Historischer Freispruch für Privatbankier Holenweger
Im spektakulärsten Fall der jüngsten Schweizer Justizgeschichte ist Privatbankier Oskar Holenweger am Donnerstag freigesprochen worden. Nach einem fast acht Jahre dauernden Verfahren stellt das Urteil eine Niederlage für die Bundesanwaltschaft dar.
Pünktlich um 14 Uhr eröffnete Gerichtspräsident des Bundesstrafgerichts in Bellinzona Peter Popp das Urteil. Bereits nach einer Minute war klar, dass ein Freispruch in allen Punkten erfolgt. In Bezug auf das Waschen von vermeintlichen Drogengeldern hat das Gericht das Verfahren sogar wegen Rechtswidrigkeit eingestellt.
Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte Holenweger wegen Urkundenfälschung, Gehilfenschaft zu ungetreuer Geschäftsführung, Bestechung fremder Amtsträger und schliesslich Geldwäscherei angeklagt. Mehrheitlich ging es um schwarze Kassen des französischen Konzerns Alstom, an deren Abwicklung Holenweger beteiligt gewesen sein soll. Die BA hatte 30 Monate Haft gefordert, davon sechs Monate unbedingt, sowie eine Geldstrafe.
Davon ist nichts geblieben. Holenweger (66) wurde nicht nur freigesprochen, sondern erhält auch eine Entschädigung. Das Gericht anerkannte Forderungen in der Höhe von fast 400‘000 Franken sowie eine Genugtuung von 35‘000 Franken. Holenweger hatte im Jahr 2003 als Folge der Ermittlungen und einer 49-tägigen Untersuchungshaft seine Tempusbank in Zürich verkaufen müssen.
Ramos-Einsatz rechtswidrig
Ausgangspunkt der Ermittlungen gegen den Zürcher Privatbankier waren Hinweise des von der Bundeskriminalpolizei 2002 eingeschleusten Drogenhändlers Ramos gewesen. Dieser lieferte den entscheidenden Anfangsverdacht.
Das Gericht kam zum Schluss, dass der Einsatz von Ramos rechtswidrig gewesen sei, da er de facto als verdeckter Ermittler arbeitete. Ramos sei über ein rein passives Verhalten hinausgegangen und habe versucht, den Bankier zu einer Tat anzustiften.
Entscheidend in diesem Punkt war für das Gericht, dass auch die angeordneten Zwangsmassnahmen wie die Telefonkontrolle nicht rechtens waren, wie Popp in seiner mündlichen Urteilsbegründung ausführte. Die vagen Angaben von Ramos hätten nicht ausgereicht, diese zu verordnen. Mehr noch: Die Anklagekammer des Bundesgerichts sei von der BA sogar durch Falschangaben in Bezug auf den dringenden Tatverdacht getäuscht worden.
Auch in Bezug auf den verdeckten Ermittler Diemer kam das Gericht zum Schluss, dass es sich um eine „unrechtmässige Beweiserhebung“ handelte. Denn Diemer war nur auf Grund der rechtswidrig erworbenen Hinweise von Ramos auf Holenweger angesetzt worden. In zwei Fällen hatte Holenweger von dem deutschen V-Mann 830‘000 Euro angenommen. Dass es sich dabei um angebliche Drogengelder gehandelt haben soll, hatte Holenweger stets bestritten. Die Ermittler hätten mit diesem Einsatz das Fairnessgebot verletzt, meinte das Gericht.
Schwarze Kassen für Alstom
Es konnte somit für das Gericht nur zu Freisprüchen kommen. Dies gilt auch für die materielle Prüfung der Vorwürfe in Bezug auf das Führen von schwarzen Kassen für den französischen Energie- und Transportkonzern Alstom.
Das Problem war hier, dass von der Bundesanwaltschaft keine eigentliche Vortat nachgewiesen werden konnte und Alstom sich auch nicht als geschädigter Konzern gesehen hat. Das Gleiche gilt für die angeblichen Schmiergeldzahlungen, die nicht hinreichend belegt werden konnten.
Da Holenweger in Bezug auf die Vorgänge um die schwarzen Kassen des Alstom-Konzerns freigesprochen wurde, konnte im Zusammenhang mit der Verschiebung der angeblichen Drogengelder nicht mehr von gewerbsmässiger Geldwäscherei die Rede sein, so dass die kürzere Verjährungsfrist für einfache Geldwäscherei zum Tragen kam.
Angeklagter erleichtert
Der Angeklagte nahm das Urteil nach fast acht Jahren Verfahrensdauer reglos entgegen und stieg später wortlos ins Auto. Sein Verteidiger Lorenz Erni sagte: „Herr Holenweger ist ausserordentlich erleichtert, aber auch ich bin froh, weil das Gericht praktisch vollumfänglich meinen Argumenten gefolgt ist.“
Anders die Bundesanwaltschaft: Sie zeigte sich verständlicherweise enttäuscht. „Aber Bellinzona ist nicht der Vatikan, hier herrscht keine Unfehlbarkeit“, meinte Lienhard Ochsner, der die Anklage vertreten hatte. Man werde das Urteil sorgfältig prüfen und dann schauen, ob man den Entscheid ans Bundesgericht weiterziehen werde.
Besonders enttäuscht zeigte sich Ochsner über den Vorwurf des Gerichts, die BA habe sogar die Anklagekammer des Bundesgerichts getäuscht, um Zwangsmassnahmen wie eine Telefonkontrolle zu erreichen. Die Anklagekammer des Bundesgerichts hätte die Möglichkeit gehabt, die Akten zurückzuschicken, wenn sie die Verdachtslage als nicht ausreichend erachtet hätte.
Politische Konsequenzen
Das Urteil stellt für die Bundesanwaltschaft eine empfindliche Niederlage dar. Es ist damit zu rechnen, dass die Akte noch nicht geschlossen wird. Eine der unbeantworteten Fragen ist unter anderem, wie stark der heutigen Bundesanwalt Erwin Beyeler in den jetzt als rechtswidrig bezeichneten Einsatzes von Ramos beteiligt war.
Beyeler war damals Chef der Bundeskriminalpolizei, hatte aber immer bestritten, direkt beteiligt involviert gewesen zu sein. Gemäss diversen Dokumenten, die unter anderem in der „Weltwoche“ veröffentlicht wurden, sieht die Situation aber anders aus. Der damalige Bundesanwalt Valentin Roschacher ist im Zusammenhang mit der Holenweger-Untersuchung bereits zurückgetreten.
Erwin Beyeler muss dieses Jahr vom Schweizer Parlament als Bundesanwalt bestätigt werden. Angesichts des Urteils des Bundesstrafgerichts dürfte der Druck auf ihn wachsen, die Umstände des bis heute nicht geklärten Ramos-Einsatzes und seine Beteiligung daran offen zu legen.
Sommer 2003: Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) unter Bundesanwalt Valentin Roschacher beginnt Ermittlungen gegen den Zürcher Privatbankier Oskar Holenweger, Chef der Tempus-Privatbank und weitläufiger Bekannter von Bundesrat Blocher, wegen Verdachts auf Drogengeldwäsche. Informant der BA war der verurteilte kolumbianische Drogenboss José Manuel Ramos.
Dez. 2003: Oskar Holenweger wird auf Initiative von Roschacher wegen des Verdachts auf Geldwäscherei für mehrere Wochen inhaftiert
15. März 2004: Der eidgenössische Untersuchungsrichter Ernst Roduner übernimmt die Voruntersuchungen.
Mai/Juni 2006: In der Presse wird Roschacher für schlampiges und übereifriges Vorgehen gegen Holenweger gerügt. Die Weltwoche schreibt, Roschacher sei einem Bluff seines Informanten José Manuel Ramos aufgesessen. Blocher verfügt daraufhin eine Untersuchung der BA.
5. Juli 2006: Roschacher tritt zurück, nachdem er bei Justizminister Christoph Blocher jede Unterstützung verloren hatte.
Aug. 2007: Die Subkommission erhält von der Bundesanwaltschaft vermeintlich brisante Dokumente: Die von Holenweger erstellten Notizen sollen einen Plan zum Sturz Roschachers unter Beteiligung Blochers darstellen.
5. Sept. 2007: Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, Präsidentin der Kommission, gibt bekannt, die Möglichkeit einer Verschwörung gegen Roschacher zu überprüfen.
Christoph Mörgeli macht die Notizen tags darauf öffentlich und kann dadurch den Komplott-Verdacht weitgehend entkräften.
12. Dez. 2007: Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher durch das Eidg. Parlament.
9. Juli 2008: Untersuchungsrichter Roduner tritt zurück. Er beruft sich auf ein Fax mit Drohungen. Nur: Er hat das Schreiben selbst verfasst. Er wird später wegen Irreführung der Justiz verurteilt
8. Dez. 2009: Das Eidg. Untersuchungsrichteramt schliesst seine Voruntersuchungen im Fall Holenweger ab.
6. Mai 2010: Die Bundesanwaltschaft erhebt gegen Holenweger Anklage wegen Geldwäscherei, Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Bestechung. Die mutmasslichen Delikte drehen sich fast ausschliesslich um schwarze Kassen des Unternehmens Alstom. Vom Anfangsverdacht keine Spur mehr.
11.-15. April 2011: Öffentliche Hauptverhandlung gegen Oskar Holenweger vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona.
21. April 2011: Oskar Holenweger wird von allen Anklagepunkten freigesprochen, das Verfahren teilweise sogar eingestellt.
Bellinzona
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