Bergbauer schafft ein basisdemokratisches Wunder
Die Schweizer Stimmbevölkerung wird darüber abstimmen, ob Bauern einen finanziellen Anreiz dafür erhalten, ihren Kühen und Ziegen die Hörner wachsen zu lassen. Ein Bergbauer hat praktisch im Alleingang eine Volksinitiative zustande gebracht. Er setzte dafür seine Pensionskasse und seine Ehe aufs Spiel.
Weit abgelegen, in den schroffen Bergen des Berner Juras bewirtschaftet das Ehepaar Armin und Claudia Capaul mit den erwachsenen Kindern einen kleinen Bergbauernhof. Die Kühe und Ziegen im Stall der Capauls haben Hörner. Was normal klingt, ist nicht selbstverständlich: In der Schweiz werden den meisten Kälbern die Hornanlagen ausgebrannt, damit keine Hörner wachsen. Denn Tiere mit Hörnern brauchen mehr Platz, sonst besteht Verletzungsgefahr. Inzwischen haben schätzungsweise 90 Prozent der Schweizer Kühe keine Hörner. Der Bergbauer Armin Capaul findet das traurig, denn seiner Meinung nach sind die Hörner wichtig für das Sozialverhalten von Kühen und Ziegen.
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Der Mann, der für Kuhhörner auf die Strasse geht
Dass die Tierschutzorganisationen untätig waren, störte Armin Capaul. Also wurde er selbst aktiv: Am 6. Dezember 2010 schrieb Capaul mit einem Berufskollegen dem Bundesamt für Landwirtschaft einen offenen Brief. Er verlangte, dass Bauern für jede nicht enthornte Kuh einen Franken pro Tag Subvention erhalten; für Ziegen sollten es 20 Rappen sein. Als das nichts nützte, schrieb er mehrere offene Briefe an Bundesrat Johann Schneider-Ammann und ein offenes Mail an alle Parlamentarier.
Zwei Motionen im Parlament zum Thema Hörner blieben jedoch erfolglos. Der Bauernverband habe erfolgreich lobbyiert, ist sich Capaul sicher. Doch er gab nicht auf: Am Samichlaus-Tag 2013 spannte er drei Ziegen vor ein Wägelchen, schirrte eine Kuh an den Strick und zog durch die Gassen von Bern zur Bundeskanzlei, wo er eine Petition mit 18’000 Unterschriften deponierte. Doch auch diese blieb folgenlos.
Ein «basisdemokratisches Wunder»
Nach diesen Enttäuschungen beschloss Capaul im Jahr 2014, eine Volksinitiative zu starten, und gründete hierfür eine Interessengemeinschaft. «Alle sagten: Du spinnst!» erzählt Capaul. «Alle behaupteten, es brauche Geld und Unterstützung von Organisationen.» Er macht eine bedeutungsvolle Pause. «Aber das braucht man gar nicht! Man kann auch als Einzelperson eine Volksinitiative lancieren.» Ein Journalist habe das kürzlich als «basisdemokratisches Wunder» bezeichnet, sagt Capaul und ist sichtlich stolz.
Ganz ohne den schnöden Mammon geht es aber nicht: 100’000 Franken hat die Initiative bisher gekostet. Knapp die Hälfte kam durch Spenden zusammen: Vom Zürcher Tierschutz und der Freien GemeinschaftsbankExterner Link, aber in der Hauptsache von Privatpersonen. Capaul hat eine Todesanzeige aufbewahrt, in der die Angehörigen statt um Blumen um eine Spende für die Initiative bitten. 55’000 Franken hat Armin Capaul privat investiert. Das waren die Pensionskassengelder von ihm und seiner Frau. Die Ehefrau war gar nicht glücklich darüber. Fast wäre sie ihm davongelaufen, gesteht Capaul. Von dieser Ehekrise merkt man heute nichts mehr, aber Claudia Capaul seufzt: «Ich bin froh, wenn das alles vorüber ist.»
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In Werbung und Tourismus haben Kühe Hörner
Etwa 15 bis 20 Leute sind an der Arbeit beteiligt, doch die Hauptlast liegt auf ihm und seiner Familie. Die Ehefrau nimmt die Telefonanrufe entgegen, die Tochter betreut den Facebook-Auftritt, der eine Sohn macht die Homepage und der andere vertritt den Vater bei der Stallarbeit. Den Text der Initiative hat Capaul mit etwas Hilfe der Bundeskanzlei selbst formuliert. «Das sind sehr liebe Leute», sagt Capaul. Die Beamten hätten ihm bei der Suche nach den juristisch korrekten Wörtern geholfen und die Übersetzungen in die drei anderen Landessprachen korrigiert.
Auslandschweizer schickten Unterschriften per Post
Rund 50’000 Unterschriften hat Capaul selbst gesammelt – unter anderem an Steinerschulen, an Schwingfesten, im Ballenberg-Freilichtmuseum, an einer Wilhelm-Tell-Aufführung, an der Basler Herbstmesse und vor Einkaufszentren. Er stellte die Bögen auf seine Homepage, somit konnten Bürger sie ausdrucken und selbst Unterschriften sammeln. Auf diese Weise kamen etwa 20’000 Unterschriften per Post, darunter nicht wenige von Auslandschweizern, beispielsweise aus Norwegen, Amerika und Frankreich.
Erst am Schluss – als er selbst nicht mehr mochte – hat Capaul professionelle Unterschriftensammler beauftragt, die gegen Entgelt weitere 30’000 Unterschriften zusammenbrachten. Dazu hat der umstrittene esoterische Verein AlpenparlamentExterner Link aus eigener Initiative die Beglaubigungen der Unterschriften übernommen. Und nun ist es so weit: Am 23. März 2016 hat Capaul 120’859 beglaubigte Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Die Behörden werden diese nochmals zählen und prüfen.
Danach geht es in den Abstimmungskampf. Er wird spannend werden, denn der mächtige Bauernverband ist gegen die Initiative. Für Sprengstoff in der Debatte sorgen könnte auch eine Studie des Bundesamtes für VeterinärwesenExterner Link, deren Ergebnisse voraussichtlich Ende 2016 publiziert werden. Die Studie will klären, ob es Unterschiede gibt im Sozialverhalten zwischen behornten, enthornten und genetisch hornlosen Kühen. Wie sich David gegen Goliath wappnet, will Capaul noch nicht verraten. Er ist aber optimistisch: Nur die Abschaffung des Frauenstimmrechts könne ihn noch stoppen. Es seien nämlich vor allem die Frauen, die Mitgefühl mit den Tieren hätten.
Der Sohn platzt herein: «Vater, kommst du heute Abend auch in den Stall?» Um sechs Uhr sei er bereit, versichert Capaul. Zuerst müsse er noch zur Post, um Unterschriftenbögen an die Gemeinden zu schicken. Tausende von Arbeitsstunden hat Capaul bereits in die Initiative gesteckt. Abends sitzt er bis halb zwei Uhr an seinem Computer. Ob er seine investierten Pensionskassengelder durch Spenden wieder hereinbekommt, ist ungewiss. Doch Armin Capaul lächelt zufrieden: «Die Initiative gibt mir seelische Nahrung.»
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