismus wird als Ideologie den Nationalismen, als politische Bewegung den Nationalbewegungen zugerechnet.
Schlüssel- und Führungsfigur des modernen politischen Zionismus ist Theodor Herzl, der Begriff Zionismus wurde um 1890 von Nathan Birnbaum geprägt.
Der Zionismus entstand unter dem Eindruck des zunehmenden Antisemitismus gegenüber der jüdischen Diaspora. Insbesondere Ausschreitungen und antisemitische Schriften und Verschwörungstheorien im russischen Einflussbereich wurden entsprechend thematisiert.
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